US-Kapitol bei Nacht
Nicht zum ersten Mal sorgen politische Machtkämpfe im US-Kongress für massive Aufregung.
EPA/SHAWN THEW

Jahrelang standen deutsche Politiker bei Washington-Besuchen wegen der schwachen Verteidigungsanstrengungen massiv in der Kritik. Wenn Olaf Scholz an diesem Freitag mit Präsident Joe Biden im Oval Office zusammentrifft, haben sich die Fronten komplett verkehrt. "Wir müssen unser Äußerstes geben, um einen Sieg Russlands (in der Ukraine, Anm.) zu verhindern", mahnte der deutsche Regierungschef am Donnerstag in einem kämpferischen Gastbeitrag für das konservative Wall Street Journal. Doch die US-Republikaner verhindern weitere Hilfen für Kiew.

Gerade einmal 49 von 100 Senatoren stimmten am Mittwoch für ein gewaltiges Sicherheitspaket, das vier Monate lang von Vertretern beider Parteien ausgehandelt worden war und 60 Milliarden Dollar Unterstützung für die Ukraine vorsah. Für eine Weiterleitung des Pakets an das Repräsentantenhaus wären 60 Stimmen erforderlich gewesen. Vor ein paar Tagen schien das noch möglich. "Am Sonntagnachmittag hatten wir 20 bis 25 Republikaner, die mit uns stimmen wollten", berichtete der demokratische Senator Chris Murphy. "24 Stunden später waren es noch vier."

Trump intervenierte

In der Zwischenzeit hatte Donald Trump interveniert und massiv zur Ablehnung des Gesetzespakets gedrängt. Dem mutmaßlichen republikanischen Präsidentschaftskandidaten waren vor allem die ebenfalls geplanten Finanzmittel zur besseren Sicherung der US-Grenze und die massiven Verschärfungen des Asylrechts ein Dorn im Auge, da er die derzeitige Migrationskrise in den USA für seinen Wahlkampf ausschlachten möchte. Eindringlich hatte Präsident Biden an die Senatoren appelliert, "Rückgrat zu zeigen". Doch selbst deren Fraktionschef Mitch McConnell beugte sich dem Diktat des Parteiführers.

Nach dem krachenden Scheitern des sorgsam austarierten Kompromisses, der wegen des Widerstands der republikanischen Basis bewusst die Ukraine-Hilfen mit der US-Grenzsicherung verknüpft hatte, herrschen nun Chaos und Ratlosigkeit in Washington. Das republikanisch dominierte Repräsentantenhaus unter Leitung des profillosen Trump-Opportunisten Mike Johnson ist ohnehin so gut wie handlungsunfähig. Wenn überhaupt, müsste ein allerletzter Rettungsversuch für die Ukraine-Hilfen vom Senat angestoßen werden.

Der demokratische Senats-Mehrheitsführer Chuck Schumer hat nun ein von 118 auf 95 Milliarden Dollar abgespecktes Gesetzespaket vorgelegt, das wie bislang die Hilfen für die Ukraine, Israel und Taiwan enthält, aber keinerlei Mittel für die US-Grenze. Damit begibt er sich im Grunde zurück an den Ausgangspunkt der Debatte vor vier Monaten.

Der Senat stimmte Donnerstag mit der nötigen Mehrheit von über 60 Stimmen dafür, das Paket weiter auf den Weg zu bringen. Doch nun steht dem Vorhaben im Repräsentantenhaus wohl eine beispiellose wochenlange Schlacht bevor. Trump hat klargemacht, dass er auch weitere Ukraine-Hilfen ablehnt.

Offene Drohungen

Eine seiner feurigsten Unterstützerinnen, die rechtsradikale Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, droht Johnson deshalb mit einem Abwahlantrag, falls er über Ukraine-Hilfen auch nur abstimmen lässt. Nach dem Sturz seines Vorgängers Kevin McCarthy weiß Johnson genau, dass ein solcher Vorstoß sein politisches Ende bedeuten könnte. Er vermeidet daher jegliche inhaltliche Festlegung.

Die Ukraine-Unterstützer im Kongress schwanken derweil zwischen schäumender Wut und Verzweiflung. "Ich bin durch alle Stadien der Trauer gegangen", erklärte die moderate republikanische Senatorin Lisa Murkowski. Nun sei sie nur noch "pissed off". "Die ganze Sache ist empörend", wetterte ihre demokratische Kollegin Debbie Stabenow, "beschämend für die USA."

Ein paar Tausend Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Atlantiks fand Polens Regierungschef Donald Tusk noch klarere Worte: "Ronald Reagan, der Millionen von uns geholfen hat, unsere Freiheit und Unabhängigkeit zurückzugewinnen, muss sich heute im Grabe umdrehen", schrieb er beim Kurznachrichtendienst X den republikanischen US-Senatoren ins Stammbuch. "Schämen Sie sich!" (Karl Doemens aus Washington, 8.2.2024)