Das Modell aus Linz soll schneller, aber auch ressourcenschonender arbeiten.
Midjourney

Um einen markigen Spruch war Sepp Hochreiter, Mitbegründer der modernen KI-Forschung, noch nie verlegen. "Wie blöd kann man eigentlich sein?", polterte der an der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz tätige Forscher vergangenes Jahr in Richtung Politik. Nicht zum ersten Mal hatte er die fehlende Finanzierung und Strategie der heimischen Verantwortungsträger kritisiert, wenn es um das Thema künstliche Intelligenz ging.

Mit seinem KI-Modell, das "besser und schneller" als ChatGPT sei, könne er OpenAI, die Firma hinter dem Chatbot "vom Markt hauen". Wenn das Geld für die Umsetzung und Weiterentwicklung aber nicht aufgetrieben werden könne, werde er Österreich eben verlassen müssen, drohte der Forscher damals. Dass seine Aussagen tatsächlich Gewicht haben, kommt nicht von ungefähr. Mit Pionierarbeiten in den 1990er-Jahren wurde er in weiterer Folge zu einem der wichtigsten Wegbereiter für moderne Spracherkennung und Textanalyse, die bis heute in jedem Smartphone zum Einsatz kommt.

KI-Zentrum in Linz

Der angedrohte Abgang aus Linz und damit wohl auch der Exodus weiterer Forschender zum Thema künstliche Intelligenz dürfte fürs Erste wohl vom Tisch sein. Denn um die europäische KI-Alternative doch noch von Österreich aus zu verwirklichen, gründete Hochreiter mit dem Entrepreneur Albert Ortig von der Digitalisierungsagentur Netural nun die Firma Nxai, wie am Montag bekanntgegeben wurde. Das Startkapital stammt zu einem guten Teil von der zum KTM-Konzern zählenden Pierer Digital Holding. Dass es in Oberösterreich Menschen gebe, die wie im Silicon Valley denken, das finde er toll, zeigt sich Hochreiter angetan.

Das Sprachmodell kann mit Semantik besser umgehen.
Midjourney

Wie hoch die Summe des Mitgesellschafters ist, wollte Ortig auf STANDARD-Nachfrage nicht verraten. Sie sei aber hoch genug, um die notwendige Infrastruktur aufzubauen und die notwendige Spitzenforschung und Entwicklung in den nächsten Jahren sicherzustellen. Als wichtigster Forschungspartner ist die JKU Linz mit an Bord. Das ist naheliegend, ist Hochreiter als Leiter des Instituts für Machine Learning dort gut verankert. Über 400 Studierende konnte das 2019 eingeführte Studium "Artificial Intelligence" bereits für sich begeistern – die Nachfrage bleibt laut JKU-Rektor Stefan Koch enorm.

"Schneller und besser"

Dass die aktuell für populäre KI-Anwendungen wie ChatGPT verwendeten Sprachmodelle zu schlagen sind, steht für Hochreiter außer Frage. Denn diese würden auf der sogenannten Transformer-Technologie basieren. Damit hatten sich Sprachmodelle im Gegensatz zur Hochreiter-Erfindung LSTM (Long Short Term Memory) ursprünglich zwar schneller trainieren lassen. Im laufenden, jetzigen Betrieb würden sie aber enorme Ressourcen verschlingen und seien bei komplexen Aufgabenstellungen auch deutlich langsamer und ungenauer als die von Hochreiter propagierte Technologiealternative xLSTM, die auf seiner ursprünglichen Entwicklung aufbaut.

Dass das Linzer Modell mit weniger Rechenaufwand bessere Ergebnisse erzielen könne, liegt Hochreiter zufolge an der zugrundeliegenden Speichertechnologie, die Sprache ähnlich dem menschlichen verbalen Gedächtnis verarbeite. Anstatt jedes einzelne Wort immer wieder in endlosen Ketten abgleichen zu müssen, merke sich xLSTM die Semantik, also die abstrahierte Bedeutung von Text, und könne komplexe und lange Textanfragen deutlich schneller bewerkstelligen. "Während die benötigte Rechenleistung mit unserem Modell linear mit der Textlänge ansteigt, steigt sie bei Transformer-Berechnungen zum Quadrat an", erklärt Hochreiter.

Felix Neusser, Sepp Hochreiter und Albert Ortig von Nxai
Felix Neusser, Sepp Hochreiter und Albert Ortig von Nxai.
Nxai

Doch wie wahrscheinlich ist es überhaupt, dass die angekündigte Technologie, die in den kommenden Monaten und Jahren erst weiterentwickelt, getestet und hochskaliert werden muss, eine ernsthafte Konkurrenz für ChatGPT und den dahinterstehenden Firmen OpenAI, Microsoft, aber auch Google und Meta wird? Laut Albert Ortig, Geschäftsführer der neu gegründeten Firma Nxai, ist es logisch, dass man mit den marktbeherrschenden KI-Firmen zum jetzigen Zeitpunkt nicht in direkten Wettbewerb treten könne. Diesen hätten im Markt nicht nur drei Jahre Vorsprung, sondern auch zig Milliarden Euro in Infrastruktur investiert.

Risikant für Europa

Vielmehr gehe es darum, hier in Europa eine hochkompetitive Technologie zu entwickeln, die in weiterer Folge für KI-Anwendungen in der Wirtschaft und Industrie zur Verfügung stehe, ohne abhängig von den USA oder China zu sein. "Künstliche Intelligenz ist die größte industrielle Revolution, noch viel größer als das Internet selbst. Hier die Hoheit aus der Hand zu geben und sich von irgendwelchen politischen Mächten außerhalb Europas abhängig zu machen, ist äußerst riskant", warnt Ortig im STANDARD-Interview.

Darauf zu vertrauen, dass man die andernorts entwickelte Technologie auch in Zukunft für den eigenen Wirtschaftsraum nutzen dürfe, sei kurzsichtig. Das sehe man auch an den zunehmend schwierigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und China. "Im schlimmsten Fall sind wir komplett abgeschnitten von dieser Revolution, mit all den negativen geopolitischen und infrastrukturellen Auswirkungen", plädiert Ortig für den raschen Aufbau europäischen Know-hows beim Thema künstliche Intelligenz, aber auch bei der Produktion von Computerchips.

OpenAI und ChatGPT haben das Thema KI erstmals massentauglich gemacht.
AP/Michael Dwyer

Auch wenn eine derartige Anwendung derzeit nicht im Vordergrund steht: Bewährt sich die in Linz entwickelte Technologie, spricht den Nxai-Gründern zufolge nichts dagegen, eine europäische ChatGPT-Alternative anzubieten. Auch ein Export der Technologie und die Verwendung bei einem der beim Thema KI aktuell tonangebenden Konzerne sei absolut denkbar.

Noch nicht zu spät

"Die Technologie hinter solchen Anwendungen lässt sich schnell wechseln, das macht solche Märkte volatil, aber auch spannend", sagt JKU-Rektor Koch. Auch Hochreiter sieht den Zug hier noch lange nicht abgefahren. "Wenn alle schon auf eine Technologie eingeschworen sind, ist es schwierig, was Neues zu etablieren. In unserem Fall kann man die Technologie im Hintergrund austauschen, nach außen hin verändert sich für die Nutzer erst einmal gar nichts."

Und auch den Investitionsvorsprung bewerten die Firmengründer differenziert. Es stimme zwar, dass die Investitionen und Aufwendungen in Programme wie ChatGPT und der dahinter stehenden Firma OpenAI enorm seien, der überwiegende Teil des Geldes werde derzeit aber mit dem Aufrechterhalten des Betriebes verbrannt. "Es rauschen jeden Tag hunderte Millionen Anfragen herein, das kostet wahnsinnig viel Ressourcen und somit auch Geld", sagt Ortig. (Martin Stepanek, 5.2.2024)