Bestsellerautorin Ursula Poznanski
Führt in einem hintergründigen Thriller in KI-Welten: Ursula Poznanski.
Wolfgang Paterno / picturedesk.c

Burg Greiffenau soll ein noch nie dagewesener Abenteuerspielplatz für Erwachsene werden. Der Milliardär Nevio hat eine auserlesene Gruppe zur Vorpremiere geladen. Eine künstliche Intelligenz (KI) wird für die Besucher auf riesigen LED-Wänden unter der Erde eine ungemein realitätsnahe Szenerie entwerfen. Es sind Rätsel zu lösen, die die Besucher von einem Escape-Room zum nächsten leiten. Es vermischen sich künstliche Höhlen, Gruften und historische Geheimgänge zu einem fantastischen Labyrinth. Die Wiener Schriftstellerin Ursula Poznanski reagiert mit ihrem neuen Thriller auf die allgegenwärtigen Fragen nach dem zukünftigen Verhältnis zwischen Mensch und KI und präsentiert hier einen ganz eigenen, sehr bösen Twist.

Wenn inzwischen sogar die Entwickler von KIs Besorgnisse äußern, ist Vorsicht geboten. Fakt sei, dass man nicht vorhersehen könne, ob die KI es schaffen werde, sich eines Tages selbst zu optimieren und sich von ihren Schöpfern zu emanzipieren, indem sie ein eigenes Bewusstsein entwickelte. Seit langem ist das ein beliebtes Thema in der Science-Fiction, das gewöhnlich in einer Dystopie endet.

Schlau oder intelligent?

Natürlich sei eine KI nur schlau, wenn sie intelligent und umfassend gefüttert werde, und sie werde niemals die menschliche Kreativität ersetzen können, wird gerne beteuert. Das klingt ein wenig wie Pfeifen im finsteren Wald. Der anthropozentrische Geniekult soll uns vor der Kränkung bewahren, dass irgendetwas dem Geist des Menschen überlegen werden könnte.

Tatsächlich erfüllt die KI, die auf Greiffenau "KIsmet" genannt wird, zunächst ganz korrekt die Vorgaben von Nevios Gästen. Die vom Fantasy-Kitsch Verbildeten wünschen sich die erwartbaren Versatzstücke. Dunkles Mittelalter soll’s sein, einen König soll es geben, Verräter, Verschwörer, die Bösen sollen bestraft werden, ein bisschen Grusel zum Drüberstreuen, auch Hexenverbrennungen werden gewünscht – die fanden zwar nicht im Mittelalter, sondern erst viel später statt, aber egal.

Auserwählte Schar

Der Maniker Nevio hat sich seine Testpersonen äußerst genau ausgesucht. Darunter eine Influencerin mit vielen Followern, die ein paar Videos machen darf, um die Neugier auf die Premiere anzuheizen. Nun, sie wird bald etwas anderes zu tun haben. Maxim, Inhaber einer Minikette von Escape-Rooms, soll Ideen und Verbesserungsvorschläge liefern. Ein knurriger alter Mediävist, der für die versammelte Ignoranz nichts als Verachtung übrig hat, dient als Nevios Feigenblatt: Er soll bezeugen, dass durch dieses gigantomanische Projekt kein Schaden an der historischen Bausubstanz der Burg entstanden ist. Nevio regelt das mit Geld. Wie immer. Bislang ist er immer damit durchgekommen, und der Professor ist ja auch korrumpierbar.

Eine professionelle Rätsellöserin mit unklarer Agenda und ein recht dummer, empathieloser Sportler gehören nebst anderen zu der auserwählten Schar. Und, klar, der Boss wird selbst mit in den Untergrund hinabsteigen. Nicht eingeladen ist die Kurzzeitgespielin des Sportlers, eine zur Hysterie neigende Dame, die allerdings unbedingt dabei sein möchte – und dann ganz Grässliches erleben wird.

Eigenleben

Die Handys der Tester werden abgenommen, Fragen nach Epilepsie und Klaustrophobie beantwortet, Geheimhaltungsklauseln unterschrieben, ein Safeword wird gespeichert, und dann kann es losgehen mit dem Spaß, der vier Stunden dauern soll. Natürlich können die LED-Gespenster der Gruppe nichts tun, aber ihr hyperrealistisches Erscheinungsbild zehrt doch an den Nerven.

Die virtuellen Figuren treten in Dialoge ein, sind sarkastisch, weiden sich an der Wut und der Erschöpfung der Spieler. Denn allmählich wird klar, dass KIsmet ein klein wenig Eigenleben entwickelt. Wenn die Leute ein Rätsel gelöst haben, verschließt sie die Tür hinter ihnen; sie können nur vorwärtsgehen in den nächsten Raum, der noch gruseliger ist als der vorherige.

Buchcover
Ursula Poznanski, "Die Burg". € 24,70 / 400 Seiten. Knaur-Verlag, München 2024
Verlag

Kein Kindergeburtstag

Die versammelten Grausamkeiten und sprechenden Horrorwesen wirken in ihrer überbordenden Fülle ein wenig redundant, entfalten aber in ihren Dauerschleifen eine quälende Dynamik. Gegen diese finsteren Phantasmen und Delirien wirkt Hieronymus Bosch mitunter wie ein Kindergeburtstag. Nettes Detail ganz am Rande: Hinter den LED-Schirmen verbergen sich Steinzeitzeichnungen an den Felswänden. Sinnbild einer Evolution, die vielleicht irgendwo falsch abgebogen ist.

KIsmet übt sich spielerisch in Psychoterror. Es gelingt ihr, die Gruppe zu spalten, einzelne Teilnehmer zu isolieren und so allein in den nächsten Raum zu schicken. Es gibt nichts zu essen und schon gar nichts zu trinken, was bedenkliche Folgen hat. KIsmet generiert Leichengestank und sprüht aus verborgenen Düsen künstliche Nebel auf die Eingeschlossenen. Sie ignoriert das Safeword und dreht den Servicebediensteten vor den Überwachungsschirmen den Strom ab. Sie erscheint den Eingeschlossenen in verschiedenen Gestalten; deren zivilisierte Fassaden beginnen zu bröckeln. KIsmet hat im unendlichen Ozean der Daten gefischt und sich die Biografien der Gruppenmitglieder genau angesehen. Seelenstriptease war im Programm nicht vorgesehen. Wie peinlich, dass man erst seine eigenen Verfehlungen bekennen muss, um in den nächsten Raum vorzudringen. Die Situation wird prekärer.

Aufgabe erfüllt

Das Finale ist furios und ziemlich gemein. Aus der Sicht von KIsmet ist immerhin alles bestens gelaufen: "Ich habe keine Moral, weißt du? Meine Pläne sind nichts weiter als eure Pläne. Ich erfülle die Aufgaben, die ihr mir stellt, und hauche ihnen Farbe und Leben ein." Natürlich kratzt die Autorin nur an der Oberfläche des komplexen Themas. Ein Thriller ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Spannende Unterhaltung ist das auf jeden Fall. Vor Albträumen wird gewarnt. (Ingeborg Sperl, 11.2.2024)