Das Bild zeigt einen Gehirnchip von Neuralink
Nicht größer als ein paar Münzen, die man aufeinandergestapelt hat: Elon Musk Neuralink-Chip.
Neuralink

Nachdem das im Jahr 2016 gegründete Unternehmen Neuralink im vergangenen Jahr die Zulassung für Tests an menschlichen Versuchspersonen erhalten hatte, wurde Anfang 2024 der entscheidende Meilenstein erreicht: "Der erste Mensch hat gestern ein Implantat von Neuralink erhalten und erholt sich gut", schrieb Elon Musk am 29. Jänner auf dem Kurznachrichtendienst X. Vorerst haben Hirnimplantate wie dieses noch das Ziel, Menschen mit schweren Erkrankungen bei der Bewältigung ihres Alltags zu helfen, Musk sieht die Technologie jedoch als entscheidend für die Zukunft der Menschheit.

Musk-Firma Neuralink implantiert erstmals Chip in Gehirn.
AFP

Das menschliche Gehirn besteht aus rund 86 Milliarden Neuronen – Nervenzellen, die über Synapsen miteinander verbunden sind. Wenn wir denken, fühlen oder uns bewegen wollen, werden kleine elektrische Impulse zwischen diesen Neuronen hin und her geschickt. Manche dieser Signale können erkannt werden, indem eine spezielle Kappe auf dem Kopf getragen wird, oder indem eben ein Implantat eingepflanzt wird.

Elon Musk und die "Telepathie"

Das Neuralink-Implantat, etwa so groß wie eine Münze, ist eines dieser Brain-Computer-Interfaces (BCI). Eingepflanzt in das Gehirn, kann es über mikroskopisch kleine Drähte die genannten Impulse auslesen und die Informationen an eine Empfangseinheit weitergeben. Zuvor war es bereits gelungen, dass Affen auf diese Weise eine Runde des simplen Computerspiels "Pong" spielen konnten.

Bezüglich der menschlichen Anwender spricht Musk wiederum von "Telepathie" als einem der ersten Anwendungsszenarien. Das klingt nach Science-Fiction im Stil von Wolfgang Hohlbeins "Der Thron der Libelle" – gemeint ist jedoch nicht die Gedankenübertragung von Mensch zu Mensch, sondern das Steuern von Telefon und Computer durch reine Gedankenkraft.

Viele Konkurrenten

Und mit solchen Anwendungen ist Neuralink längst nicht allein, auch wenn Marketinggenie Musk das eigene Unternehmen mal wieder geschickt als technologischen Vorreiter positioniert, wie es in einem Artikel der "Financial Times" heißt. Ein Konkurrent auf diesem Feld ist das Unternehmen Synchron, das laut einem Bericht der BBC schon zehn Patienten mit Implantaten ausgestattet hat sowie von Milliardären wie Bill Gates und Jeff Bezos finanziell unterstützt wird.

Synchron Stentrode: Brain Computer Interface for Paralysis.
Synchron Inc

Synchron betont, dass der medizinische Eingriff vergleichsweise gering ist, zumal die Sensoren über eine Ader in das Gehirn eingeführt werden. Auch Precision Neuroscience – ein Unternehmen, das von einem der Neuralink-Gründer, Benjamin Rapoport, mitgegründet wurde – versucht den Ansatz eines weniger invasiven Eingriffs: Über kleine Schnitte im Schädel wickelt sich ein Netz aus Mikroelektroden um das Gehirn.

Bereits im Dezember 2021 konnte Philip O'Keefe, ein 62 Jahre alter Australier mit einer motorischen Erkrankung, einen Tweet schreiben, indem er einen Cursor mit seinen Gedanken steuerte. Zuletzt war es einem Forschungsteam der Universität Lausanne gelungen, einem Menschen mit Lähmung durch ein Hirnimplantat das Gehen wieder zu ermöglichen. In einem aktuellen Paper erklären die Wissenschafter, dass das vom Implantat abgegriffene Signal an ein zweites Gerät an der Wirbelsäule gesendet wird, welches den Gliedmaßen einen Impuls zum Bewegen gibt.

Musks Vision: Die Zukunft der Menschheit

Doch Musk denkt weiter als diese Anwendungen, aus seiner Sicht sind diese Implantate entscheidend für die Zukunft der menschlichen Spezies. Denn in einer langfristigen Perspektive geht er davon aus, dass eine generelle künstliche Intelligenz dem Menschen kognitiv überlegen sein wird. Und dass der Mensch sich daher weiterentwickeln muss, um mit dieser Entwicklung mithalten zu können.

So könnte man mit einem Handy oder einem Computer in einer heute noch unvorstellbaren Geschwindigkeit interagieren. Auch das Speichern und erneute Abspielen von Erinnerungen könne so möglich sein, meint Musk. Wiewohl der Multimilliardär eingesteht, dass dies nach heutigem Stand wie der Inhalt einer "Black Mirror"-Folge klingt.

Experten sind skeptisch

Davon sind wir jedoch noch weit entfernt, wie Expertinnen und Experten in den Berichten der "Financial Times" und der BBC betonen: Derzeit sei noch nicht einmal absehbar, welche langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen die Implantate auf jene Menschen haben, die bereits solche erhalten haben.

"Derzeit sehe ich auch keine Anwendung, von der Konsumenten so sehr profitieren, dass sie dafür eine invasive Operation riskieren", wird etwa Anne Vanhoestenberghe, Professorin am King's College in London, von der BBC zitiert. Wer würde schon einen solchen Eingriff vornehmen, nur um eine Pizza per Gedankenbefehl bestellen zu können?

Biohacking

Andererseits muss auch gesagt werden: Eine Zielgruppe in Form einer globalen Biohacking-Szene existiert, und sie setzt bereits jetzt ähnliche Anwendungen um. Das vom deutschen Biohacking-Unternehmer Patrick Kramer gegründete Unternehmen Digiwell verkauft unter anderem diverse NFC-Chips, die man sich unter die Haut einpflanzen kann, um etwa ohne zusätzliches Gerät digital zu bezahlen, sich digital auszuweisen oder eine elektronisch verriegelte Tür zu öffnen. Onlineshops wie The Odin verkaufen wiederum eine breite Palette an Produkten, mit denen das Editieren der eigenen Gene versprochen wird.

Angesprochen auf die Hirnimplantate, ist Dean Burnett von der Cardiff University aber skeptisch, vor allem in Bezug auf den rasanten technologischen Wandel: Würde das bedeuten, dass man alle fünf Jahre ein neues Implantat braucht, um mithalten zu können? Oder ist das eigene Implantat dann irgendwann das Äquivalent eines Nokia-Tastentelefons in der Smartphone-Ära, das man im Gehirn trägt?

Eine Anwendung, wie Musk sie sich vorstellt, ist den Experten zufolge nicht unvorstellbar, aber womöglich noch Jahrzehnte entfernt. Eine mögliche Anwendung für die nähere Zukunft sieht Vanhoestenberghe aber: die Behandlung von Problemen wie konventionell nicht behandelbaren Depressionen, Demenz oder schweren Schlafstörungen. Auch hier seien die möglichen Vorteile jedoch noch nicht sicher, und die Forschung befinde sich erst am Anfang. (stm, 6.2.2024)