Rapper Kanye West (rechts) hat ein neues Album veröffentlicht. Nicht nur sein Gesicht scheint zurzeit verdunkelt, auch sein Gemüt.
Rapper Kanye West (rechts) hat ein neues Album veröffentlicht. Nicht nur sein Gesicht scheint zurzeit verdunkelt, auch sein Gemüt.
AFP/VALERIE MACON

Kanye Wests Uhr geht anders. Das hat er oft bewiesen, nun mit seinem Album Vultures 1. Seit Dezember hieß es bezüglich des Veröffentlichungstermins immer wieder: jetzt. Eine Prophezeiung, die sich stets als falsch erwies. Wohlwollende Stimmen führen dafür einen kolportierten Perfektionismus an, der US-amerikanische Rapper und Hip-Hop-Produzent sei nur mit der höchsten Qualität zufrieden. Andere meinen: Jo, eh.

Am Wochenende ist Vultures 1 nun ins Netz gestellt worden und gibt tendenziell jenen recht, die der Jo-eh-Fraktion zuzurechnen sind. Vultures 1 ist das erste Album des Duos Kanye West und Tyrone Griffin, der sich legasthenisch angehaucht Ty Dolla Sign nennt. Zwei weitere sollen bis April folgen.

Unfreiwillige Bestätigung

Kanye West galt lange als Wunderkind des Hip-Hop, das in den Nullerjahren und Alben wie The College Dropout Gospel in Hip-Hop hereinnahm, Spiritualität thematisierte, wie es in den 1990ern bereits PM Dawn taten, und das 2010 mit My Beautiful Dark Twisted Fantasy eines der definitiven Alben zur Zeit veröffentlicht hat.

West war da schon Superstar und führt seitdem ein Leben eher mehr als weniger in der Öffentlichkeit. Das ist stabileren Charakteren schon nicht gut bekommen. Sein von je her erratisches Wesen bekannte vor einigen Jahren, an bipolaren Störungen zu leiden. Viele seiner öffentlichen Äußerungen scheinen die Diagnose unfreiwillig zu bestätigen – jüngste Auftritte in der Öffentlichkeit zeigen ihn mit einer schwarzen Kopfmaske – was auch immer das bedeuten soll.

Seine Alben fielen immer banaler aus, er selbst transformierte vom Star zum Social-Media-Enigma und zum öffentlichen Ärgernis: Seit geraumer Zeit fällt er mit einer Reihe antisemitischer Äußerungen auf, garniert mit einer Unterstützung für Donald Trump.

Verliebt in Adolf

Selbst die schwarze Gemeinde wandte sich zum Teil schon von ihm ab, seit er auf dem Höhepunkt der Black-Lives-Matter-Bewegung ein White-Lives-Matter-Shirt trug. Und schon länger kann er sich nicht so recht entscheiden, ob er in Adolf Hitler verliebt ist oder in Jesus – oder beide –, was sich auf seine Äußerungen über jüdische Menschen nicht positiv auswirkt.

Kanye West - Fuk Sumn (Audio)
I Destroy the Poetry of Music

Wobei er die manchmal auch liebt und sich bei ihnen für seine Zuneigung zum "Gröfaz" wieder entschuldigt, um sie gleich wieder mit einem anderen Spruch vor den Kopf zu stoßen. Es scheint von der Tagesverfassung abzuhängen oder von dem, was bei ihm in der Glotze läuft. Letzten März war es der Film 21 Jump Street mit Jonah Hill, der ihn dazu gebracht hat, Juden wieder zu mögen. Na dann.

Betörende Logik

Ruhen lässt er das Thema trotzdem nicht. Nun taucht es im Titelsong des neuen Albums auf, in dem er sich vom Verdacht des Antisemitismus reinwäscht, wie er meint. Schließlich hätte er gerade einer Jüdin beigewohnt oder wie er es sagt: "How I’m anti-Semitic? I just fucked a Jewish bitch." Wertschätzendere Worte hat man selten gehört, von der betörenden Logik seiner Aussage ganz zu schweigen. Im letzten Jahr haben etliche Marken, die mit West Werbeverträge abgeschlossen hatten, diese gekündigt; selbst Universal Music hat sich von ihm verabschiedet.

Kanye West, Lil Durk, Ty Dolla $ign & Bump J - Vultures
Rap Nation

Musikalisch befindet er sich mit Vultures 1 auf der Höhe eines überproduzierten und unterinspirierten Hip-Hop, der oft in einen komatösen Pop ausrinnt, für den Mickey Mouse als Stimme gewonnen werden konnte: Fuk Sumn klingt nach Schlümpfe-Techno ohne Spaß. In Talking singt seine Tochter, die Zehnjährige wurde North genannt, heißt also wie die Himmelsrichtung: North West. Die großen und kleinen Kinder in Tiktok-Land frohlocken: So viel nice, so cute.

Musikalische Brillanz blitzt kaum auf, Eleganz oder Verve sucht man vergebens. Neben klobigen Schablonen-Beats dominiert eine selbstgerechte Bestätigungslyrik, deren Botschaft abgekürzt mit "Ich! Ich! Ich!" übersetzt werden kann. Manisch egomanisch. Wie heiß es so schön? Da schläft einem beim Speiben das G'sicht ein. (Karl Fluch, 13.2.2024)