Auf einmal ging alles ganz schnell. Vor gut einer Woche prangte auf den Bäumen schon ein grünes Kreuzerl. Drei Tage später waren sie alle gerodet, und das Grundstück in der Gallitzinstraße 8–16 war eben gemacht.

Rodungsarbeiten auf dem Grundstück Gallitzinstraße 8–16 in Wien-Ottakring.
© Christian Fischer

Insgesamt 56 Bäume wurden laut dem Bescheid der Stadt für die umstrittene Bebauung gefällt, die eines der größten Ottakringer Bauprojekte der letzten Jahrzehnte ist. Seit rund acht Jahren kämpft die Bürgerinitiative Pro Wilhelminenberg gegen das Wohnprojekt, sie hat 4.000 Unterschriften dagegen gesammelt.

Auf dem ehemaligen Gärtnereiareal, das in Bauland umgewidmet wurde, sollen 200 Wohnungen entstehen, 92 davon als geförderte Mietwohnungen des Bauträgers Arwag. Rundherum stehen vor allem Einfamilienhäuser.

Was die Initiative vor allem kritisiert, ist nicht, dass gebaut wird, sondern wie dicht und wie hoch. Die Pläne für das Gesamtprojekt sind mittlerweile fast zehn Jahre alt. Damals sei das Stadtklima noch kein großes Thema gewesen, sagt Alexandra Dörfler von der Initiative. Am Standort gebe es eine Frischluftschneise, die vom Wienerwald bis in die Innenstadt kühle Luft transportiere. 16 Meter hohe Baukörper, so die Argumentation, würde diesen Luftfluss stören. Die Stadt Wien ignoriere damit ihre eigenen Empfehlungen, sagt Dörfler. So heißt es etwa in der Urban Heat Strategy der Stadt: Auf den Hängen des Wienerwaldes sollte grundsätzlich niedrig gebaut werden oder gar nicht.

Luftbild des Areals – zu dieser Zeit standen die Bäume noch.
Pro Wilhelminenberg 2030

Die Stadt dementiert, an jener Stelle gebe es keine Kaltluftschneise, sagt die Bezirksvorsteherin von Ottakring, Stefanie Lamp (SPÖ). Zudem: Spanne man eine Schnur vom höchsten Punkt des Gebäudes oberhalb des Grundstücks bis zum höchsten Punkt des Gebäudes darunter, würden die neuen Bebauungen diese Linie nicht überschreiten.

Es gäbe Möglichkeiten, die tatsächlichen Einflüsse auf das Stadtklima zu messen. In vielen Städten gibt es eine sogenannte Stadtklimaanalyse mit einer zugehörigen Planungshinweiskarte. Auf dieser ist für die Grätzeln vermerkt, auf welchen Flächen gebaut werden kann und welche aus klimatischen Gründen frei bleiben sollten. Auch für Wien gibt es eine Stadtklimaanalyse. Wien habe laut Aussage der MA 18, zuständig für Stadtentwicklung und Stadtplanung, jedoch auf die Planungshinweiskarte verzichtet. Auch deshalb, weil sie Mikroklimauntersuchungen zu konkreten Bauvorhaben nicht ersetzen könne.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinitiative sind hingegen davon überzeugt, dass es diese Karte gebe, sie jedoch nicht veröffentlicht werde. In der Karte, so sind sich Dörfler und ihr Mitstreiter Christian-André Weinberger sicher, wäre ersichtlich, dass das Grundstück in der Gallitzinstaße nicht so massiv verbaut werden dürfe.

Bereich mit Kaltluft

Auf einer Überblickskarte der Stadtklimaanalyse, die nächtliche Kaltluftabflüsse zeigt, ist tatsächlich rund um die Gallitzinstraße ein Bereich mit Kaltluft ersichtlich. Wie groß die Auswirkungen der Bebauung wären, ist jedoch nicht im Detail zu erkennen. Eine konkrete klimatische Untersuchung des Standorts, wie sie Klimatologen und die Stadt selbst empfehlen, wurde in der Gallitzinstraße nicht durchgeführt.

Von der MA 21, zuständig für Stadtteilplanung und Flächenwidmung, heißt es dazu: Das Projekt sei intensiv auf Nachhaltigkeits- und naturräumliche Aspekte geprüft und angepasst worden. Gemäß Nachtluftkarte bestehe im betroffenen Bereich eine Kaltabflussrichtung mit geringer Wirksamkeit, das Gebiet liege jedoch nicht in einer Kaltabflussbahn. Da das Projekt aus acht einzelnen Bauten besteht, könne die Luft dennoch zirkulieren. Einen Einfluss auf das großräumige Stadtklima erwarte man nicht.

Die Bürgerinitiative hat selbst einen Alternativplan für das Grundstück entwickelt, der eine niedrigere und weniger dichte Bebauung vorsieht. Ein Spielplatz, Sportplätze und Gemeinschaftsgärten sind darauf zu sehen. Man habe die Schulen und andere Institutionen in der Gegend befragt, was ihnen fehle, sagt Weinberger. Statt 200 würden in ihrem Vorschlag nur 80 Wohneinheiten entstehen.

Vor einer Woche wurden alle Bäume auf dem Grundstück gerodet.
© Christian Fischer

Laut den Grünen in Ottakring beträgt die verbaute Fläche des künftigen Projekts nur ein Drittel des Grundstücks, und alle Wege würden versickerungsfähig gehalten. All das hätte man in den städtebaulichen Vertrag hineinverhandelt.

Von den Grünen ist die Bürgerinitiative besonders enttäuscht, weil sie den Plänen zugestimmt haben.

Barbara Obermaier (Grüne), stellvertretende Bezirksvorsteherin von Ottakring, spricht von nachhaltiger Stadtentwicklung: "Das Grundstück liegt ja nicht am Stadtrand, sondern in dichtverbautem Gebiet mitten in Ottakring. Fläche ist ein wertvolles Gut, da sollte man schon in die Höhe gehen. Was Nachhaltigkeit und Stadthitze betrifft, ist das Projekt aber zu hinterfragen."

So werden die geförderten Arwag-Mietwohnungen aussehen. Insgesamt entstehen acht einzelne Gebäude auf dem Grundstück mit insgesamt 200 Wohnungen.
Superblock ZT GmbH

Dennoch wolle man innen vor außen bebauen, dort wo es Infrastruktur schon gebe. Auch in diesem Punkt scheiden sich die Geister. Zwei Buslinien halten direkt vor dem Grundstück, bis zur Endstelle der Straßenbahnlinie 44 geht man sieben Minuten, bis zur U- und S-Bahn-Station Ottakring sind es 15. Obermaier spricht von einer guten Anbindung, die Bürgerinitiative ist sich sicher, dass dennoch die meisten neuen Bewohnerinnen in den ohnehin schon schmalen Gassen auf dem Wilhelminenberg mit dem Auto unterwegs sein werden.

Dörfler und Weinberger sind erbost und enttäuscht. Sie fühlen sich als Bürger der Stadt nicht ernst genommen und erzählen von einer Versammlung vor einigen Jahren, bei der rund 170 Anrainerinnen Vorschläge formuliert hätten. Wenige Tage später sei das Projekt ohne jede Anpassung beschlossen worden.

Bezirksvorsteherin Lamp widerspricht: Die Wünsche seien bereits in der Planung des Projekts miteingeflossen. So würden etwa ein Kindergarten errichtet, öffentliche Durchgänge und insgesamt 1.000 Quadratmeter Wiese. Die Flächenwidmung, also ob das Projekt ins Umfeld passt, sei im Parlament und vom Stadtrechnungshof geprüft worden. Doch Lamp betont auch, dass es sich letztlich um Private handle, die hier bauen. "Wir können sie nur in eine Richtung lenken."

Freunderlwirtschaft

Neben aller sachlichen Kritik, sieht die Initiative auch diverse Naheverhältnisse der Politik mit einigen Projektakteuren und kritisiert, dass Dokumente nicht freiwillig veröffentlicht worden seien, etwa das Umweltgutachten für das Grundstück, das die Initiative außerdem für wenig objektiv hält.

Für die Bäume ist es zu spät, dennoch haben Dörfler und Weinberger die Hoffnung nicht aufgegeben. Es bräuchte einen Stopp von ganz oben, sagt Weinberger: "Jemanden, der sagt: ‚Kommts Leute, schauen wir uns das noch einmal an, so würde man das heute nicht mehr machen.‘" Die Initiative wünscht sich eine klimatische Untersuchung des Standorts und letztlich eine Lösung, "die für alle passt". Ob es tatsächlich noch Hoffnung gibt, ist fraglich. Denn demnächst rollen bereits die Bagger an. (Bernadette Redl, 13.2.2024)