Dieses Land floriert. Zum ersten Mal will es eine eigene Flotte für die zivile Luftfahrt aufbauen: 1000 Flugzeuge sollen bis 2030 gefertigt werden. Wie der Flugzeugbau soll auch die Automobilproduktion hochgefahren werden, um Pkws wieder für alle leistbar zu machen. Deshalb wird kräftig investiert. Die Wirtschaft ist ohnehin robust und wächst heuer um drei Prozent, wovon Österreich, das in einer Rezession steckt, nur träumen kann. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Die Preise sind zwar zuletzt gestiegen, aber auch darum will sich die Regierung kümmern.

So stellt das russische Regime die Situation des Landes dar, das sich seit bald zwei Jahren im Krieg befindet und vom Westen mit einem der strengsten Sanktionsregime aller Zeiten belegt wurde. Das Verblüffende daran ist: Es ist nicht einmal alles falsch.

Russlands Präsident Wladimir Putin nutzte diese Woche seine traditionelle Pressekonferenz zu Jahresende, um die Stärke Russlands zu betonen. Natürlich trug er dabei viel zu dick auf. Aber der Kontrast ist bemerkenswert. Vor einem Jahr cancelte der Kreml die Veranstaltung, weil es angesichts der militärischen Rückschläge in der Ukraine und der wirtschaftlichen Ungewissheit wenig zu verkünden gab. Heuer waren sogar kritische Fragen und echte Journalisten Teil der Inszenierung, so selbstsicher fühlt sich das Regime offenbar.

Ökonomische Front hält

Putin durfte den sich kümmernden Landesvater geben. Etwa als sich eine angebliche Pensionistin aus Krasnodar bei dem live übertragenen Event beklagte, dass die Preise für Eier und Hühner so stark gestiegen seien. Putin entschuldigte sich, sagte zu, das Problem zu beheben, und packte noch einen geschmacklosen Witz drauf: "Ich habe erst neulich mit dem Landwirtschaftsminister gesprochen. Ich habe ihn gefragt, wie es um seine Eier bestellt ist."

Aber wie viel ist wirklich dran an der russischen Erzählung über die wiedererlangte Stärke? Die zur Schau gestellte Selbstsicherheit Moskaus liegt zum einen am Kriegsverlauf. Russland ist es gelungen, die Front in der Ukraine nach den Rückschlägen im ersten Kriegsjahr zu stabilisieren und die ukrainische Gegenoffensive zu stoppen. Allerdings läuft es auch an der ökonomischen Front derzeit erstaunlich gut für das Land.

Damit kein Missverständnis entsteht: Russland ist keine Wirtschaftsmacht. Das Wohlstandsniveau liegt nur leicht über jenem des ärmsten EU-Staates, Bulgarien. Seit mehr als zehn Jahren kommt die russische Wirtschaft auch nicht recht vom Fleck. Die niedrige Arbeitslosenrate hat natürlich viel damit zu tun, dass bis zu eine Million Menschen als Folge von Krieg und Repression in den vergangenen zwei Jahren das Land verlassen haben. Dazu kommt, dass eine halbe Million Menschen für die Armee mobilisiert wurden.

Viel Geld fürs Militär

Nichtsdestotrotz ist es dem Kreml gelungen, die eigene Wirtschaft zu stabilisieren, während gleichzeitig die Militärproduktion massiv hochgefahren wird. Wie aus dem vor kurzem beschlossenen Budget für 2024 hervorgeht, hebt Russland seine ohnehin hohen Militärausgaben im kommenden Jahr um beinahe ein Drittel an. Bereits 2022 ist der Militäretat aufgestockt worden. Von 100 Rubel gibt der Staat bald 21 für seine Armee aus, rechnet das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri vor. Vor dem Krieg waren es zwölf Rubel. Erstaunlich ist, dass dies geschieht, während der Staat gleichzeitig Sozialprogramme ausweitet und Pensionen erhöht.

Das Geld fürs Militär beflügelt die Industrie. Die Produktion von Computern, Elektronik und optischen Geräten soll heuer um ein Drittel zulegen. Russland baut um ein Fünftel mehr Transportfahrzeuge, zeigt ein Bericht des Osteuropainstituts WIIW. Der staatlich angefachte Industrieboom treibt die Wirtschaft an. Gleich nach Kriegsbeginn ging der Internationale Währungsfonds von einem Kollaps der russischen Wirtschaft aus. Es wurde ein moderater Einbruch, der inzwischen überkompensiert ist.

Wenn Putin spricht, hat das Land zuzuhören. Auch von überdimensionierten Bildschirmen auf Moskauer Gebäuden erschallten die Worte des russischen Staatsschefs
REUTERS/MAXIM SHEMETOV

"Es ist dem Westen nicht gelungen, Russland wehzutun", sagt der Ökonom Vasily Astrov vom WIIW. Die EU hat immerhin zwölf Sanktionspakete erlassen. Das letzte wurde erst am Donnerstag fixiert, nachdem Österreich eine Verabschiedung verzögert hatte. Laut der Nachrichtenagentur Reuters wollte Wien damit Druck auf die Regierung in Kiew aufbauen: Die Raiffeisen Bank International soll von einer ukrainischen Blacklist verschwinden, auf der Unternehmen stehen, die Kiew gern international sanktioniert sehen würde.

Die EU untersagt heute wie die USA, Kanada, Australien und Japan technologische Exporte aller Art nach Russland, Flugzeuge und Flugzeugteile dürfen ebenso wenig ausgeführt werden wie Mikrochips. Das Vermögen der russischen Zentralbank im Ausland wurde eingefroren – fast 300 Milliarden Dollar. Dazu kommt ein Embargo für russisches Pipelineöl. Europäische Schiffe dürfen kein Öl aus Russland transportieren, das nicht unterhalb eines Preises von 60 Dollar je Fass gekauft wird. In die Preisobergrenze wurden besonders große Hoffnungen gelegt, weil europäische Dienstleister wie Versicherer in die meisten Tankertransporte eingebunden sind.

Warum schmerzt das Russland nicht mehr? Eine Antwort lautet, dass der Westen seine Bedeutung überschätzt hat. Schwellenländer, die die Sanktionen nicht mittragen, haben den Westen in vielen Bereichen ersetzt. Beispiel Öl: Russland ist es nahezu 1:1 gelungen, sein Öl, das bisher nach Europa gegangen ist, nach Indien und China umzuleiten. Umgekehrt haben chinesische Produzenten den Platz von Europas Autobauern und Maschinenherstellern in Russland eingenommen.

Russland hat andere Abnehmer für sein Öl gefunden.

Der überschätzte Westen

Der Wert der aus China nach Russland importierten Pkws hat sich seit Kriegsbeginn verzehnfacht. Ein Drittel aller Einfuhren nach Russland kommen bereits aus China. Während aus dem Reich der Mitte früher Textilien und Schuhe kamen, sind es heute Fahrzeuge und Maschinen, wie der Ökonom Janis Kluge in einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik, eines Berliner Thinktanks, schreibt.

Was nicht ersetzt werden kann, kommt über Umwege. Rechercheure des Onlinemediums Werstka haben russische Zolldokumente ausgewertet und zeigen, dass fast alles von überall auf der Welt nach Russland gebracht wird – vom Airbus-Triebwerk bis zu Apple-Handys. Die Waren werden von Zwischenhändlern in den arabischen Emiraten und China gekauft und weitergeleitet. Selbst Mikrochips finden so den Weg zur russischen Rüstungsindustrie.

Dazu kommt, dass die westlichen Sanktionen Lücken lassen. Gas darf weiter in die EU importiert werden, zu den großen verbliebenen Käufern zählt Österreichs OMV. Noch wichtiger für Moskau sind aber seine Einnahmen aus dem Ölverkauf. Die Ölpreisobergrenze ist wirkungslos, weil Dienstleister aus anderen Ländern, etwa aus China und den Emiraten, europäische Versicherer ersetzt haben. Für Unternehmen aus diesen Ländern gilt die 60-Dollar-Preisgrenze nicht. Dazu kommt, dass direkt und indirekt griechische Reedereien dick im Geschäft mit russischem Öl bleiben, unter legaler Umgehung der Sanktionen.

Griechische Hilfe

So zeigt der Chefökonom des Weltbankenverbandes IIF, Robin Brooks, in einer Analyse, dass seit Kriegsbeginn in der Ukraine erst einmal viel mehr griechische Tanker russische Häfen anliefen. Was war geschehen? Viele westliche Firmen zogen sich freiwillig zurück aus dem Ölgeschäft, Griechenlands Reeder ersetzten sie. Inzwischen dürfte ihnen das zu heiß geworden sein. Aber nun verkaufen die Reeder ihre alten Schiffe an Drittstaaten, die nicht den EU-Sanktionen unterworfen sind. Mit diesen Schiffen wird das Öl transportiert.

Die Folge: Zu Jahresbeginn musste Russland sein Öl deutlich billiger verkaufen, als das europäische Öl der Sorte Brent gehandelt wurde. Doch die Abschläge sind inzwischen fast verschwunden, Russlands Position am Markt hat sich verbessert.

Nein, Sie verschauen sich nicht: Es sind tatsächlich die täglichen Einnahmen in der Grafik

So sind die Einnahmen Moskaus aus dem Geschäft mit fossilen Brennstoffen gesunken – sie sind aber immer noch historisch hoch. Russland hat in der Vergangenheit Geld gespart und in einem Staatsfonds angelegt. Das und die Mehreinnahmen dank der Wirtschaftserholung sorgen dafür, dass Moskau Puffer hat, um sich höhere Militärausgaben und Sozialprogramme zu leisten.

Natürlich gibt es auch Probleme: Ausländische Investoren, auch aus China, meiden das Land. Die Inflation ist hoch. Als Folge hob die Notenbank die Leitzinsen auf 16 Prozent an. Das macht private Investitionen teuer und schwierig. Damit ist der Staat zum alleinigen Motor der Wirtschaft geworden: Solange der Krieg anhält, dürfte das System weiterlaufen, sagt Ökonom Astrov. (András Szigetvari, 16.12.2023)