Carola Dertnig
In Carola Dertnigs Installation im Offenen Kulturhaus in Linz darf das Publikum zwischen zehn Meter langen Strumpfhosen schaukeln.
Michael Maritsch

Was für eine herrlich komische Szene! Die Passanten starren nur, schütteln vielleicht den Kopf. Aber etwas zu sagen, das traut sich niemand. In Wien kennt man sich ja vom Wegschauen. Eine Frau mit Koffer wandert telefonierend durch die Halle des Westbahnhofs. Aus ihrem Hosenbein hängt eine rote Strumpfhose, die immer länger wird und sich irgendwann wie eine Leine durch die Ankunftshalle sowie um die dort befindlichen Reisenden schlängelt – bis der XXL-Strumpf irgendwann reißt und die Frau in der Menge verschwindet.

In ihren Slapstickvideos macht sich Carola Dertnig den öffentlichen Raum zu eigen und fügt ihm etwas hinzu. Teilweise banal, und doch auf den Punkt gebracht, inszeniert sich die Performancekünstlerin in diversen Alltagssituationen. Da speist sie in extravaganter Kleidung ein gigantisches Stück Fleisch im Café Korb und verfüttert es an ihren vierbeinigen Begleiter. Oder versucht, mit einem Kinderwagen durch zu schmale Absperrungen bei der U-Bahn zu gelangen. Oder lässt ihren Strickmantel bei einem Spaziergang immer kürzer werden – ein endloser Faden zieht seine Spur.

"Bei diesen Arbeiten ging es mir darum, die zwei Aspekte Frau und Humor zu vereinen", erklärt die 60-jährige Künstlerin. Eine Verbindung, die lange Zeit keine Selbstverständlichkeit war. Dafür könne man heute nicht mehr einfach solche Filme drehen, ist sie sich sicher. "Es bedarf aufwendiger Genehmigungen, und jede Person, die auf dem Video zu erkennen ist, muss dem Dreh zustimmen. Das wäre Anfang der 2000er undenkbar gewesen."

Strangers mov, 2003, 3 min
Carola Dertnig

Hallo, Öffentlichkeit!

Etwa 15 Jahre lang produzierte Dertnig solche Videos. Wobei sie nicht der geschützte Raum, nicht das Inszenierte reizte. Sondern die Öffentlichkeit, die ahnungslos auf ihre performativen Arbeiten trifft. Genauso möchte die Künstlerin nun auch zufällige Besucher des Offenen Kulturhauses (OK) Linz ansprechen, wo ihr ihre bisher größte Ausstellung gewidmet wird. Diese befindet sich zwar im ersten Geschoß des OKs, ihre Videos laufen aber bereits auf kleinen Screens, die im Foyer sowie im Stiegenaufgang platziert sind.

Vor allem eine verspielte Rauminstallation aus meterlangen von der Decke baumelnden Strumpfhosen in Knallpink und Kirschrot könnte auch das vorbeigehende Kinopublikum ansprechen – und in die Ausstellung locken. Immerhin darf man sich auf die inmitten der von Wolford gesponserten Strümpfe aufgehängte Schaukel setzen und herumschwingen.

Carola Dertnig
Wie der Titel der Schau, "Dancing Through Life", bereits ankündigt, bildet der Tanz in Dertnigs Werk einen wichtigen Ausgangspunkt.
Michael Maritsch

Die Bewegung nimmt in Dertnigs Werk einen zentralen Stellenwert ein. Wie der Titel der Schau, Dancing Through Life, bereits ankündigt, spielt vor allem der Tanz – im weitesten Sinne – eine wichtige Rolle und liefert zugleich die Verbindung von Dertnigs Vita mit der oberösterreichischen Hauptstadt. In Linz absolvierte die Künstlerin, die seit 2006 den Fachbereich Performative Kunst an der Akademie der bildenden Künste Wien leitet, ihr Tanz- und Gymnastikstudium am damaligen Bruckner-Konservatorium.

Diese Phase gilt quasi als Ausgangspunkt für ihre intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, wie frühe Videoclips und analoge 3D-Fotografien, die in den 90ern in New York entstanden und in denen Dertnig mit Freunden ausgelassen tanzt, belegen.

Archive der Gegenwart

Speziell die Auseinandersetzung mit der Feldenkrais-Methode prägt Dertnigs vielseitiges Schaffen in den letzten Jahren. Das körperorientierte Verfahren nach dem gleichnamigen Begründer besagt, dass man durch seine Anwendung bestimmte Schmerzen heilen und die Qualität von Bewegungen verbessern kann. Ab 2017 begann die Künstlerin, ausgehend von einem privaten Archiv Bewegungsmuster in performative Skulpturen zu übersetzen.

Carola Dertnig
Von der Feldenkrais-Methode inspiriert, übersetzt Dertnig seit 2017 Bewegungsmuster in performative Skulpturen.
Michael Maritsch

Dafür nutzte sie einfache Rohre aus dem Baumarkt, die sie vor Ort zurechtbog und anschließend bezahlte. In Linz formen sich nun einige davon zu einem abstrakten Bühnensetting. In Performances und einer Filmtrilogie, die Dertnigs Tochter sowie zwei Freundinnen an unterschiedlichen Orten begleitet, werden sie dann auch aktiviert.

Die Arbeit mit Archiven zieht sich wie ein roter Faden (oder Strumpfbein?) durch das Werk der gebürtigen Tirolerin. Immer wieder greift Dertnig auf Historisches zurück und fügt dem etwas Gegenwärtiges hinzu. So zum Beispiel in ihrer feministischen Erzählung zum Wiener Aktionismus von 2005, in der sie die primär männlich dominierte Kunstströmung mit der fiktiven Aktionistin Lora Sana ergänzt.

Erst im Herbst 2023 wurde im Rahmen der Kunstmesse Vienna Contemporary ein von Dertnig gestaltetes Denkmal für die legendäre Wiener Saxofonistin und Zirkusartistin Lucia Westerguard im Wiener Stadtpark errichtet – das bisher erste für eine Frau. (Katharina Rustler, 7.2.2024)