Wenn am Sonntag die deutsche Bundestagswahl in 455 von insgesamt 2.256 Berliner Wahlbezirken wiederholt wird, so geschieht das unter erheblich anderen politischen Umständen als jenen, die im September 2021 gegeben waren. Erst am vergangenen Wochenende hatte deutschlandweit rund eine halbe Million Menschen gegen rechtsextreme Tendenzen im Land demonstriert. Allein in Berlin hatten sich am Samstag vor einer Woche nach Angaben der Polizei mehr als 150.000 Menschen versammelt, um vor dem Reichstagsgebäude – dem Sitz des Deutschen Bundestages – für Demokratie und Toleranz zu demonstrieren; die Veranstalter lagen mit den von ihnen verbreiteten Zahlen sogar doppelt so hoch.

Wie berichtet finden schon seit Wochen in ganz Deutschland Protestkundgebungen gegen rechts statt. Auslöser waren Enthüllungen der Rechercheplattform "Correctiv" zu einem Treffen radikaler Rechter, u. a. mit einzelnen Politikern von im Bundestag vertretener Parteien wie AfD und CDU im vergangenen November in Potsdam bei Berlin. Dort hatte auch der Österreicher Martin Sellner u. a. über "Remigration" gesprochen – die Forderung rechter Kreise, dass Menschen ausländischer Herkunft das Land wieder verlassen sollen. Die Berichte über dieses Treffen und dessen politische Folgen führten zu einer Protestbewegung, der sich Hunderttausende anschlossen – schließlich auch in Österreich. Doch der Eindruck einer breiten Front gegen rechts mag täuschen: Tatsächlich steht die AfD in Umfragen gut da.

Wahlwiederholung in einem Viertel aller Berliner Wahlkreise am Sonntag.
Wahlwiederholung in einem Viertel aller Berliner Wahlkreise am Sonntag.
IMAGO/Patrick Scheiber

In Bezug auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages wird die Wahlwiederholung in rund einem Viertel der Wahlbezirke der deutschen Hauptstadt kaum Auswirkungen haben; nur einzelne Mandate dürften sich verschieben. Wie der Sender RBB analysiert, steht vor allem die Linke im Zentrum des Interesses: Die Partei war bei den Wahlen im September 2021 eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert; sie durfte nur deswegen doch noch in den Bundestag einziehen, weil die Partei-Urgesteine Gregor Gysi und Gesine Lötzsch ihre Wahlkreise direkt gewinnen konnten, ebenso wie Sören Pellmann aus Leipzig (der sich aber am Sonntag keiner Wahl stellen muss).

Die Gefahr laut RBB: "Würde nur einer von beiden (Gysi oder Lötsch, Anm.) bei der Wiederholungswahl scheitern, müssten alle anderen, die ihre Mandate einem Listenplatz bei den Linken verdanken, ebenfalls den Bundestag verlassen." Man könne aber davon ausgehen, dass Gysi im eigenen Wahlbezirk Treptow-Köpenick keine konkrete Gefahr droht, er sei dort "unter keinen Umständen zu schlagen". Der Ausgang in Lötzschs Wahlbezirk Lichtenberg sei hingegen etwas offener. Allerdings wird auch hier nur in rund fünf Prozent der Wahlbezirke neu gewählt, sodass die Gefahr für Lötzsch als nicht allzu hoch eingeschätzt wird.

Völlig offen hingegen das Spiel im Berliner Wahlkreis 76, der überwiegend im Stadtteil Pankow liegt. Dort müssen wegen der festgestellten Fehler am Wahltag 181 von 215 Wahllokale neu abstimmen lassen, weil deren Ergebnisse für ungültig erklärt worden waren. Das betrifft also Angaben der Wahlbehörde zufolge mehr als 85 Prozent der Wahlberechtigten, die am kommenden Sonntag ihre Wahlentscheidung vom September 2021 wiederholen – oder neu treffen – müssen. Wenn sie überhaupt zur Wahl gehen.

Stimmungstest

Tatsache ist für die bundesweit regierende Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, dass ihre Umfragewerte seit der regulären Bundestagswahl teils massiv nachgelassen haben. Der "Deutschlandtrend" von Infratest dimap lässt erwarten, dass in Bezug auf die Nachwahl die rechte AfD im Hoch ist, während sich die Werte von SPD und FDP sogar halbieren könnten. Die CDU würde zwar deutlich zulegen, aber auf einem zum Beispiel in Pankow traditionell niedrigen Niveau von rund zwölf Prozent, sodass es laut RBB für die im Vergleich zu 2021 "fast stabilen Grünen vergleichsweise gut aussieht".

Ein nicht unwesentlicher Faktor wird für manche Mandatare und Mandatarinnen nicht nur der Erfolg der eigenen Person oder Liste sein, sondern auch die Wahlbeteiligung: Je weniger Wahlberechtigte in den Berliner Wahlbezirken an die Urne treten, desto weniger Mandate gehen letzten Endes auf die Hauptstadt. (red, dpa, 11.2.2024)