Ist das die nächste Trash-Reality-Show eines Privatsenders? Mitnichten, das ist
Trash-Reality-Show eines Privatsenders? Mitnichten, das ist "Liebe macht blind"– die nächste Kuppelshow von Netflix.
Netflix

Der Deal schlug hohe Wellen. Nach 30 Jahren ringen die Wrestlerinnen und Wrestler der US-Liga WWE 2025 erstmals nicht mehr im linearen TV, sondern auf Netflix. Fünf Milliarden Dollar macht der Onlinestreamer dafür locker und darf für die nächsten zehn Jahre die Shows von einsatzfreudigen Stars zeigen.

Es ist nicht die Summe, die nach außen hin überraschte, sondern die Tatsache, dass Netflix jetzt auch in Sportrechte investiert. Noch bis vor kurzem sagten Insider der stark verschuldeten Videoplattform eine ebenso stark schwankende Zukunft voraus.

Ergibt das Sinn?

Jetzt auf einmal investiert das Unternehmen scheinbar aus dem Nichts Milliarden­beträge. Und zwar ausgerechnet in Livesportrechte, die bis dato entweder spezialisierten Plattformen oder TV-Sendern vorbehalten waren. Macht das Sinn?

Und ob. Netflix’ Schritt in die Sportbranche ist Teil einer Entwicklung, die längst den gesamten Streamingmarkt erfasst hat: Die Plattformen verbreitern ihr Portfolio, werden damit Komplettanbietern immer ähnlicher. Sie haben Fiction, Non-Fiction, Reality-TV, Liveshows und zeigen Folgen immer häufiger wöchentlich. Sie haben Werbung – und jetzt auch Livesport. Hat tatsächlich jemand geglaubt, dass Streaming einmal das gute, alte lineare Fernsehen ersetzen wird? Vielleicht ­irgendwann – aber sehr viel anders als TV aussehen wird ein rein streamingbasiertes Angebot danach nicht. Fest steht: Die Branche ist in Bewegung. Und zwar weltweit.

Geplatzte Streamingblase

Die Player formieren sich gerade neu. 2023 platzte die vollgesogene Streamingblase. Teuerung, Krieg und Krise dämpften die Lust der Kundschaft aufs Zweit- oder Drittabo. Die Entertainmentriesen, die einander bis dahin in absurd hohen Ausgaben für Produktionen überboten, zogen die Notbremse. Plötzlich wurde gespart und gestrichen an allen Ecken und Enden, Passwortsharing verboten, Preise wurden erhöht.

Der monatelange Streik in Hollywood verschärfte die Lage. Im Laufe des Jahres 2023 wurden in den USA nur mehr 481 Drehbuchserien veröffentlicht, beobachtet das Lon­doner Medienanalyseunternehmen Ampere laut "Variety". 2022 seien es beim Höchststand noch 633 gewesen. Das ist ein Rückgang von 24 Prozent.

Alle gegen Netflix

Aus der Krise wurden Lehren gezogen, und die bekommen jetzt alle zu spüren. Sie heißt: Risikomanagement. Netflix etwa: "Die haben als Erste begriffen, dass es um ein Gesamtportfolio geht, um noch mehr Subscriber zu bekommen", sagt Hannes M. Schalle. Der Produzent und Filmkomponist ist über seine Firma Moonlake Entertainment (Silent Night, The Sounds of Music – Revisited) exzellenter Kenner des deutschsprachigen und US-amerikanischen Streamingmarkts.

Die Stimmung in der Branche ist weiterhin angespannt. Nach wie vor erwarten Analysten, dass nicht alle den Streamingkrieg überleben werden: "Die Eifersucht ist groß", sagt Schalle: "Jeder versucht, sein Label über frisches Kapital und neue Investoren am Leben zu erhalten."

Das Branchenmagazin Wired beschreibt vier mögliche Zukunftsszenarien. Es sind durchwegs Megafusionen:

Am wahrscheinlichsten gilt derzeit eine Übernahme von Paramount durch Warner. Das sogenannte Para-Max würde rund 30 Prozent der Nachfrage nach Serien in den USA abdecken und ebenso Sportrechte inkludieren: Paramount besitzt CBS Sports. Mit TNT und TBS würde Warner den direkten Kontrahenten Disney fordern.

Livenachrichten scheinen vorerst keine Option für Streamingplattformen zu sein. "Der Markt ist voll mit Special-Interest-Angeboten", sagt Schalle.

Unklar ist allerdings, inwieweit sich die führenden Social-Media-Plattformen hier engagieren werden – oder ob sie einfach wie Amazon Channels hosten werden. "Früher oder später wird’s auch das geben", sagt Schalle. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat hier leider viel an Glaubwürdigkeit verloren – und in den USA gehören die großen Newscaster ohnehin zu den Medienriesen: alles nur eine Frage der Zeit."

Öffentlich-rechtliche zu spät

Und wie reagieren öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter außerhalb der USA? "Die bestehenden klassischen TV-Sender wollen zu digitalen Plattformen werden. Das allerdings mindestens zehn Jahre zu spät!", sagt Schalle. In Österreich erlaubt der Gesetzgeber dem ORF seit Jänner mehr Möglichkeit für sein Streamingangebot. Einen anderen Weg geht der britische Kanal Channel 4. Der öffentlich-rechtliche, aber kommerziell finanzierte Sender wird bis 2030 weltweit erster Public Streamer. In alle Richtungen denkt man derzeit in Deutschland, wo es Diskussionen gibt, ob man sich zwei teure öffentlich-rechtliche Kanäle leisten will. Dort könnte der Gesetzgeber für eine Weichenstellung sorgen. Und für weitere Diskussionen. (Doris Priesching, 15.2.2024)