Die Flucht über die grüne Grenze in Polen wird für die syrische Familie zum Überlebenskampf. Green Border
Die Flucht über die grüne Grenze in Polen wird für die syrische Familie zum Überlebenskampf.
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Etwa in der Mitte von Agnieszka Hollands Fluchtdrama Green Border (Zielona granica) gibt es einen Wutausbruch, der wie ein Ventil wirkt: "Genau das ist aber mein Problem", tobt der Patient einer Psychologin in einer Onlinesitzung, "wir haben rassistische Arschlöcher in der Regierung." Man meint, die Stimme der Regie-Altmeisterin selbst zu hören. Ihr preisgekrönter Film hat im September zu politischem Aufruhr im damals noch von der rechtsnationalen PiS regierten Polen geführt – wogegen Holland ihrerseits scharf konterte.

Erst Rosen, dann Stacheldraht

Bis zu dem Wutanfall hat das Publikum in Green Border bereits eine Menge Schreckliches gesehen. Es ist einer Familie aus Syrien und einer vor den Taliban fliehenden, gut ausgebildeten Afghanin gefolgt, die – es ist 2021 – glauben, aus Weißrussland ist die Einreise in die EU problemloser als über die gefährliche Mittelmeerroute.

Im Flugzeug nach Minsk verteilt das Flugpersonal noch Rosen, an der Grenze zu Polen begegnet man den Asylsuchenden bereits mit Stacheldraht und Maschinengewehren. Damit hat die Familie mit den drei kleinen Kindern nicht gerechnet. Organisiert war ein Transfer ab der Grenze bis zum Onkel nach Schweden, um dort Asyl zu beantragen. Doch kaum haben sie gemeinsam mit der Afghanin die Grenze überquert, werden sie von ideologisch indoktrinierten polnischen Grenzbeamten aufgegriffen und zurück nach Belarus gekarrt – und vice versa. "Das sind keine Menschen, das sind die lebendigen Kugeln von Lukaschenko und Putin", schärft ein Ausbildner den Grenzbeamten ein. Sie dürfen fast alles, nur keine Leichen auf EU-Grund liegen lassen.

GREEN BORDER Trailer (OmU) | Ab 2. Februar im Kino
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Multiperspektivisches Episodendrama

Mithilfe der Emotionsmaschine Kino macht Holland den Horror der Fliehenden erlebbar, während sie zu Spielbällen der politischen Spannungen zwischen Polen und Belarus werden. Fast schon dokumentarisch wirkt die Kamera, wenn sie ihren Protagonisten folgt, um dann wieder im glasklaren Schwarz-Weiß die beeindruckende Waldlandschaft ins Bild zu setzen.

In der Tradition des Episodendramas nimmt Holland zudem mit den Flüchtenden verwobene Perspektiven ein: die eines angehenden Grenzbeamten mit moralischen Skrupeln und die der Psychologin, die sich wegen Covid aus der Großstadt zurückgezogen hat und bald merkt, dass ihr Plädoyer, nur das zu ändern, was man ändern kann, zu kurz greift. Nach einer traumatischen Begegnung mit der Afghanin schließt sie sich den illegalen Aktivistinnen an, die die im Grenzwald gestrandeten Flüchtenden notdürftig versorgen.

"Green Border" ist auch ein Plädoyer für die Fluchthilfe.
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Es ginge doch ...

Die Frustration und die Scham über den Umgang mit Asylsuchenden in Polen und der EU sieht man Green Border deutlich an. Mehr noch, man spürt beides mit jeder Körperfaser. Wie ein Schlag in die Magengrube wirkt dann das Ende des Films, das den menschenwürdigen Umgang mit ukrainischen Fliehenden zeigt.

Allein Rassismus für die Verschiedenbehandlung der Asylsuchenden in die Schuld zu nehmen würde indes zu kurz greifen. Das weiß Holland. Vielmehr entfaltet ihr Film durch seine multiperspektivische Erzählung und die authentische Besetzung ein ebenso emotionales wie vielschichtiges Bild einer desaströsen Situation. Ein absolutes Meisterwerk des politischen Kinos. (Valerie Dirk, 3.2.2024)