Bei der Herstellung von Rüstungsgütern in Russland spielen taiwanische Hochpräzisionsmaschinen eine große Rolle.
Bei der Herstellung von Rüstungsgütern in Russland spielen taiwanische Hochpräzisionsmaschinen eine große Rolle.
EPA/RUSSIAN DEFENCE MINISTRY PRE

Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, waren sich viele Länder im Westen schnell darin einig, Sanktionen über Russland zu verhängen. Vor allem die sensible Rüstungsindustrie beziehungsweise Maschinen zur Waffenherstellung sahen strikte Exportblockaden in den USA, in EU-Ländern, Japan oder der Schweiz. Auch die kleine Insel Taiwan in Ostasien verurteilte den Überfall rasch. Taiwan liegt zwar weit von der Ukraine entfernt, doch auf der demokratisch regierten Insel war der Angriff eine Zäsur: Droht doch China seit Jahren damit, die Insel zur Not mit Gewalt an die Volksrepublik anzugliedern. Könnte sich Peking ein Vorbild an Moskau nehmen?

Allein schon wegen jener Drohgebärden sucht Taiwan Verbündete in Europa, und natürlich die Gunst der langjährigen Schutzmacht USA – Washington versorgt Taiwan bekanntlich seit Jahrzehnten mit schwerem Rüstungsgerät.

Und doch: Bis Jänner 2023 betrafen taiwanische Sanktionen gegen Russland Produkte der Chipindustrie, Telekommunikation oder der Luftfahrt, allerdings nicht Hochpräzisionsmaschinen, wie sie zur Waffenherstellung benötigt werden. Wie nun ein Bericht zweier Investigativmedien zeigt, ist Taiwan in den vergangenen Jahren so zum wichtigsten Zulieferer für derartige Maschinen in Russland avanciert. Manche der Maschinen sollen sogar an russische Raketenentwickler und Kernforschungsinstitute gegangen sein, wie das russische Medium "The Insider" und das taiwanische Medium "The Reporter" berichten.

Die Journalisten konnten die Handelsströme anhand von öffentlichen Datenbanken nachvollziehen. Manche ihrer Funde ließen sie sich durch Nachfragen bei den Unternehmen bestätigen, wobei vor allem taiwanische Firmen überraschend offen über die Deals sprachen.

In Taipeh demonstrieren immer wieder Taiwaner, um ihre Unterstützung für die Ukraine zu zeigen.
In Taipeh demonstrieren immer wieder Taiwaner, um ihre Unterstützung für die Ukraine zu zeigen.
IMAGO/CTK Photo

Drehmaschinen, Bearbeitungszentren oder Funken-Erodiermaschinen – derartige Maschinen werden für die Herstellung so gut wie jeder Waffe im russischen Arsenal benötigt, beschreibt der Bericht. In Statistiken ist zu sehen, dass ab Februar 2022 deren Exporte zum Beispiel aus Deutschland nahezu versiegten, während sie in Taiwan stiegen.

So waren die qualitativ besten Maschinen – aus Deutschland, Japan und der Schweiz – nach dem Überfall auf die Ukraine nicht mehr für Moskau verfügbar. Mit China hatte Russland einen alternativen Zulieferer gefunden; die Qualität der Produkte ist aber minderwertig. Aushilfe schafften da die Produkte aus Taiwan, die zwar nicht so gut sind wie die der Konkurrenz, so der Bericht, aber immer noch besser als die chinesischen. Und sie konnten die längste Zeit legal erworben werden.

Maschinen an Raketenentwickler

Vor allem auf US-Druck hin verschärfte die Regierung in Taipeh Anfang 2023 aber ihre Exportschranken. Die meisten Hochpräzisionsmaschinen waren ab da tabu für Moskau. Immer noch fielen aber zum Beispiel Funken-Erodiermaschinen nicht darunter. So haben mindestens zwei staatliche Kerninstitute derartige Maschinen 2023 direkt aus Taiwan bezogen, wie der Bericht aufzeigt.

Aber auch bei den eigentlich sanktionierten Maschinen fanden Hersteller Schlupflöcher. Dabei dienen demnach vor allem Zwischenhändler in der Türkei und China als Vermittler. Und diese schneiden gut mit: Russische Abnehmer sind bereit, hohe Geldsummen zu zahlen. Eine Maschine, die eigentlich mit einer Preisspanne zwischen 60.000 und 180.000 US-Dollar gelistet ist, ging laut den Recherchen um knapp eine Million US-Dollar nach Moskau.

Türkei und China als Umschlagplatz

Russische Zolldokumente verzeichnen wiederum im Zeitraum zwischen März und September 2023 den Import von mindestens 193 Made-in-Taiwan-Bearbeitungszentren nach Russland. Die meisten davon, rund 80 Prozent, gelangten demnach über die Türkei und China ins Land. So gilt die Türkei als Hauptumschlagplatz: Taiwans Exporte derartiger Maschinen in die Türkei lagen in der ersten Jahreshälfte 2023 fast 50 Prozent über dem Wert des Vorjahres. Umgekehrt erhält Russland 40 Prozent der betreffenden Maschinen wiederum aus der Türkei.

In manchen Fällen konnten die Journalisten nachweisen, dass Produkte 2023 an den staatlichen Raketenhersteller Korporatsiya Kometa gingen, an das russische Lebedev Physical Institute und an das Budker Nuclear Physics Institute – und so möglicherweise im Ukrainekrieg Auswirkungen haben. Es sind alles Organisationen, die direkt oder indirekt unter US-Sanktionen fallen.

Grundsätzlich haben taiwanische Unternehmen immer wieder mit fragwürdigen Handelspartnern aufhorchen lassen, meint einer der Autoren des Berichts, Yian Lee, dem STANDARD gegenüber. Da gibt es Deals mit dem Iran oder auch Nordkorea. Auch der Maschinenhandel zwischen Russland und Taiwan ist nicht neu.

Taiwan will "braves Kind" sein

Taiwans spezieller Status sei dabei ausschlaggebend, meint Lee: Eben weil die Insel nur von wenigen Ländern voll anerkannt ist und keinen UN-Sitz hat, herrscht in Taiwan viel Spielraum. "Taiwan will aber anerkannt werden, also versuchen wir, den internationalen Standards zu folgen und ein 'braves Kind' zu sein", sagt Lee.

Ein Grund dafür, warum Taiwans erste Sanktionswelle im Vergleich zu anderen Ländern lax ausfiel, könnte laut Lee der ohnehin angeschlagene Markt gewesen sein. Anfang 2022 kämpfte die taiwanische Industrie demnach mit starker und billiger Konkurrenz aus Japan: Durch einen günstigen Yen konnte Kunden in Japan billig bei gleichzeitig höherer Qualität einkaufen. Für Moskau war mit Februar 2022 damit Schluss. In Taiwan fand man da plötzlich "eine der letzten verbleibenden Optionen", so Lee.

Das taiwanische Wirtschaftsministerium reagierte vergangene Woche mit neuen Sanktionen auf den Bericht. Nicht zuletzt wolle man, so eine Erklärung, den Ruf taiwanischer Unternehmen schützen. Strafen für illegale Exporte nach Russland wurde um das 15-Fache erhöht. Aktuell sind demnach in Taiwan rund 1.900 Organisationen mit Verbindungen nach Russland sanktioniert. (Anna Sawerthal, 12.2.2024)