Sekt wird in Gläser gegossen zum Anstoßen
Eine Gelegenheit zum Anstoßen ist schnell gefunden. Doch im Jänner verzichten auch in Österreich immer mehr Menschen auf Alkohol.
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Es ist Jänner, und viele Kehlen bleiben trocken. Kein Feierabendbier, kein Glaserl Wein zum Essen, kein Anstoßen mit Sekt zum Geburtstag unter Kollegen. "Dry January" heißt der Trend, dem immer mehr Menschen folgen, der Begriff hat sich sogar im deutschen Sprachgebrauch gut etabliert. Und auch in den Köpfen vieler Menschen ist er nachhaltig angekommen.

"Ich mache Dry January, weil ich mich da nicht erklären muss", erzählt etwa der 42-jährige Wolfgang (Name geändert). Er ist beruflich in einer Führungsposition und häufig auf Veranstaltungen, wo natürlich Alkohol ausgeschenkt wird. Und er trinkt auch gern einmal ein Glas – aber nicht immer. "Stößt man dann nicht mit an, sorgt das oft für mühsame Kommentare, Überzeugungsarbeit des Gegenübers, doch ein Glas zu nehmen, oder man wird als ungesellig abgetan." Es werde in Österreich vielfach nicht akzeptiert, dass man einmal nichts trinken möchte, ist seine Erfahrung. "Aber im Dry January geht das, da fragt mittlerweile niemand mehr nach."

Die Geschwindigkeit, mit der sich das Phänomen international durchgesetzt hat, ist dabei beeindruckend. Die Initiative wurde 2013 von der britischen Charity-Gesundheitsinitiative Change Alcohol erstmals ausgerufen. Auslöser waren die Erfahrungen der Mitarbeiterin Emily Robinson, die 2011, als sie sich auf einen Halbmarathon vorbereitete, erstmals im Jänner auf Alkohol verzichtete – und von den Auswirkungen begeistert war. 2013 waren 4000 Menschen offiziell dabei. 2024, elf Jahre später, sind es allein in Großbritannien mehr als 175.000. Das sind nur die offiziellen Zahlen. Wie viele Menschen dem Trend tatsächlich folgen, kann man nur vermuten.

Vieltrinkerland Österreich

Dass sich der Trend auch in Österreich so etabliert, ist ein gutes Zeichen. Denn die Menschen hierzulande zählen zu den Vieltrinkern. "Bei uns mischen sich die nördliche und die südliche Trinkkultur", erklärt Ernährungswissenschafterin Marlies Gruber die Gründe für den hohen Konsum. "Im Süden ist die Kultur eher permissiv, man trinkt jeden Tag ein bisschen, meistens ein Glas Wein zum Essen." In Nordeuropa ist Alkohol eher verpönt, man trinkt ihn selten, meist am Wochenende. Dann wird aber auch öfter über die Stränge geschlagen.

In Österreich vereint man von beiden Kulturen den gesundheitlich bedenklicheren Teil: "Man trinkt oft und dann auch viel. Das Seiterl am Nachmittag etwa ist für viele so normal wie für andere der Kaffee zum Kuchen", weiß Gruber. Als Folge zählt Österreich zu den trinkfreudigsten Ländern überhaupt. Im OECD-Bericht "Health at a Glance", der regelmäßig Gesundheitsdaten in den 38 Mitgliedsländern erfasst, firmiert Österreich beim Alkoholkonsum an sechster Stelle. Pro Kopf konsumieren wir 11,1 Liter Reinalkohol im Jahr. Das entspricht etwa 114 Flaschen Wein mit 13 Volumprozent oder 444 großen Bier à fünf Volumprozent.

Diese Mengen gehen weit über das hinaus, was als gesundheitlich unbedenklich gilt. Und das ist übrigens viel weniger, als die meisten denken. Für Frauen gelten zehn Gramm Alkohol pro Tag als ungefährlich, das ist in etwa 0,1 Liter Wein, also einem knappen Achtel, enthalten. Bei Männern – sie können Alkohol aufgrund ihrer Körperzusammensetzung besser verarbeiten – sind es immerhin 20 Gramm, also in etwa so viel wie in einem großen Bier. Ein höherer, aber moderater Konsum ist zumindest nicht massiv gefährdend. Aber ab 40 Gramm Alkohol bei Frauen und 60 Gramm pro Tag bei Männern ist definitiv die Gefährdungsgrenze überschritten.

Ganzkörperwirkung

"Alkohol wirkt als Zellgift dabei auf den gesamten Körper, auf die Leber, den Darm, die Haut, die Blutgefäße und auf das Gehirn", weiß Karoline Horvatits, Internistin mit Schwerpunkt auf Gastroenterologie. Seine toxische Wirkung beeinträchtigt die Schlafqualität, beeinflusst den Hormonhaushalt, erhöht den Blutdruck, steigert das Krebsrisiko, vor allem im Dickdarm um bis zu 20 Prozent, schädigt die Haut und hemmt die Fettverbrennung, um nur einiges aufzuzählen.

Spricht man von Schädigung durch Alkohol, denken viele sofort und hauptsächlich an die Leber. Deren potenzielle Schädigung ist aber vor allem bei Alkoholmissbrauch ein Thema. Bei mittlerem Konsum, auch wenn er über den unbedenklichen Mengen liegt, ist sie weniger stark in Mitleidenschaft gezogen, als viele glauben, erklärt Michael Fischer, Leiter des Instituts für Physiologie an der Med-Uni Wien. Ihren Zustand kann man außerdem gut überprüfen: "Es gibt einige Parameter im Blut, die routinemäßig bestimmt werden und die den Zustand der Leber sehr klar zeigen. Bereiche, die noch keine Zirrhose zeigen, regenerieren sich üblicherweise."

Das viel größere Problem ist, dass sich regelmäßiger, auch moderater Konsum langfristig massiv auf den Gesamtgesundheitszustand auswirken kann. Das spürt man aber nicht akut, es zeigt sich schleichend. Und deshalb ist es auch nicht so leicht fassbar. "Das sind dann genau die Lebensstilfaktoren, die in unserer westlichen Welt ja für sehr viele Erkrankungen verantwortlich gemacht werden. Alkohol ist da ein relevanter Faktor, neben Ernährung oder Bewegung", sagt Fischer.

Schluss mit Hangxiety

Was man beim Alkoholkonsum – oder beim Verzicht darauf – unmittelbar bemerkt, sind die Auswirkungen auf den Schlaf, die Hautbeschaffenheit oder die Libido. Aber auch die psychische Verfassung kann in Mitleidenschaft gezogen werden, positiv wie negativ.

Positiv ist, dass man keine "Hangxiety" – eine Wortkreation aus Hangover und Anxiety, also Kater und Ängste – mehr hat. Denn Alkohol kann sich stimmungstrübend auswirken, viele Menschen leiden nach einer rauschenden Partynacht nicht nur körperlich, sie fühlen sich auch richtiggehend deprimiert.

Alkohol wird aber nicht selten auch umgekehrt als Stimulans missbraucht, das die Stimmung heben soll. Denn man kann damit unangenehme Empfindungen und Stimmungen wegdrücken. "Verzichtet man auf Alkohol, kann das herausfordernd sein, weil Emotionen wie Ängste oder Stress nicht mehr betäubt werden", sagt Psychotherapeutin Joanna Piotrowska. Diese Möglichkeit sollte man sich auf jeden Fall bewusst machen, wenn man eine Alkoholkarenz plant, und andere Strategien zur Selbstregulation finden, Atemübungen etwa oder Sport.

Das Problem ist tatsächlich viel weiter verbreitet, als man denkt. Bereits das vielfach etablierte Ritual, abends ein Glas Wein zu trinken, "damit man einmal runterkommt und sich entspannt", kann ein Anzeichen dafür sein. Und genau das kann man sich in so einer Karenzzeit bewusst machen. "Es ist auch eine gute Möglichkeit, sich mit den Emotionen, die da aufsteigen, auseinanderzusetzen. Was sind das überhaupt für Gefühle? Kann ich sie benennen? Bin ich vielleicht ängstlich? Gestresst? Depressiv oder auch wütend? Und wie kann ich ohne Betäubung damit umgehen?", regt Piotrowska an.

Im Dry January steckt also viel Potenzial, da sind sich alle befragten Fachleute einig. "Es kann eine Initialzündung sein, das eigene Trinkverhalten zu hinterfragen und nach einem radikalen Beginn den Konsum langfristig zu reduzieren", sagt Internistin Horvatits. Sie empfiehlt ihren Patientinnen und Patienten, auf lange Sicht zumindest drei alkoholfreie Tage pro Woche einzuhalten.

Trend mit Potenzial

Man darf sich über die Auswirkungen aber auch keine zu großen Illusionen machen, warnt Physiologe Fischer: "Für Social Drinker, also jene mit moderatem Konsum, ändert sich aufs Jahr gerechnet nicht viel. Oft holen sie das, was sie im Jänner nicht getrunken haben, in den restlichen Monaten nach. Das zeigen Langzeituntersuchungen."

In erster Linie profitieren jene von so einer Initiative, die tatsächlich einen bedenklichen Konsum haben. "Da zeigt sich, dass etwa die Hälfte auch noch einige Monate später weniger trinkt. So ein Karenzmonat kann also etwas verändern."

Wohin sich das Trinkverhalten entwickeln kann, das zeigt ein Blick auf die jüngere Generation. Viele unter 30-Jährige pflegen einen deutlich bewussteren Alkoholkonsum. Der Einfluss der sozialen Medien macht sich da bemerkbar, sagt Ernährungswissenschafterin Gruber, die sich intensiv mit dem Phänomen befasst hat: "Viele Influencerinnen und Influencer propagieren den Dry January. Und die Jungen haben gelernt, dass sie mit dem Rausch potenziell die soziale Kontrolle abgeben. Unangemessene Posts können sich mitunter schnell und unkontrolliert verbreiten und einen enormen Wirkungskreis erreichen. Da ist die Furcht groß."

Unter anderem deshalb gibt es mittlerweile neben Dry January weitere Trends wie Mindful Drinking oder Damp Drinking, also reduziertes Trinken. Das ist womöglich auch der nachhaltigere Zugang. Denn zieht man das durch, kann man, aufs Jahr gerechnet, tatsächlich den Alkoholkonsum reduzieren. (Pia Kruckenhauser, 14.1.2024)