Für die Hersteller von Waffen und Munition herrscht Hochkonjunktur.
Für die Hersteller von Waffen und Munition herrscht Hochkonjunktur.
AFP/JOHN THYS

Die neue Ära strategischer Instabilität, gekennzeichnet von den Kriegen in der Ukraine und in Gaza, Chinas zunehmender Aggression gegenüber Taiwan sowie Irans Terrornetzwerk, hat zum größten Wachstum der weltweiten Verteidigungsausgaben seit Jahrzehnten geführt. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen sie 2023 nach Berechnungen des Londoner Strategieinstituts IISS um neun Prozent auf 2,2 Billionen US-Dollar (zwei Billionen Euro). Dieser Trend werde auch im laufenden Jahr anhalten, sagte IISS-Direktor Bastian Giegerich am Dienstag bei der Vorstellung des Jahrbuchs "Military Balance": "Wir haben es mit einer unberechenbaren globalen Sicherheitslage zu tun."

"Russlands unüberlegter Krieg" gegen die Ukraine sowie das Vorgehen anderer Staaten habe rund um die Welt die Erkenntnis befördert, dass zunehmend Staaten zur Durchsetzung ihrer Interessen militärische Macht erwägen oder einsetzen. Folgerichtig stellen sich westliche Länder auf die neue Bedrohung ein: Im Indopazifik vereinbarten die über Chinas Politik besorgten Länder Japan und Australien die gegenseitige Entsendung von Kampfjets. In Europa trat das jahrzehntelang neutrale Finnland der Nato bei, Schweden steht kurz davor.

Trump beunruhigt Europa

Am vergangenen Wochenende hatte der frühere US-Präsident und Kandidat für die Wahl im Herbst, Donald Trump, die europäischen Nato-Verbündeten wieder einmal aufgeschreckt: Amerika werde seiner Bündnisverpflichtung gegenseitiger Hilfe im Falle eines Angriffs nur bei jenen Staaten nachkommen, deren Verteidigungsausgaben mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen. Wer das nicht erreiche, "mit dem kann Russland machen, was auch immer es will", sagte Trump.

Die typisch bombastische Äußerung zog heftige Kritik nach sich. Allerdings besteht die Klage der USA über den mangelnden Beitrag der Verbündeten schon seit längerem und wird in Washington parteiübergreifend vorgetragen. "Die strategische Frage stellt sich für Europa unabhängig vom Bewohner des Weißen Hauses", glaubt "Military Balance"-Herausgeber Robert Wall. Zudem müsse Europa schon jetzt mit dem Trump-Faktor rechnen, analysiert IISS-Experte Dana Allin. Das soeben vom US-Senat verabschiedete Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar werde nur dann unbeschadet durchs Repräsentantenhaus in Washington kommen, wenn Trump dazu sein Placet gebe.

Den Berechnungen des Instituts zufolge erreichten vor zehn Jahren, also vor Russlands Eroberung der Krim, gerade einmal zwei europäische Länder das Zwei-Prozent-Ziel. 2023 lagen neun Staaten, darunter alle unmittelbaren Nachbarn Russlands, über der magischen Grenze; Frankreichs Militärbudget kam ihr sehr nahe. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge könnten in diesem Jahr rund zwei Drittel seiner insgesamt 31 Mitgliedsstaaten die Verpflichtung erreichen.

Russland rüstet auf

Beim jüngsten Nato-Gipfel hatten sich die Europäer außerdem vorgenommen, "früher und schneller mehr zu leisten", so Wall. Allerdings gibt es, so das Institut, weiterhin erhebliche Lücken, vor allem bei der Luftverteidigung, der Beschaffung von Munition und von Ersatzteilen für komplexe Waffensysteme. Auch müssten Frequenz und Umfang von gemeinsamen Übungen noch zunehmen. Das bevorstehende Nato-Manöver "Steadfast Defender" (standhafter Verteidiger) bringt mehr als 90.000 Soldaten aus allen Mitgliedsstaaten sowie Schweden zusammen und stellt damit die größte Übung seit Ende des Kalten Krieges dar.

Weiterhin zeichnen die USA für 40 Prozent aller Ausgaben weltweit verantwortlich und bestreiten 70 Prozent des Gesamtbudgets sämtlicher Nato-Staaten. Während der Anteil der Verteidigung am US-Bruttoinlandsprodukt bei 3,5 Prozent liegt, gibt Russland mittlerweile 7,5 Prozent des BIPs und sogar 30 Prozent sämtlicher Staatsausgaben für militärische Hard- und Software aus. Allerdings werde dabei zunehmend "Qualität zugunsten von Quantität geopfert", so Giegerich.

Krieg in Nahost

Zu ihrer Verteidigung setzt die Ukraine zunehmend asymmetrische Waffen ein, darunter vor allem Drohnen in der Luft sowie zur See. Damit konnten eher symbolische Ziele in Moskau ebenso erreicht werden wie Rüstungsunternehmen sowie Ziele der russischen Schwarzmeerflotte. Dieses Vorgehen werde sich auch unter der neuen ukrainischen Militärführung nicht ändern, glaubt Armee-Experte Ben Barry. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte kürzlich den populären Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj durch Oleksandr Syrskyj ersetzt.

Im Gazakrieg bezweifelt das IISS die Erreichbarkeit von Israels erklärtem Kriegsziel, nämlich die "vollständige Zerstörung" der Hamas. Schätzungen zufolge habe die Rebellenarmee 20–30 Prozent ihrer Angehörigen eingebüßt, verfüge aber weiterhin über "erhebliche Kampfkraft". (Sebastian Borger aus London, 14.2.2024)