Felicitas Prokopetz.
Von Mädchen, die zu Frauen werden: Felicitas Prokopetz.
Tina Herzl

Töchter. Mütter. Mütter und ihre Töchter. Allezeit eine Beziehung, für die die Adjektive "diffizil" oder "heikel" in der Regel allzu pazifistisch anmuten oder real Raues verniedlichen. Kurz: ein alles andere als kleines Thema, vor allem und erst recht für ein Prosadebüt. Felicitas Prokopetz, seit Jahren als Werbetexterin in Wien tätig, schultert dies aber mit Leichtigkeit und Delikatesse.

Ihr Erstling Wir sitzen im Dickicht und weinen schlägt einen lockeren Ton an, obwohl es durchaus um Ernstes, auch um Todernstes geht, und hält diesen Duktus bis zum Ende durch. Einhundert Jahre überspannt, in vielen Sprüngen, der Roman. Es wird vom Großwerden erzählt, von Mädchen, die zu Frauen werden, die um Emanzipation und Liebe kämpfen, die Heirat, Lieblosigkeit und emotionale Vernachlässigung erfahren, es geht um sexuelle Selbstbestimmung und Eigenermächtigung und Autonomie.

Halten und Loslassen

Vier Generationen entwirft Prokopetz, von 1919 bis in die Gegenwart, bis zur Urenkelin, der alleinerziehenden, hellwachen Redakteurin Valerie Steinberg, deren sechzehnjähriger Sohn Tobias jetzt unbedingt ein Austauschjahr in Großbritannien verbringen will, wogegen sie sich innerlich sträubt. Denn für sie wäre dies neuerlich ein Verlust. Sie ist im Zwiespalt von Halten und Loslassen wie dem Feld der Kränkungen verfangen, die ihr der pubertäre Sohn zufügt. So akut zerrissen ist sie auch angesichts der Krebserkrankung ihrer Mutter Christina, der diese schließlich erliegt, was Prokopetz mit berührender Sanftheit schildert, inklusive Fetzen fliegenden Streits.

Verluste durchziehen die vier Frauenfamiliengeschichten, das Ringen um Selbstbewusstsein wider Narben hinterlassenden Egoismus, um Nähe kontra Leere.

Buchcover
Felicitas Prokopetz, "Wir sitzen im Dickicht und weinen". Roman. € 23,50 / 208 Seiten. Eichborn, 2024.
Eichborn Verlag

Befreiende Selbstermächtigung

In erster Linie geht es um Selbstermächtigung und Befreiung in patriarchalisch-konservativen Gesellschaften der Schweiz – ein Teil der Familie stammt aus Basel-Land – und Österreichs.

Psychologie und Psychotherapie widmen sich seit rund einem Vierteljahrhundert mittlerweile dem Thema, wie Traumata von Kriegskindern an in Frieden und Wohlstand aufgewachsene Folgegenerationen weitergegeben werden. Repetitionsmuster werden tradiert, akzentuieren und prägen Reflexionsmuster und Emotionsverhalten, erzeugen psychische und psychoneurale Blockaden und Verhaltensmuster, die regelmäßig in Sackgassen und zum Scheitern führen. So auch hier. In diesem Buch kollabiert jede Ehe; besonders Christina taumelt von Kurz- zu Kürzestbeziehung, ohne dabei jedoch von Prokopetz zur Karikatur sexueller Lebensgier der 1970er- und 1980er-Jahre verzerrt zu werden. Schön auch, dass eine Absolventin von kompositorisch eher Erwartbares lehrenden Schreibschulen, dem Deutschen Literaturinstitut in Leipzig etwa, es wagt, riskante Schnitte und harsche Erzählsprünge zu setzen. (Alexander Kluy, 3.2.2024)