"Bevor ich jetzt in der Öffentlichkeit konsumiere und andere verstöre, ist es doch besser, es gibt einen Ort, wo ich das ohne Stress und mit weniger Risiko machen kann", sagt Nina, heute 38 Jahre alt. Anfang der 2000er-Jahre verbrachte sie viele ihrer Tage am Karlsplatz und verkaufte dort Drogen, um ihre Heroinsucht zu finanzieren. Zehn Jahre lang hatte Nina mit der Abhängigkeit zu kämpfen.

Immer wieder erlebte sie die Debatte, dass am Karlsplatz Drogenkonsumräume – auch Fixerstuben genannt – geschaffen werden sollten. In diesen könnten suchtkranke Menschen ohne Angst vor einer Strafe ihre Drogen zu sich nehmen. Der Konsumraum hätte Menschen wie Nina damals dienen sollen. "Die Leute werden nicht aufhören, nur weil es keinen sicheren Ort zum Konsumieren gibt, sie werden einfach ein höheres Risiko eingehen", sagt Nina im Gespräch mit dem STANDARD. Sie hatte damals gehofft, dass es so einen Konsumraum für sie und ihre Freunde geben würde.

"Hier haben wir uns oft zu zweit zurückgezogen", erzählt Nina. Sie steht vor einem Stiegenhaus in einer Parkgarage unweit der Karlskirche. Eine Person habe Ausschau gehalten, während sich die andere gespritzt habe. "Heroin zu spritzen dauert zehn bis 15 Minuten", sagt sie. Am längsten dauert es zu warten, bis die Flüssigkeit nach dem Aufkochen wieder auf Körpertemperatur abkühlt. Diese 15 Minuten hatte Nina auf Toiletten, in Parkhäusern, Treppenaufgängen, U-Bahn-Ausgängen, Büschen, Telefonzellen oder privaten Stiegenhäusern verbracht, verteilt über Wien. Am Südtiroler Platz, bei der U-Bahn-Station Josefstädter Straße und vor allem am Karlsplatz.

Besonders die Toiletten in der U-Bahn-Station waren ein beliebter Konsumort für Nina und ihre Freunde. Einmal erlebte sie, wie jemand an einer Überdosis gestorben ist. "Der Sanitäter ist damals gekommen und konnte nur mehr den Tod des Mannes feststellen", erinnert sie sich. Die Polizei wusste, dass in den WCs konsumiert wurde. Immer wieder wurde Nina dort erwischt. Manchmal konnte sie schon in der Kabine hören, dass sich Beamte zur Kontrolle näherten. Aus Panik hat sie sich dann das aufgekochte Heroin gespritzt, ohne zu warten, bis es abgekühlt war. "Das ist dann extrem schlimm für den Körper", sagt die 38-Jährige.

Frau vor Stiegenhaus in Parkanlage in Wien.
Als Nina sich noch Heroin spritzte, zog sie sich oft in die Parkgarage am Karlsplatz zurück.
privat

Rechtliches Dilemma in Graz

2007 kam nach langem Warten aber ein Nein zu Fixerstuben am Karlsplatz von der damaligen Stadtregierung. Die Szene wäre klein und würde sich ohnehin nicht an einem Ort aufhalten, hieß es. Der Platz wurde zur polizeilich überwachten Schutzzone und an vielen Stellen neu gestaltet. Nina ist überzeugt, dass man Verstecke, also verwinkelte Gassen, Stiegen und Passagen für Menschen wie sie verschließen wollte. Die Menschen, die konsumieren, gebe es aber immer noch, nur woanders, sagt sie.

Kurz nachdem die Initiative in Wien scheiterte, startete Graz einen Versuch. Der Leiter des Referats für Sozialmedizin, Ulf Zeder, steht hinter dem Konzept für einen Konsumraum in Graz. Dieser sollte 2009 im Kontaktladen, einer Anlaufstelle für drogenabhängige Personen, eingerichtet werden.

Ein Argument für den Drogenkonsumraum damals war, dass viele Spritzen in den öffentlichen WCs der Stadt gefunden wurden. Laut Zeder zählte man dort im Monat durchschnittlich 5.000 Spritzen. Anstatt sich unter unhygienischen Bedingungen in den WCs zu spritzen, sollten Suchtkranke in sechs Konsumräume ausweichen. Medizinisches Personal wäre für Notfälle im Haus. Und: Die Konsumierenden dürften nicht von der Polizei verfolgt werden.

Die letzte Forderung wurde zum Knackpunkt und stieß beim Innenressort auf Widerstand: "Jeder Beamter, der von einem Suchtgiftmissbrauch weiß und diesen nicht ahndet, macht sich strafbar", hieß es damals vom Innenministerium – ein rechtliches Dilemma. Der Plan eines Drogenkonsumraums für Graz fiel damit ins Wasser.

Spritzbesteck für Heroin
"In den Konsumräumen in Deutschland kann geraucht, zerbröselt, inhaliert, gespritzt werden. Eigentlich alles", sagt Suchtexperte Heino Stöver.
AFP/ANDY BUCHANAN

Rekordhoch an Drogentoten

Das Innenministerium sagte in einer Stellungnahme zum STANDARD: "Der Handel und der Konsum von Suchtgift ist in Österreich verboten. (...) Das BMI arbeitet nach geltendem Recht und geltenden Gesetzen." Zeder sagt dazu: "Gesetze kann man ändern." Abhängigkeitserkrankte Menschen seien eben krank, meint der Psychologe. Mit den Folgen dieser Erkrankung müsse man umgehen und könne sie auch bei bester Prävention nicht vermeiden.

Aber nicht alle Suchtexperten halten Drogenkonsumräume für notwendig. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und -therapie an der Medizinischen Universität Wien, sieht das größere Problem bei den mangelnden Kassenpsychiaterinnen und -psychiatern. Zudem betont sie, dass sich die Szene verändert habe. Konsumräume würden sich vor allem für den Heroinkonsum eignen, dabei stagniert dieser hierzulande. Eine Zunahme bemerkt die Ärztin aber primär bei Amphetaminen oder Kokain: "Die werden ohnehin in Gruppen konsumiert, in einer überwachten Umgebung", sagt Fischer im Gespräch mit dem STANDARD.

Auch laut Drogenbericht ist die Lage des Opioidkonsums in Österreich stabil. Zwischen 35.000 und 40.000 Personen konsumieren risikoreich Opioide, also wiederholt und sich selbst schadend. Dabei geht es großteils um Heroin oder suchtgifthaltige Medikamente. Die Hälfte der Opioidabhängigen lebt in Wien. Die Zahl der Neueinsteigerinnen und -einsteiger stagniert. Dennoch werden bei Drogentoten am häufigsten Opioide nachgewiesen. Die letzte Zählung der Drogentoten aus dem Jahr 2022 erreichte ein Rekordhoch von 248. "Der multiple Drogenkonsum mit Beteiligung von Opioiden spielt in Österreich die zentrale Rolle", heißt es im Bericht zur Drogensituation in Österreich.

Zwei Tote bei Millionen Konsumvorgängen

Neben Österreich verzeichnete auch Deutschland 2022 mehr Drogentote – insgesamt 1.990. Laut Befürwortern wäre diese Zahl ohne Drogenkonsumräume höher: Rund 1.000-mal im Jahr schreitet das Personal bei lebensbedrohlichen Notfällen ein. In den drei Jahrzehnten seit deren Einführung kam es in Drogenkonsumräumen zu zwei Todesfällen – trotz Millionen von Konsumvorgängen.

Die Verstorbenen hätten zudem an Vorerkrankungen gelitten. Das berichtet zumindest Heino Stöver, Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung in Frankfurt. Er arbeitete schon im ersten Drogenkonsumraum Deutschlands – nach dem Vorbild des ersten Konsumraums Europas im schweizerischen Basel. "Da haben wir den Konsum auf der Toilette geduldet", erinnert sich Stöver an die Hochzeit des Heroins Mitte der 1980er-Jahre. "Wir haben festgestellt, dass viele Menschen sterben, auf öffentlichen Plätzen, in Toiletten, zwischen parkenden Autos, auf Bahnhöfen. Und wir haben gesehen, dass es immer mehr Infektionen mit Hepatitis C oder HIV gibt", berichtet der Suchtforscher.

Damals hatte er mit Kollegen den Raum in Bremen illegal betrieben und den Menschen überlassen, die sich dort Heroin spritzten. "Ich erinnere mich noch an meine erste Erfahrung mit einem Mann, der frühmorgens reinkam. Er war sehr gut angezogen und gut genährt", sagt Stöver. Anfangs hatte er gedacht, der Mann sei ein Polizist in Zivil. "Aber der Mann war an jenem Morgen aus der Haft entlassen worden und hatte sich sofort wieder mit Gift versorgt, also mit Heroin." Stöver hörte nur ein Poltern. Als er in den Raum lief, sah er, dass der Mann umgekippt war. "Ich ging sofort rein und habe ihn mit einem Ambu-Beutel beatmet. Es ging alles gut."

Laut Stöver war der Konsumraum ein offenes Geheimnis, doch als eine damalige Senatorin in einem ZDF-Interview öffentlich darüber sprach, platzte das illegale Projekt. "Am nächsten Tag stand die Polizei bei uns im Raum. Wir mussten das Angebot beenden."

"Brücke zur Beratung"

Inzwischen gibt es in acht der 16 deutschen Bundesländer insgesamt 31 Drogenkonsumräume – ganz legal. Ein weiterer soll in Freiburg dazukommen. Diese dienen nicht nur denjenigen, die Drogen spritzen: "In den Konsumräumen in Deutschland kann geraucht, zerbröselt, inhaliert, gespritzt werden. Eigentlich alles", sagt Stöver. Laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) machen Konsumräume den Konsum sicherer, auch weil frische Spritzbestecke verteilt werden und Notfallhelfer vor Ort sind. Außerdem können laut EMCDDA dort marginalisierte Gruppen erreicht werden. Gerade die Crack-Krise habe die deutsche Politik sensibilisiert, meint der Suchtforscher: "Leute kochen und rauchen Crack in der Pfeife. Öffentlich natürlich. Das will auch keiner sehen, frühmorgens." In Konsumräumen könne man an die ansonsten schwer erreichbare Gruppe rankommen. "Am Ende sind Konsumräume auch Brücken in weiterführende Hilfsangebote und Beratung zum Entzug."

In Österreich haben Suchtkranke auch ohne Drogenkonsumräume viele Möglichkeiten, sich helfen zu lassen. Nina meint, den Wiener Hilfsangeboten viel zu verdanken, heute arbeitet sie selbst in der Beratung suchtkranker Menschen. Immer wieder aber betont die 38-Jährige, sich selbst für das Ende ihrer Drogenkarriere entschieden zu haben: "Wenn jemand nicht selbst auf die Idee kommt, wird die Person auch bei der besten Hilfe nicht aufhören."

Heute ist sie im Substitutionsprogramm und sagt, seit zwölf Jahren nicht mehr psychisch abhängig zu sein. Sie denke oft an jene, die in einer ähnlichen Situation sind, wie sie es einmal war. "Klar gibt es viele Hilfsangebote, die gut funktionieren, wie Spritzentausch, Beratung, Drug-Checking", räumt Nina ein, "aber man hilft den Menschen auch, wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, mit weniger Risiko ihre Drogen nehmen zu können. Auch wenn es sich nicht so anfühlt." (Isadora Wallnöfer, 13.2.2024)