Es war ein "mörderischer Knall", so erzählten es die Bewohnerinnen und Bewohner des Caritas-Asylheims im Grazer Bezirk Puntigam damals dem STANDARD. Um 1.40 Uhr wurden sie am 11. September 2010 aus dem Schlaf gerissen. Geflohene, auch Kinder, die teils aus Kriegsgebieten kamen, reagierten in Panik. Ein 61-jähriger Dialysepatient aus Georgien, der im Schock aufsprang, stürzte und verletzte sich dabei.

Asylwerberheim Mitterstraße Graz,
Das Flüchtlingsheim in der Mitterstraße in Graz-Puntigam am Tag nach dem Anschlag.
j.j.Kucek

Dass er der einzige Verletzte blieb, war Glück, denn die Sprengkraft des Sprengsatzes, der vor der offenen Haustür des Heims explodierte, war so groß, dass sie "auch lebensgefährliche Verletzungen anrichten hätte können", so der damalige Chef des Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Alexander Gaisch.

Das alles ist 13 Jahre her. Erst diese Woche kommen die mutmaßlichen Täter, die damals 15, fast 16 und 19 waren, in Leoben vor Gericht. Angeklagt sind sie nach dem NS-Verbotsgesetz, Paragraf 3g und 3f. Letzterer regelt auch Verbrechen, die nach dem Sprengstoffgesetz "als Mittel der NS-Betätigung" zu ahnden sind. Am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag sind die drei Verhandlungstage anberaumt. Der Hauptbeschuldigte K., der den Sprengsatz vor dem Heim zur Explosion gebracht haben soll, war damals knapp unter 16 Jahre alt.

Anschlag als Mutprobe

Für ihn soll der Anschlag eine Mutprobe gewesen sein. Er begehrte laut Staatsanwaltschaft Graz Aufnahme in die "rechtsextreme Clique" des damals 15-jährigen W., der als Bestimmungstäter angeklagt ist, weil er die Tat mit K. geplant haben soll. Der damals 19-jährige E. soll den Sprengstoff gebaut und an K. übergeben haben, weshalb E. nun als Beitragstäter vor Gericht steht.

Die heute 28-, 29- und 32-Jährigen müssen sich aber diese Woche auch wegen zahlreicher anderer Delikte nach dem Verbotsgesetz verantworten.

Der Hauptangeklagte K. soll sich erst 2020 ein SS-Runen-Tattoo auf die Hand haben stechen lassen, W. unter anderem eine Nazi-Flagge für andere sichtbar in seinem Elternhaus aufgehängt und 2010 zahlreiche den Nationalsozialismus und Hitler verherrlichende Postings auf Facebook veröffentlicht haben. E. schließlich soll in der Silvanabar in Mariazell, einem Lokal, das damals eine FPÖ-Jugendreferentin betrieb, zwischen 2009 und 2011 mehrmals gegen das Verbotsgesetz verstoßen haben. Laut Anklage rief er dort "Heil Hitler" und bot "durch Ausstrecken des rechten Armes den Hitlergruß" dar. Auch zu den Identitären hat zumindest einer der Männer Verbindungen.

Über die Silvanabar, die damals auch der damalige Chef der steirischen FPÖ, Gerhard Kurzmann, und sein späterer Nachfolger Mario Kunasek besuchten, wie Fotos belegten, berichtete auch der STANDARD seinerzeit. Kurzmann meinte damals, es seien ihm dort keine Neonazis aufgefallen. Dennoch sorgten diverse Gruppen in der Obersteiermark immer wieder für Ärger: 2011 warf Kurzmann den damaligen Bezirksobmann im obersteirischen Liezen per Notverordnung aus der Partei, weil dieser fünf neue Mitglieder vorgeschlagen hatte. Der Mann durfte aber 2019 wieder als Social-Media-Berater des Rings Freiheitlicher Jugend tätig werden.

Gäste der Silvanabar

Bekannt mit mindestens einem der nun Angeklagten war auch ein Mann, der im März 2010 als FPÖ-Spitzenkandidat in einer Gemeinde im Bezirk Bruck an der Mur antrat. Von ihm tauchten im Jahr 2010 Fotos von einem Konzert der Band Agitator aus dem Jahr 2007 in der Silvanabar auf. Agitator waren für Songtexte wie diesen bekannt: "Ich bin mit Leib und Seele Nazi, und ich weiß mit Sicherheit: Für mich kann’s nix Schöneres geben, ich bleib Nazi für alle Zeit!"

Der damalige Spitzenkandidat ist als einer von insgesamt 17 Zeugen geladen.

Die drei Angeklagten leben heute zwar in Tirol und Niederösterreich, doch weil K. und W. zum Tatzeitpunkt Jugendliche und E. ein junger Erwachsener und damals alle im Bezirk Bruck an der Mur daheim waren, wird im obersteirischen Leoben verhandelt.

Ermittelnde Staatsanwaltschaft war aber aufgrund des Tatorts die Staatsanwaltschaft Graz. Das Gericht und die Staatsanwaltschaft Leoben betonen beide, den Akt erst im Juni dieses Jahres bekommen zu haben.

Was dabei verwundert: Schon 2020 waren die Angeklagten K. und W. mehrere Wochen in U-Haft. Sie wurden aber trotz Fluchtgefahr auf freien Fuß gesetzt. Man habe sie ein Gelöbnis unterzeichnen lassen, sie durften also das Land nicht verlassen und mussten sich regelmäßig bei der Polizei melden, erklärt der Vizepräsident des Landesgerichts in Leoben, Christian Haider.

Doch warum hat es weitere drei Jahre bis zum Prozess gebraucht? "Wir haben umfassend ermittelt", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Graz, Hansjörg Bacher, dem STANDARD, "alle mehrmals vernommen, DNA-Proben genommen, Facebook-Accounts angeschaut und Konten geöffnet. Das dauert halt so lange." Gefasst wurde der Hauptangeklagte K. 2020 schließlich, weil ihn jemand erkannt habe, so Bacher. Der Vergleich mit Aufnahmen einer Überwachungskamera, die damals in der Straße den mutmaßlichen Täter aufzeichnete, machte die Ermittler sicher.

Aufgeheiztes Klima

Der Anschlag sorgte 2010 in der gesamten Parteienlandschaft der Steiermark für Aufregung. Auch weil er in einem aufgeheizten Klima stattfand. Die FPÖ empörte die Öffentlichkeit mit ihrem "Moschee baba"-Video-Schießspiel, und im Vorfeld der Eröffnung des Asylheims 2006 wurde gegen das Haus von einem FPÖ-Gemeinderat ein "Bürgerprotest" organisiert. Als Jahre später der Anschlag passierte, gab es in der Nachbarschaft ein gutes Einvernehmen mit den 35 Bewohnerinnen und Bewohnern. Auch die Direktorin der Caritas Steiermark und designierte Präsidentin der Caritas Österreich, Nora Tödtling-Musenbichler, zeigt sich überrascht vom späten Prozessbeginn: "Es ist niemand mehr von damals in dem Heim." Die Caritas sei als Zeuge geladen, ein Vertreter wird zum Prozess fahren.

Den beiden jüngeren Angeklagten drohen – aufgrund ihres jugendlichen Alters zum Tatzeitpunkt – Haftstrafen von bis zu zehn Jahren, dem Älteren bis zu 15 Jahre. (Colette M. Schmidt, 18.12.2023)