Autorin Julia Jost wurde 1982 in Kärnten geboren und in deutschen Theatern sozialisiert.
Autorin Julia Jost wurde 1982 in Kärnten geboren und in deutschen Theatern sozialisiert.
Rafaela Pröll/Suhrkamp Verlag

Dort, wo Tirol an Salzburg grenzt und des Glockners Eisgefilde glänzt, findet sich in der Kärntner Landeshymne ein "teures", "freundlich", "lieblich" und "herrlich" Heimatland. Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht heißt es indes bei Julia Jost, es setzt einem ganz andere, besorgt stimmende Kärnten-Bilder in den Kopf. Was hat man mit dem südlichsten Bundesland in den letzten Dekaden nicht mitgemacht! Braune Reste, Populismus à la Jörg Haider, angeklagte Politiker.

Davon kriegt man nun im Debütroman der 1982 in Kärnten geborenen Autorin wieder aufgetischt. Denn die potenzielle Idylle aus schwer Blütenstaub schleppenden Bienen, Obstbäumen, Schwimmteich, Wiesen, Wäldern rund um den Gasthof Gratschbacher Hof, wo die Erzählerin Ende der 1980er und Anfang der 1990er aufwächst, ist stets mindestens ein bisschen off.

Kriegsorden und auch eine Ahnentafel

Beim blutbespritzten Waldheim-Porträt in der Klasse denkt die Religionslehrerin zum Beispiel ohne Umschweife an ein Wunder, in den kleinen Dörfern der Gegend tönen oft nur eine Handvoll Nachnamen und setzen sich Kellnerinnen als "Hasale" auf Schöße. In der Stube der Hütterers findet man nebst Mutterkreuz und Kriegsorden auch eine Ahnentafel zum Ariernachweis über fünf Generationen an der Wand.

In der Familie des Kindes fokussiert sich der Stolz inzwischen auf anderes, exportiert der Vater doch mit "einem festen Handschlag, so fest, dass er nach Knochenbrüchen klang", ertragreich Lkws nach Belgrad und in die Ex-DDR. Der Gewinn fließt in schnelle Autos, teure Uhren und den schon fast zum Ressort für deutsche Sommerfrischler ausgebauten Gasthof, den die Mutter von ihren Eltern gebaut bekommen hat.

In der Küche mag sie deshalb nicht mehr stehen, sondern geht am liebsten Möbel aus exotischen Hölzern und was ihr die "Dorfinnenarchitektin" sonst einredet shoppen. Was zu Verwerfungen mit dem Gatten führt, weil: Die beiden Söhne haben lange Haare, die Tochter kurze.

Suhrkamp-Spitzentitel

Wo der spitzeste Zahn ... ist nicht nur Josts Debüt, beachtlicherweise macht es sogar den Spitzentitel dieses Suhrkamp-Frühjahrsprogramms, begleitet von einer großen Marketingkampagne. Auf der Suhrkamp-Website kann man Fotos aus Josts Familienalbum durchscrollen.

Man setzt wohl auch auf ein folkloristisches Interesse des deutschen Publikums an Österreich. Thematisch ist es von Jost nämlich nicht weit zu den Kärnten-Abrechnungen des Suhrkamp-Autors Josef Winkler und ebenso zu satirischeren Antiheimattexten wie jenen der im Jänner verstorbenen Helena Adler oder Eva Menasses Dunkelblum.

Gleichzeitig steht Jost, die in Wien, Berlin und Ludwigsburg Philosophie, Bildhauerei und Theaterregie studiert hat, mit beiden Beinen in der deutschen Theaterszene, war am Hamburger Thalia-Theater und in der freien Szene tätig und entwickelte die Vernetzungsplattform Hallo: Festspiele für Theaterschaffende mit. Inzwischen lebt sie in Berlin und Wien. Wenn im Volkstheater Wien im April Luk Perceval Rom zeigt, kommt der Text von ihr. Trotzdem klagte sie dem Falter nun, am Theater habe sie bisher "mäßigen Erfolg. Die Schauspieler tanzen mir auf der Nase herum." Der Roman soll den Absprung vorbereiten.

Dicht und schillernd

Die Szenenfolge auf 230 Seiten ist dicht, flott und schillernd. Die Sprache ist – üblich fürs Sujet – leicht gefärbt, Sprachbilder findet man anderswo wildere. Zwischen Schokobananen als Geschenksüßigkeit und der saufenden Landjugend fürs Zeit- und Lokalkolorit begegnet man aber furios männlicher Misogynie, von Töchtern vorwurfsvoll enttäuschten Müttern, und ist dabei, wenn ein Bürgermeister mit der Wende zum Hausverstand Österreich retten soll.

Das Kind baut sich derweil aus Socken einen Penis. Es weht die Freiheit einer Dorfkindheit und zieht sich die Schlinge zusammen, wenn man nicht in Rollen passt. Man dankt Jost für die der Heldin unbewusste Resilienz, mit der die all den Wahnsinn mühelos wegsteckt. (Michael Wurmitzer, 12.2.2024)