Paar um die 50 stoßt mit Weißwein beim Essen an
Das Flascherl Wein beim romantischen Essen gehört fast schon automatisch dazu. Doch wie viel und wie oft man Alkohol trinkt, kann sich direkt darauf auswirken, ob man beim Sex einen Orgasmus hat oder nicht.
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Das Flascherl Wein beim romantischen Dinner, ein paar Bier oder weiße Spritzer beim Aufriss in der Bar oder auch ganz einfach ein Drink zur Entspannung und um die Stimmung anzuregen: Alkohol ist für viele ein fixer Bestandteil beim Paarungsverhalten. Und sie vergessen dabei völlig, dass Alkohol erheblichen Einfluss auf die Lust haben kann. Ja klar, man weiß, dass zu viel des Guten die Erektionsfähigkeit beeinträchtigt und auch die Sensibilität, die oft entscheidend ist für den Höhepunkt. Doch Alkohol kann sich auch in kleinen Mengen schon auswirken.

Das hat etwa Maria am eigenen Leib erfahren (Name von der Redaktion geändert): "Es ist schon ab und zu vorgekommen, dass ich beim Fortgehen jemanden kennengelernt habe, und dann ist man zusammen nach Hause gegangen. Die Stimmung war locker und richtig gut, ich hatte auch wirklich Lust auf Sex. Aber schlussendlich hat es dann eigentlich nie so richtig Spaß gemacht." Nach ein paar wenigen solchen Erlebnissen hat die heute 33-Jährige beschlossen, auf potenzielle One-Night-Stands zu verzichten: "Nicht weil ich das irgendwie moralisch verwerflich finde. Ich denke, wenn man erregt ist und sich beide einige sind, kann man das mit Freude ausleben. Aber es sollte auch wirklich Lust bringen und Spaß machen. Sonst macht es doch keinen Sinn."

Dass der Alkohol damit zu tun hat, ist für Maria eindeutig klar: "Ich bin seit längerem in einer sehr harmonischen Beziehung, und der Sex mit meinem Partner macht richtig Spaß. Aber wenn ich mehr als ein Glas Wein getrunken habe, ist es vorbei mit dem Höhepunkt. Und am lustvollsten ist es ganz ohne."

Ein bisschen steigert, viel hemmt

Maria ist mit ihren Erfahrungen kein Einzelfall. Emma Schmidt, klinische Sexologin in Cincinnati, USA, hat viele Patientinnen mit geringer Libido und Orgasmusproblemen. "Viele von ihnen haben den ärztlichen Ratschlag bekommen, sie sollten doch einfach ein oder zwei Gläser Wein trinken zur Entspannung. Dann werde das schon", berichtet sie der "New York Times". Solche Ratschläge seien aber doppelt gefährlich, sagt die Sexologin: "Die Betroffenen werden mit ihren Problemen nicht ernst genommen. Und es zeigt, wie lückenhaft das kollektive Verständnis vom Zusammenspiel zwischen Alkohol und Sex ist.

Das Problem: Es gibt fast keine Forschung dazu. Eine Studie mit Ratten aus dem Jahr 1989 hat etwa untersucht, wie Alkohol das sexuelle Verhalten hemmt bzw. enthemmt. Eine Studie aus dem Jahr 2018 mit 24 Teilnehmenden hat sexuelle Erfahrungen unter Alkohol- und Marihuana-Einfluss untersucht. Die wenigen Daten, die es gibt, scheinen aber ein Muster aufzuzeigen: Kleine Mengen Alkohol dürften die Erregung steigern und sexuelle Hemmungen verringern. Aber größere Mengen könnten die Erregung unterdrücken und den Orgasmus verzögern oder auch ganz verhindern.

Das bestätigt auch Nicole Siller, diplomierte psychologische Beraterin, klinische Sexologin, systemischer Coach und Mediatorin. Alkoholkonsum wird in ihrer Praxis öfter besprochen: "Alkohol ist offensichtlich ein Thema in unserer Gesellschaft, wenn es um Entspannung geht. Und die ist ja ganz wichtig für guten Sex. Viele Menschen trinken erst einmal ein, zwei Gläser, weil ihnen das ein Gefühl der Losgelöstheit von den Alltagsproblemen vorgaukelt. So manche kommen überhaupt erst dann auf die Idee, dass sie vielleicht Sex haben wollen."

Schnelle Wirkung

Was passiert, wenn man Alkohol mit Sex kombiniert? Dafür sollte man die spezifischen Prozesse kennen, die im Gehirn ablaufen, wenn man trinkt. Alkohol setzt erst einmal Dopamin frei, das vermittelt ein angenehmes Gefühl der Belohnung. Gleichzeitig verstärkt er die Wirkung von Gamma-Aminobuttersäure oder GABA. Dieser Botenstoff hemmt die Impulse zwischen den Nervenzellen, das verlangsamt vereinfacht gesagt die Gehirnleistung, man fühlt sich entspannter. Alkohol regt außerdem die Durchblutung an, auch die der Schleimhäute.

Das heißt, man fühlt sich erst einmal durchaus angeregt, Hemmungen fallen, es entwickelt sich womöglich tatsächlich Lust. Dann kippt es aber ziemlich schnell. Denn sobald es etwas mehr wird, hat der Alkohol eine dämpfende und betäubende Wirkung auf das gesamte Gehirn. Das kann die Fähigkeit, sexuelle Reize zu verarbeiten, beeinträchtigen, man kann womöglich Muskelkontraktionen, die für den Orgasmus zentrale Bedeutung haben, schlechter koordinieren. Siller weiß: "Durch das langsamer arbeitende Gehirn ist die Erregung verzögert. Das Vergnügen wird dadurch weniger intensiv oder bleibt ganz aus."

Doch wie viel Alkohol ist noch okay? Und wann ist es zu viel? Wie immer macht auch hier die Dosis das Gift. Gesundheitlich noch gut verträglich sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO für Frauen rund 1,5 Achterl Wein, für Männer immerhin zweieinhalb Achterl. Aber wie gut man Alkohol tatsächlich verträgt, ist sehr individuell, Körpergröße, Gewicht, wie viel man üblicherweise trinkt, der generelle Gesundheitszustand und auch, wie viel man gegessen hat, beeinflussen die Wirkung. Spätestens nach zwei Gläsern dürfte die anregende Wirkung aber kippen.

Alkohol kann sich also, je nach individueller Ausganslage, schon sehr schnell auf die Lust auswirken. Offensichtlich wird das, wenn man regelmäßig größere Mengen trinkt. Bei Männern kann das negative Effekte auf die Erektionsfähigkeit haben. Und auch für Frauen steht regelmäßiger Alkoholkonsum in Verbindung mit sexueller Dysfunktion, sie haben also Probleme mit Verlangen, Erregung und Orgasmus, wie eine aktuelle Untersuchung zu Frauengesundheit zeigt.

Entspannung finden

Muss man jetzt das Gläschen Wein in romantischer Stimmung verdammen? Nein, wenn es einem schmeckt und einen nicht behindert, warum nicht? "Lustvoller Sex ist Genuss, und wenn ein guter Drink diesen Genuss fördert, ist das in Ordnung", sagt Siller. Hinterfragen sollte man diese Praxis dann, wenn man ohne Alkohol gar nicht erst auf die Idee kommt, Sex zu haben. Dann stecke nämlich ein anderes Problem dahinter: dass man nicht ausreichend entspannen kann.

"Lust ist ganz eng mit dem Stresslevel verbunden. Wenn wir zu viel Stress haben, wird die Entspannung immer schwieriger und damit auch die Lust", erklärt die Sexologin und Mediatorin. Sie empfiehlt, sich die Frage zu stellen: "Was entspannt mich außer Alkohol? Wie kann ich mir Gutes tun und mich selbst besser spüren?"

Die Strategien, wie man sich entspannt, sind ganz unterschiedlich: "Für manche ist das Sport, für andere Yoga, ein gutes Buch lesen, sich in eine heiße Badewanne legen oder Ähnliches. Ganz oft hat Entspannung etwas mit Wärme zu tun. Auch eine Umarmung sorgt für Wärme, und die kann à la longue dann womöglich auch zu lustvollem Sex führen", sagt Siller.

Medizinisch abklären

Was man dagegen nicht tun sollte, ist, "sich Mut anzutrinken", betont die Expertin. "Das klassische Vorglühen beim Fortgehen ist ja im Grunde nichts anderes, als sich in Stimmung zu bringen. Aber wenn man dann später weitertrinkt, kann es leicht passieren, dass man Signale nicht mehr richtig interpretiert, Grenzen überschreitet, eine Situation gerät womöglich aus dem Ruder. Dann ist aber kein lustvoller Sex auf Augenhöhe mehr möglich."

Alkohol kann definitiv ein Grund sein, warum man keinen Orgasmus hat. Aber natürlich gibt es noch viel mehr andere Gründe. Siller weiß: "Wenn man kein offensichtliches gesundheitliches Problem hat, schiebt man Probleme mit der Erregung schnell auf die Psyche. Aber man sollte unbedingt den ganzen Körper durchchecken lassen, wenn die Lust länger verschwindet."

Medikamente, hormonelle Probleme, Schilddrüsenfehlfunktionen, unentdeckte Krankheiten und mehr können die Erregungsfähigkeit beeinträchtigen. Und die gilt es abzuklären, am besten bei einem Arzt oder einer Ärztin, der oder die eine entsprechende Ausbildung hat. Dass Gynäkologen oder Urologinnen so eine Spezialisierung viel zu selten haben, zeigt, wie wenig selbstverständlich die Themen Sex, Orgasmus und sexuelle Gesundheit in unserer Gesellschaft noch sind. (Pia Kruckenhauser, 1.11.2023)