Es ist der traurige Höhepunkt einer Debatte, die vor allem in den letzten Jahren an Radikalität dazugewonnen hat: Im kleinen Ort Schruns sägten vergangenes Wochenende unbekannte Täter jene Tanne mit einer Motorsäge durch, die am Wochenende für den sogenannten Funken verwendet werden sollte. Kurz vorher hatte man in dem Ort angekündigt, dieses Jahr keine Hexenfigur auf dem Holzturm anzubringen. Ein Zusammenhang mit der Tat ist naheliegend. Die Wogen gehen hoch, wie schon 2023 – auch wenn da der Grund ein wenig anders gelagert war: Im Vorjahr wurde in einem anderen Ort eine Hexe am Funken angebracht, die eine Klimaaktivistin darstellte.

Was am Funken-Wochenende passiert

Hexen? Fu-was? Am Samstag und Sonntag nach dem Aschermittwoch spielt sich in Vorarlberg ein Spektakel ab: das Funken-Wochenende. Dabei werden meterhohe Holztürme entzündet, auf den allermeisten thront ganz oben eine Hexenfigur, die mit Schwarzpulver gefüllt wird. Dazu gibt es ein immer umfangreicheres Rahmenprogramm: Livemusik oder DJs, Bastelprogramm für Kinder, jede Menge Verpflegung, Fackelschwingen, Feuerwerk, sogar Christbaumweitwurf – ein Gute-Laune-Event für die ganze Familie, mit dem der Winter verabschiedet werden soll.

In ganz Vorarlberg werden am Wochenende meterhohe Holztürme abgebrannt und somit der Winter verabschiedet. Dass dabei meist eine Hexe auf dem Funken thront, sorgt für immer radikalere Debatten.
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Eigentlich. Doch das Verbrennen der Hexenfiguren, in denen die einen Frauen am Scheiterhaufen und die anderen ein schützenswertes, altes Brauchtum sehen, sorgt für verhärtete Fronten. Was in Schruns passiert ist, ist nicht nur ein weiteres Beispiel dafür, wie ideologisiert und emotionalisiert die meisten Debatten mittlerweile ablaufen. Das Thema Funkenhexe ist auch vor dem Hintergrund interessant, dass die ÖVP in ihrem "Österreich-Plan" "keine Veränderung unserer Fest- und Feiertagskultur" fordert, "damit unsere Bräuche auch in Zukunft begangen werden können".

Was ist Tradition?

Tradition hat jedenfalls die Debatte über die Hexe: Bereits 1928 hielt Historiker Benedikt Bilgeri fest: "Die Familien feiern das Andenken der Verbrennung ihrer Ahnmutter, das wäre doch ein hässlicher Programmpunkt für den Funkensonntag, und doch ist es so ..." Auch Historiker Manfred Tschaikner macht seit mehr als 30 Jahren auf die in seinen Augen problematischen Funkenhexen aufmerksam. Man gehe mit der Erinnerung an die historischen Hexenverbrennungen höchst unsensibel um, sagte er etwa 1996 bei einem Vortrag. Es gebe kein historisches Gespür im Ländle.

Befürworter der Hexen nennen meist die Bewahrung des Brauchtums als Grund dafür, daran festzuhalten. Historiker wie Tschaikner entkräften dieses Argument allerdings. Der ursprüngliche Brauch habe ohne Hexenfiguren stattgefunden, sagt er. Seit Jahrzehnten forscht Tschaikner nicht nur zum Funken, sondern auch zu Hexenverbrennungen in der Region. Michael Kasper, der seit kurzem Direktor des Vorarlberg-Museums ist, stimmt ihm zu. Ursprünglich, also im 17. Jahrhundert, sei das Fackelschwingen im Vordergrund gestanden, die Feuer seien viel kleiner gewesen und hätten quasi nachbarschaftlich stattgefunden.

Der Funken ist einer der beliebtesten Bräuche in Vorarlberg. Tausende besuchen die Veranstaltungen samt umfangreichem Rahmenprogramm.
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Auch dass es darum gehe, den Winter auszutreiben, schwirre laut Kasper so herum, Belege dafür gebe es aber nicht wirklich. Schon im frühen 19. Jahrhundert habe es ganz unterschiedliche Antworten darauf gegeben, wieso die Feuer entzündet werden. Erst viele Jahre später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, vielerorts auch erst Anfang des 20. Jahrhunderts, fand die Hexenfigur ihren Weg auf den Funkenturm. Laut Kasper falle das mit der Zeit zusammen, in der Vereine, in denen hauptsächlich die Oberschicht organisiert war, den Brauch übernahmen und zu einer Art Veranstaltung machten. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Feuer zu Massenevents, die Hexe habe auch als eine Art Publikumsmagnet fungiert.

Warum die Hexe für viele wichtig ist

Warum also das Beharren auf einer Tradition, die so ursprünglich gar nicht ist und an der es auch schon jahrzehntelange Kritik gibt? "Es ist immer eine Frage des Maßstabs", sagt Kasper. "Für viele Menschen sind 100 Jahre ja auch eine lange Zeit. Sie haben es immer so gekannt, in dem Sinn ist es für sie eine Tradition."

Barbara Lässer ist eine von ihnen. Als Präsidentin der Vorarlberger Fasnatzünfte und -gilden steht sie auch etwa zehn Prozent der Funkenzünfte vor. "Wir wollen und können keine Vorschriften machen, nur Empfehlungen." Historiker Tschaikner habe unlängst etwa einen Vortrag gehalten. Umgesetzt wurden seine Empfehlungen großteils aber nicht. "Viele kennen den Funken seit ihrer Kindheit so, man denkt sich nichts dabei." Auch Lässer sieht in der Hexe keine Frau, sondern nur ein Symbol. Dass es sich um ein problematisches Symbol handle, könne sie aber nachvollziehen. "Aber Druck sorgt immer für Gegendruck", sagt Lässer und spielt damit darauf an, dass es Stimmen gibt, die die Funkenhexen mit Femiziden vergleichen und in den vielen Ehrenamtlichen – großteils Männer – das Patriarchat sehen.

Wandel und Zeit

Viele Besucherinnen und Funkenbauer würden wie Lässer keinen Konnex zwischen den Verbrennungen unschuldiger Menschen in der Frühen Neuzeit und den Funken machen, meint Tschaikner. Diese Haltung erinnere ihn an jemanden, der einen rassistischen Witz erzählt und dann erklärt, er habe nichts Schlechtes dabei gedacht. "Deswegen wird der schlechte Witz nicht besser. Unwissenheit und Gedankenlosigkeit entschuldigen nicht alles." Die Funkenhexe heiße eben Hexe und sehe so aus, sie lasse sich nicht so einfach von den Hexenverbrennungen abkoppeln. Auch Kasper meint, die Quellenlage sei zwar schwierig. Aus seiner Sicht gebe es aber genug, was dafür spricht, sich von den Hexen am Funken zu distanzieren.

In Schruns hat man das eingesehen. In Bludenz thront seit mehr als 20 Jahren keine Hexe mehr auf dem Funken. Die Orte bleiben aber eine Minderheit, nur etwa eine Handvoll Funken kommen ohne die menschenähnlichen Figuren aus. Barbara Lässer hofft, dass bald nicht mehr die Hexe, sondern wieder der Funken an sich im Vordergrund steht – und dass wieder zivilisierter miteinander umgegangen wird. "Ich denke, irgendwann wird es sich wandeln. Aber das braucht Zeit."

Auch Kasper glaubt nicht, dass sich der Konflikt einfach in Luft auflöst. Eine einfache oder zentrale Lösung gebe es nicht. Es gelte, im Dialog zu bleiben. Und natürlich gehe es in der Debatte nicht um die Hexe an sich. "Da spielen gesamtgesellschaftliche Veränderungen und wie man damit umgeht hinein. In anderen Zeiten hätte dieses Thema nicht zu so verhärteten Fronten geführt." (Lara Hagen, 16.2.2024)