Hafen Hamburg
Das geplante Lieferkettengesetz sieht vor, dass Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn in ihren Geschäftsketten Menschenrechte oder Umweltstandards nicht eingehalten werden.
IMAGO/Martin Wagner

Noch ist sie nicht zu Ende: die Debatte um das EU-Lieferkettengesetz. Lange wurde gerungen, bis man sich im Dezember 2023 im Trilog auf einen Kompromiss verständigte. Nun wurde die Entscheidung über die sogenannte CS3D (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) vertagt. Am Freitag stimmte der EU-Rat über die Richtlinie ab. Um das Vorhaben durchzubringen, hätte es eine qualifizierte Mehrheit gebraucht.

Nicht nur Österreich und Deutschland hatten im Vorfeld erklärt, sich enthalten zu wollen. Auch Schweden, Estland, Lettland, die Slowakei, Tschechien und Litauen zählten zu den Ländern, in denen die Skeptiker die Oberhand hatten. Umstritten ist der Weg, nicht das Ziel: "Dass man sich nach ethischen, moralischen, nachhaltigen Prinzipien entlang der Lieferkette verhalten muss", dieses Bestreben sei absolut nachvollziehbar, sagt etwa die deutsche Ökonomin Veronika Grimm in einer Diskussion bei Markus Lanz.

Die EU will dies auf gesetzlicher Ebene regeln: Unternehmen sollen prüfen, ob ihre Zulieferer und deren Lieferanten Menschen- und Umweltrechte entlang der weitverzweigten Lieferketten einhalten.

Mehr Transparenz

Betriebe ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro, in Risikosektoren wie Textilbranche, Agrarwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Bauwirtschaft ab 250 Beschäftigten und 40 Millionen Umsatz – all jene, die Rohstoffe, Produkte und Teile aus den entlegensten Ecken beziehen, sollen sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell etwa nicht auf Kinderarbeit basiert.

Sind nun die Gegner vor der Wirtschaft eingeknickt, wie die Befürworter kritisieren? Ganz so einfach ist es nicht. Zahlreiche Wirtschaftsfachleute warnten schon im Vorfeld vor unerwünschten Nebenwirkungen. "Das Lieferkettengesetz wird, fürchte ich, dazu führen, dass sich die europäischen Firmen aus den 'Risikoländern' gänzlich zurückziehen und somit diesen Ländern den wirtschaftlichen Aufstieg schwerer machen" stützt etwa die Ökonomin Monika Köppl-Turyna vom arbeitgebernahen Institut Eco Austria ein Argument, das auch Grimm und die Ökonomen Harald Oberhofer und Martin Halla von der WU Wien teilen. Halla verweist auf X auf einen "Klassiker der Entwicklungsökonomie" aus dem Jahr 1998: "The Economics of Child Labor", eine Arbeit von Kaushik Basu and Pham Hoang Van. Basu war Berater der indischen Regierung und einige Jahre Chefökonom der Weltbank. Er setzte sich mit der Frage auseinander, warum Familien ihre Kinder arbeiten schickten. Eine der Kernaussagen: Armutsbekämpfung sei das wirksamste Mittel – auch gegen schlechte Arbeitsbedingungen.

Instrumente gesucht

Auf das Lieferkettengesetz umgelegt hieße das: Das Ziel ist gut, die Instrumente sind es nicht. So lautet auch der Tenor der Fachleute, die sich gegen die aktuelle Fassung der Richtlinie aussprechen. Die Wirtschaft fürchtete dagegen vor allem den bürokratischen Aufwand. Sie wurde in ihrer ablehnenden Haltung von Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) gestützt. Für die Befürworter des Vorhabens – eine breite Allianz aus Arbeiterkammer, Gewerkschaften, SPÖ und NGOs – ein Einknicken vor den Interessenvertretungen der Wirtschaft. Es ist ein weiterer Keil zwischen ÖVP und Grünen. Die Ministerinnen Alma Zadić und Leonore Gewessler hatten sich für ein starkes Lieferkettengesetz ausgesprochen. Kocher (ÖVP) will zurück an den Verhandlungstisch. Laut EU-Kreisen könnte am 14. 2. abgestimmt werden. "Bitte nachverhandeln und nicht ad acta legen", plädiert auch Wifo-Experte Klaus Friesenbichler auf der Plattform X.

Er hält ein "effektives, administrables und kosteneffizientes" Lieferkettengesetz für wünschenswert. Im Ö1-Morgenjournal schlug Friesenbichler ein Versicherungs- oder Zertifizierungssystem vor. Durch die Haftungsübernahme von Zertifizierungsstellen könnten Komplexität und Risiko für Unternehmen reduziert werden.

Einigung auf strengere Emissionsstandards für Lkws

Grünes Licht gaben die EU-Staaten am Freitag hingegen für strengere CO2-Emissionsstandards bei Flotten von schweren Fahrzeugen wie Lkws oder Bussen. Zuvor hatte es so ausgesehen, als ob Deutschland das Vorhaben wegen Meinungsverschiedenheiten in der Regierungskoalition kippen könnte. Am Ende kam es in Berlin aber zu einer Einigung. Aus Wien hatte es in der Früh gegenüber der APA geheißen, dass man dem Text zustimmen wolle.

Im Jänner hatten EU-Parlament und Rat vereinbart, dass Flotten von schweren Nutzfahrzeugen bis 2030 um 45 Prozent weniger Emissionen verursachen dürfen als noch 2019. Bis 2035 sollen es 65 Prozent sein und bis 2040 dann 90 Prozent. Ausnahmen von den gesetzten Zielen soll es zum Beispiel für landwirtschaftliche, militärische oder von der Feuerwehr oder Rettung benutzte Fahrzeuge geben. Gesonderte Regeln solle es zudem für innerstädtische Busse geben. Ab 2035 sollen nur mehr zu 100 Prozent emissionsfreie Busse neuzugelassen werden. Bis 2030 wird eine flottenweite Reduktion von 90 Prozent gefordert. Nachdem heute die EU-Staaten die geplante Verordnung abgesegnet haben, muss nun noch das EU-Parlament im Plenum darüber abstimmen. Danach können die EU-Regeln in Kraft treten. (Regina Bruckner, 9.2.2024)

Dieser Artikel wurde um 16.27 Uhr aktualisiert.