Der Saal ist nicht nur stimmungsmäßig gut aufgeheizt. An Semmerln, Fischaufstrichen, Rollmops und Salzbrezn fehlt es nicht, dazu wird maßweise Bier gereicht. Die Gäste tragen Dirndln, Lederhosen, Trachtenjanker und karierte Hemden. Endlich ruft die Moderatorin in die Menge: "Das Warten hat ein Ende."

Was nun folgt, gehört zum blauen Ritual des Aschermittwochs. Seit 1992, damals noch zu Jörg Haiders Zeiten, sind die Parteichefs der FPÖ alljährlich in der Jahnturnhalle von Ried im Innkreis in Oberösterreich zu Gast, um nach Vorbild der bayerischen CSU launig oder – nach anderer Leseart – untergriffig auszuteilen. Die Resonanz ist so groß, dass die Konkurrenz nachgezogen hat. Mittlerweile laden am Tag eins nach Faschingsende ÖVP und SPÖ ebenso zu politischen Spektakeln bei nur begrenzt fastenzeittauglicher Kost.

Im Superwahljahr 2024 haben die Events für die Chefs der größten Parteien noch einen besonderen Wert: Es gilt, Wahlkampfslogans loszuwerden und die eigenen Anhängerinnen und Anhänger für die anstehenden Urnengänge zu motivieren. Denn alle drei – der blaue Herbert Kickl, der türkise Karl Nehammer und der rote Andreas Babler – haben das gleiche Ziel: Platz eins bei der Nationalratswahl erreichen, den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, die Kanzlerschaft antreten.

Blauer Pflichttermin

2000 Gäste passen in die mit blauen und weißen Luftballons dekorierte Jahnturnhalle. Bereits Wochen vor dem Aschermittwoch war der blaue Pflichttermin im Innviertel "komplett ausverkauft", sagte Erhard Weinzinger, Bezirksgeschäftsführer der FPÖ Ried und Organisator, im Vorfeld. Lange Schlangen vor dem Eingang sind ein gewohntes Bild.

Zu sehen gibt es drinnen, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl und Oberösterreichs Landesparteichef und Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner in trauter Eintracht durch die Reihen einziehen. Zumindest an diesem Abend sind frühere Konflikte vergeben und vergessen.

Tradition hat der Aschermittwoch bei der FPÖ: Herbert Kickl war zum zweiten Mal als Parteichef Redner in Ried im Innkreis.
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Haimbuchner ist es dann auch, der als Vorredner den Einheizer gibt. "Wenn gegen uns demonstriert wird, dann samma am richtigen Weg. Griaß eich, Omas gegen rechts", ruft er eingangs in die Menge. Bereits am späteren Nachmittag haben sich die angesprochenen Omas formiert, um ein Zeichen für eine "demokratische und weltoffene Gesellschaft" setzen. Zur Kundgebung, die am Bahnhof Ried ihren Ausgang nimmt, kommen schließlich ein paar Hundert Menschen. Sie ziehen durch die Stadt bis zum Marktplatz gegenüber der Jahnturnhalle, wo sie schließlich mit Handys und Feuerzeugen ein "Lichtermeer gegen Faschismus" ausbreiten. "Wir brauchen keinen Kickl, mit dem gibt’s nur an Wickl", ist auf einem Plakat zu lesen.

Video: Kickl präsentierte sich als "Volkskanzler"
DER STANDARD

Nach Haimbuchner ist die Bühne frei für Kickl. In einer einstündigen Rede arbeitet dieser sich gemächlich und nicht in ganz so scharfen Tönen wie üblich an all jenen ab, die seiner Ansicht nach gegen ihn und seine FPÖ ankämpfen. Als Erstes in die Ziehung kommt – quasi zum Aufwärmen – gleich einmal der ORF, wo seiner Ansicht nach "politische Selbstdarsteller" am Werk sind, auch andere "Systemmedien" bekommen ihr Fett ab. "Kopiermaschinen" wiederum ortet der blaue Parteichef in der ÖVP. Diese hätte aus dem Bundeskanzleramt, kurz BKA, eine "Bundeskopieranstalt" gemacht – kupfert diese doch laut Kickl immer wieder freiheitliche Ideen ab. Über SPÖ-Chef Andreas Babler sagt er, dass dieser "verglüht" sei, "ohne, dass er vorher gebrannt hat", Vizekanzler Werner Kogler von den Grünen sei ein "Fahnderl im Wind".

Die Aufregung darüber, dass er beim blauen Neujahrstreffen gesagt hatte, dass mehrere türkis-grüne Regierungsmitglieder auf seiner "Fahndungsliste" stehen würden, kann Kickl nicht nachvollziehen. "Diese Verantwortungsflüchtlinge sollen nicht so herumtun, weil ich das Wort ‚Fahndungsliste‘ in den Mund genommen habe", sagt Kickl. So hätten diese doch selbst einst zu Coronazeiten auch "Fahndungslisten" gehabt. In der Asylpolitik bezeichnete Kickl die jüngste Debatte über den von Rechtsextremen bemühten Begriff "Remigration", hinter dem Deportationspläne stecken, als "Remigration ist Trumpf", gegen einen "Geh-Heim-Plan" sei "nichts einzuwenden".

Als "Bündnis der Volksverräter" bezeichnete er die "Anti-Kickl-Allianz" der anderen Parteien. Dem in Umfragen von der FPÖ abgeschlagenem Mitbewerb richtete er aus: "Jede Koalition gegen die FPÖ wird eine Koalition der Verlierer sein."

Nachdem Kickl seine letzten Worte gesprochen hat, gibt es in der Halle kein Halten mehr. Doch zu Ende ist dieser Abend zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht. Dieser endet, wie er anfängt: Mit Schlange stehen – diesmal nicht vor dem Eingang, sondern für Selfies mit Kickl, Haimbuchner und Norbert Hofer.

Niveau in Türkis

Auch die ÖVP will ein Aschermittwochsspektakel bieten – und macht irgendwie doch nicht mit. Das türkise Event ist nicht nur geografisch weit von der blauen Parallelveranstaltung entfernt. Dichte Bierhallenatmosphäre wie in der 100 Jahre alten Jahnturnhalle zu Ried suchen die Gäste in der nüchternen Messearena von Klagenfurt vergeblich. Von der in kühlem Blau getauchten Bühne tönt italo-englisch-kärntnerischer Soft-Pop, statt Trachteneinschlag dominiert Stadtoutfit. Parteitage sehen kaum anders aus.

Eintrudelnde Gäste loben das Niveau der Veranstaltung, doch Überschwang schwappt einem kaum entgegen. Natürlich versichert mancher, noch an eine Aufholjagd der in den Umfragen zur Nationalratswahl abgeschlagenen ÖVP zu glauben – man will sich ja nicht des Defätismus verdächtig machen. Aber wer nachfragt, stößt rasch an die Grenzen der Siegesgewissheit. "Die Sozis sind noch zu packen", prognostiziert ein Besucher, "den Kickl holen wir nicht mehr ein".

Wie einst bei Jörg Haider, Rolemodel der blauen Rechtspopulisten, würden die Leut‘ "auf den Zug aufspringen", sagt der ältere Herr, als Bauer ÖVP-Kernwähler. Wie sein verstorbener Vorgänger sei Kickl ein "echter Volksmensch", mit diesem Typus komme der Nehammer trotz aller Qualitäten nicht mit: "Haider und Nehammer, das ist ein Unterschied wie zwischen Himmel und Hölle."

Der ÖVP-Chef hat aber auch gar nichts anderes versprochen. Nicht auf das – wie er meint – kleinliche Hickhack einsteigen, sondern staatsmännisch die politische Kultur hochhalten hat sich Nehammer für Klagenfurt vorgenommen. Eine Demonstration von Haltung, Verantwortungsbewusstsein und Redlichkeit soll sein Auftritt bieten.

Damit diese Vorgabe nicht in Fadesse mündet, braucht es einen Stargast aus dem angeblich humorlosen Nachbarland. Während die heimischen Redner Pointen meiden, fährt Stargast Karl Theodor zu Guttenberg rasch Lacher ein. Wen je der heilige Zorn über die österreichische ÖBB packe, der fahre mit der deutschen Bahn, berichtet der ehemalige deutsche Verteidigungsminister über seine Anreise: "Aber nehmt einen Psychotherapeuten mit – oder eine Flasche Schnaps."

Bundeskanzler Karl Nehammer sprach in der Klagenfurter Messearena beim Aschermittwoch vor mehreren Hundert Anhängerinnen und Anhängern.
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Eine der ernsten Passagen: Anklagen gegen "Hetzer von Rechts" und die Nachahmer des Populismus à la Donald Trump, dieser "narzistischen Orangenhaut". Eine Partei wie die ÖVP dürfe nicht den Fehler machen, sich diese scharfe Tonalität zu eigen zu machen. Anmerkung zum Abschluss: "Das ist der asketischste Aschermittwoch, den ich kenne. Sprudel auf den Tischen, der Redner bekommt nicht einmal Bier."

Nehammer selbst präsentiert sich nur zu Beginn spaßig. "Ich danke meinen Mitarbeitern für die Rede. Ich werde sie nicht halten", eröffnet er. Doch die folgenden 40 Minuten lassen an der Behauptung Zweifel aufkommen. Der Kanzler bietet einen Auftritt, den er auch bei jedem anderen Anlass vor Parteifreunden hinlegen hätte können.

Karl Nehammer mit Team
Karl Nehammer mit Team
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Viel Werbung für seinen Ende Jänner vorgestellten Österreich-Plan macht er. Bekannte Slogans wie "Leistung muss sich lohnen" fehlen ebenso wenig wie der Verweis auf geplante Leuchtturmprojekte wie die steuerfreien Überstunden und Lob für die eigenen Leistungen in der Regierung – etwa für die Abschaffung der Kalten Progression und das Investitionsprogramm in die Kindergärten. Dazu manche Warnung: Gelinge der EU keine Trendwende in der Wirtschafts- und Migrationspolitik, schaffe sich Europa im Wettbewerb mit anderen Kontinenten selbst ab.

Den Rivalen Kickl spricht er nicht direkt an, doch Nehammers Leitmotiv zielt auf die Abgrenzung zur FPÖ ab. Als seriöse Kraft gegen die Schreier immer schrillerer Slogans und Anbieter von "Scheinlösungen" stilisiert er die eigene Partei. "Wir brauchen keine Extreme für vernünftige Politik", proklamiert der Regierungschef: "Gestalten wir dieses Land, und spalten wir es nicht." Das alles klingt ein wenig nach Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der am Nachmittag vor den Events ähnliche Appelle veröffentlicht hat.

Bussis und Burger bei Babler

Auch in der Zechnerhalle in Kobenz stehen alle Zeichen auf Wahlkampf – vor allem jenen um den steirischen Landtag: "Unser Herz schlägt für alle. Anton Lang", ist auf kleinen Papiersäckchen zu lesen, die – mit Blumensamen oder Süßigkeiten gefüllt – auf Biertischen verteilt sind.

Star des Abends ist aber ein anderer: Andreas Babler. Auf Einladung von Max Lercher ist der Niederösterreicher zum Aschermittwoch in die Zechnerhalle in Kobenz gekommen. Im Murtal versucht die regionale SPÖ seit 2019, eine eigene Tradition des politischen Events aufzubauen. Babler ist heuer der erste amtierende Bundesparteivorsitzende, der den Steirern die Ehre gibt. Und das, obwohl Lercher im Frühjahr einer der wichtigsten Vertrauten von Bablers Konkurrenten Hans Peter Doskozil im Rennen um den SPÖ-Vorsitz war.

Andreas Babler wiederum reiste in die Obersteiermark. Als Gast von Max Lercher war er der erste amtierende Vorsitzende, der die politische Veranstaltung der steirischen SPÖ in der Zechnerhalle Kobenz besuchte.
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"Das hab ich nie verstanden", sagt eine Genossin über Lercher. Sie trauere Pamela Rendi-Wagner zwar nach, aber stehe jetzt hinter Babler. Der zieht kurze Zeit später, begleitet von der trachtigen Volksmusik-Gruppe "Neujahrsgeiger", in die Halle ein, begrüßt die SPÖ-Anhängerinnen und Sympathisanten, die seinen Weg zur Bühne säumen. Bussi links, Bussi rechts. Handschlag hier, Umarmung da. "Die Wange wasch‘ ich mir heute nicht", sagt eine ältere Frau zu ihrem Mann: "Da hat er mir das Bussi gegeben." Der Küssende trägt zur Jeans eine Trachtenweste – und gehört damit zur Minderheit in der holzverkleideten Halle. Ganz so traditionell ist der Aschermittwoch bei der SPÖ doch noch nicht.

Lercher macht für Babler das Vorprogramm – wie er es vor wenigen Monaten noch für Doskozil tat. Ein Witz jagt den anderen. Er habe das Inflationsbekämpfungsprogramm der ÖVP gefunden, sagt er und hält ein Gutscheinheft von Mc Donald‘s hoch. Eine Genossin wird ungeduldig. Sie will Babler hören.

Der will danach ernst sein, macht aber erst mit den Fastfood-Anspielungen weiter. Die ÖVP sei eine "burger-liche Partei", sagt Babler. Wie ein Hamburger – "nicht gesund, aber billig." Bablers Vorwurf an die Regierung: "Sie regiert menschenfeindlich."

Auch bei der SPÖ gab es Bier
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Vielleicht ist es dem Valentinstag geschuldet, aber Babler spart nicht an romantischen Metaphern: Der Österreichplan von Nehammer sei bereits ein "Heiratsantrag" an die Blauen gewesen. "Wenn ÖVP und FPÖ nur eine Stimme mehr haben", würden sie auch wieder miteinander arbeiten. Die SPÖ müsse alles daran setzen, diese Koalition zu verhindern. "Ein drittes Mal Schwarz-Blau können wir uns in diesem Land nicht mehr leisten." Denn Kickl sei "ein Angstbeißer", sagt Babler: Er nehme alles als Bedrohung wahr. "Und er versucht, das mit aggressivem Gekläff zu überspielen. Und wenn er Angst hat, schnappt er zu." Wenn die SPÖ der FPÖ nicht entgegentrete, sagt Babler, würden die Blauen die persönlichen Freiheitsrechte angreifen. "Wir haben eine Verantwortung in diesem Land: Für jedes Kind in diesem Land."

Den rund 500 Genossinnen und Genossen gefällt‘s. Mehr und mehr redet sich der Rote in Rage; wiederholt bekannte Forderungen: "Gleicher Lohn für gleiche Hackn", brüllt er schon fast ins Mikrofon. Standig Ovations für den neuen Chef.

Und dann? Heringsschmaus. Den gibt es auch bei ÖVP und FPÖ. (Gerald John, Oona Kroisleitner, Sandra Schieder, 14.2.2024)