Gasflamme auf einem Herd.
In Österreich ist es großteils Pipelinegas aus Russland, mit dem geheizt und gekocht wird, anderswo vermehrt LNG.
Heribert Corn

Die Sorge war groß, Russland könnte nach dem Einmarsch in der Ukraine als Reaktion auf die Sanktionspakete Europa den Gashahn zudrehen. Anders als Kohle, Öl und zuletzt Diamanten ist Gas zwar vom Importverbot ausgenommen; die EU-Kommission hat den Mitgliedsstaaten aber geraten, rasch Ersatz zu finden. Spätestens 2027 sollen die EU-27 ganz ohne russisches Gas auskommen.

Das scheint Wunschdenken zu bleiben. Zwei Jahre nach Kriegsbeginn haben sich zwar neue Lieferströme herausgebildet, sodass Europas Abhängigkeit von russischem Pipelinegas von gut 40 auf knapp zehn Prozent gesunken ist. Wenn aber von neuen Bezugsquellen geredet wird, handelt es sich dabei aber meist um LNG, verflüssigtes Erdgas. Auch da hat Russland seine Hände im Spiel und verdient kräftig mit.

Insgesamt haben die EU-Importe des extrem gekühlten Gases im Vorjahr um etwa 40 Prozent gegenüber 2021, dem Jahr vor dem Ukraine-Überfall, zugenommen. Die USA sind dank Schiefergas und zusätzlich errichteter Verladeterminals zum weltgrößten Exporteur von verflüssigtem Erdgas geworden, noch vor Katar. Die dritte Stelle nimmt Russland ein, das seine LNG-Exporte weiter ausbauen will.

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Schon spricht man allenthalben von Überkapazitäten. Die Gasnachfrage in Europa könnte infolge des Ausbaus erneuerbarer Energien sowie Einsparungen beim Energieverbrauch bis 2030 unter 400 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sinken. Damit steige die Wahrscheinlichkeit, dass LNG-Kapazitäten ungenutzt blieben.

Ana Maria Jaller-Makarewitz vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEFFA) in London spricht von der "teuersten und unnötigsten Versicherungspolice der Welt". Europa sei auf dem Weg von einer zuverlässigen Versorgung hin zu Redundanz.

Carola Millgramm, Leiterin der Abteilung Gas in der E-Control, widerspricht. Für ein Binnenland wie Österreich sei es wichtig, bei Wegfall von russischem Gas auf kurzem Weg LNG über Anlandepunkte an Deutschlands Küsten zu erhalten. Außerdem: Schwimmende Terminals, wie sie in Deutschland mit Unterstützung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Windeseile errichtet worden sind, könnten gegebenenfalls zurückgebaut und als LNG-Transportschiffe genutzt werden, seien also deutlich flexibler als stationäre Einheiten.

Im Klammergriff Russlands

Während Deutschland nach dem anschlagsbedingten Ausfall der Ostseepipeline Nord Stream im Frühherbst 2022 gezwungen war, rasch Ersatz für russisches Pipelinegas zu finden, bleibt Österreich bis auf weiteres im Klammergriff Russlands. Mit 75 Prozent Gaslieferungen aus Sibirien gibt es kein anderes Land in Westeuropa, das so sehr von Moskaus Gnaden abhängig ist.

Dass es so ist, wie es ist, hat laut Christoph Dolna-Gruber, Mitarbeiter der Österreichischen Energieagentur, mit fehlenden politischen oder rechtlichen Vorgaben zu tun. "Da es derzeit weder eine EU-weite Sanktionierung von Gasimporten aus Russland noch eine Diversifizierungspflicht gibt, sind betriebswirtschaftliche Entscheidungen ausschlaggebend für den Importmix bei Gas", sagt der Energieexperte.

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Anders als 2022, dem Jahr des Überfalls auf die Ukraine, hat die OMV im Vorjahr die von Gazprom vertraglich zugesicherten Mengen im Jahresschnitt vollumfänglich erhalten. Das hat OMV-Chef Alfred Stern kürzlich bei der Bilanzpräsentation bestätigt. Es geht dabei um ein Volumen von rund sechs Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr, was gut 60 Terawattstunden (TWh) entspricht. Diese sind jedenfalls zu bezahlen, auch wenn die Mengen nicht abgerufen werden, take or pay.

Für den Fall, dass Lieferungen reduziert oder ganz ausgesetzt werden, hat die OMV Gas und Transportkapazitäten für 40 TWh reserviert. Bei Bedarf, wohlgemerkt, nicht als Standardvariante. Das sei der Hauptgrund, wieso sich an den Anteilen von russischem Gas an Österreichs Gasimporten zuletzt wenig verändert habe, sagt Dolna-Gruber. Eine Diversifizierung der Gasimporte sei jedenfalls notwendig. Der fortwährende Bezug von Gas aus Russland gehe mit preislichen, wirtschaftlichen und zunehmend auch strategischen Risiken einher.

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Die hohen Energiepreise setzen nicht nur Europas Haushalten stark zu, sondern vor allem auch der Industrie. Der vermeintliche Wettbewerbsvorteil – vergleichsweise günstiges Pipelinegas aus Russland – ist dahin. Ins Hintertreffen geraten seien Europas Unternehmen bereits, als die USA in großem Stil das umstrittene Fracking erlaubt haben, sagt Michael Böheim vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Dieser Nachteil sei durch den jüngsten Preisschub noch größer geworden. In Subventionen sieht Böheim langfristig keine Lösung, in einem gut durchdachten Klimazoll schon eher.

In den USA hat Präsident Joe Biden derweil ein Moratorium für neue LNG-Exportterminals verhängt. Geht zu viel Gas ins Ausland, könnte das die Preise im Inland in die Höhe treiben. In einem Wahljahr höchst riskant, auch in den USA. (Günther Strobl, 12.2.2024)