Es ist nie zu spät, Neues auszuprobieren. Wobei neu hier nicht ganz passt, denn Gravelbiken ist seit fast zehn Jahren in der Radlszene omnipräsent. Das sogenannte Adventure-Biken, also Abenteuer-Radeln, schwappte aus den USA nach Europa über. Dort wurde mit dem Salsa Warbird schon im Jahr 2008 das erste offizielle Gravelbike auf den Markt gebracht. Während Schotterflitzer – Gravel steht für schottrigen Untergrund – in der Radsportszene für geteilte Meinungen sorgen, freuen sich die Hersteller über klingelnde Kassen. Denn Gravelbikes verkaufen sich gut. Doch was taugen sie wirklich? Der folgende Testbericht ist durch die Brille eines am BMX und Mountainbike sozialisierten Fahrers zu lesen – sprich Flat statt Drop Bar.

Verlockendes Angebot

Es war im Herbst 2023, als unverhofft eine E-Mail aus Oberösterreich von My Esel eintrudelte: "Wir hätten ein neues E-Gravelbike im Angebot, Lust es zu testen?" Ein verlockendes Angebot. Denn draußen hatte der Novemberschnee die Trails fürs Erste unpassierbar gemacht. Also warum nicht Gravelbiken? Das war doch das mit den Rennradeln im Gatsch, oder so? Klingt lustig. Und die Option E-Bike versprach, dabei im Bedarfsfall auf elektrische Hilfe zurückgreifen zu können. Kurz darauf stand es in voller Pracht da, das E-Gravelbike aus Walnussholz. Wie alle My Esel Gefährte ein echter Augenschmaus, der jedes Wohnzimmer schmückt. Eigentlich viel zu schade für den Radlkeller, geschweige denn eine Gatschpartie.

Das Holzrad im Wohnzimmer
Das My-Esel-E-Gravelbike taugt dank Walnussoptik auch als schmuckes Möbelstück im Wohnzimmer.
Steffen Kanduth

Aber nur zum Anschauen wurde das schöne Fahrrad nicht den weiten Weg nach Tirol geliefert. Also nichts wie rein in die Thermowäsche und raus auf die Schotter- und Waldpisten damit. Das Testrad, das My Esel der Tretlager-Kolumne zur Verfügung gestellt hat, ist die High-End-Version namens Performance des neuen Gravelflitzers. Carbon-Hochflanschfelgen aus dem Hause Pancho Wheels, bereift mit dem Gravel-Klassiker G-One Allround von Schwalbe (28 x 1,7 Zoll), die 11-fach-Schaltung GRX Di2 von Shimano ist elektrisch und funktioniert ebenso geräuschlos wie präzise. Etwas tricky ist nur, dass die Stromversorgung über ein Kabel läuft, das am unteren Ende der Sattelstütze im Sattelrohr angesteckt wird. Das zu finden, kann dauern.

Aufnahmen für Extras und Maßanfertigung

Die verbauten Scheibenbremsen sind ebenfalls von Shimano, Modell BR-RX810. Bei Sattelstütze wie Gabel kam statt Holz der Werkstoff Carbon zum Einsatz. Insgesamt bringt das My-Esel-E-Gravelbike so knappe 16 Kilogramm auf die Waage. Der 250-Wh-Akku ist komplett unsichtbar in den Holzrahmen integriert und versorgt den hauseigenen UPEA-Hinternaben-Antrieb mit dem nötigen Strom, um die laut Herstellerangabe 42 NM auf die Straße beziehungsweise den Schotter zu bringen. Optional ist auch, ein 350-Wh-Akku zu haben.

Überhaupt lässt sich das My-Esel-E-Gravelbike ganz den Kundenwünschen anpassen. Ein maßgeschneiderter Rahmen kostet 800 Euro Aufpreis, sollten die Modelle von der Stange, die ab 4.750 Euro (Modell Allround) zu haben sind, nicht passen. Das getestete Performance-Modell gibt es ohne Extras ab 6.650 Euro. Das My-Esel-Gravelbike ohne E-Antrieb ist ab 3.950 Euro zu haben. Auf die Holzrahmen gibt es fünf Jahre Herstellergarantie.

Für Weitradler und Pendler gibt es allerlei Zusatzfeatures wie Schutzbleche, Gepäckträger, Flaschenhalter gegen Aufpreis und sogar den eigenen Namen oder ein Logo kann man am Rahmen anbringen lassen. Die nötigen Aufnahmen zur Montage der Extras sind bereits serienmäßig am Rad angebracht, man kann sich also auch nach eigenen Vorstellungen und Wünschen Komponenten anschrauben.

Den Experten fragen

Wie sich bei den ersten Testfahrten schnell zeigte, wären Schutzbleche eine gute Idee. Denn der Selle Italia SLR Boost Sattel ist zwar formschön und dank seiner Aussparung in der Mitte besonders schnittig. Doch bei Minusgraden und nassem Untergrund kann ebendiese Aussparung gepaart mit dem, was die profilierten Reifen nach oben schleudern, zur Kältefalle werden. Denn der Fahrtwind sorgt für schmerzhafte Erfrierungserscheinungen an höchst empfindlicher Stelle.

Das Holzrad im Freien
Das neue My-Esel-E-Gravelbike in der Performance-Variante. Ein eierlegender Wollmilchesel? Wir haben es ausprobiert.
Steffen Kanduth

Dieses kleine Malheur zeugt wiederum von mangelndem Wissen ums Gravelbiken des Testers. Denn diese Spielart des Radelns ist mitnichten das eingangs genannte Rennradeln im Gatsch. Das ist vielmehr sein älterer und bei weitem nicht so trendiger Bruder Cyclocross. Diese Form des Rennradelns gibt es seit den 1960ern, und sie stammt aus dem Benelux-Raum, wo sich Profis in der kalten Jahreszeit derart fithielten. Um selbst nicht weiter so unbedarft durch die Gegend zu graveln, wurde ein echter Experte zurate gezogen. Thomas Pupp, Gründer und Manager des Tirol KTM Cycling Teams. Seines Zeichens gemeinsam mit Gerhard Kapeller Veranstalter des ersten großen Gravel-Rennens hierzulande, der Ride with Passion Tour im Jahr 2014.

Pupp fuhr schon vor 20 Jahren mit seinem Cyclocross Rad auf die Innsbrucker Seegrube und machte sich damit als "der Depperte am Rennradl" einen Namen, wie er sagt. Im Gegensatz zu Gravelbikes sind Cyclocross-Räder näher am Rennrad, haben ein höheres Tretlager und einen kürzeren Radstand als Gravelbikes. Sie eigenen sich dadurch zum agilen und schnellen Fahren im Gelände. Gravelbikes sind hingegen die gemütlichere Variante der Drop-Bar-Sparte – also der Fahrräder mit dem nach unten gebogenen Rennradlenker. Man sitzt aufrechter, weshalb sie sich besser zum Tourenfahren eignen. Der längere Radstand sorgt für Laufruhe, dank Scheibenbremsen sind auch Offroad-Abfahrten damit besser bewältigbar. Und auch der Rennradlenker ist etwas breiter und gibt dadurch mehr Sicherheit.

Im Hügelland daheim

"Aus Cyclocross wurde Gravel", erklärt Pupp die Radl-Evolution. Dadurch sei eine neue Art Fahrrad entstanden, die zwischen den Genres Rennrad/Cyclocross und Mountainbike pendelt. "Es ist ein Rad für alles. Wenn ich noch einen zweiten Satz Laufräder habe, kann ich damit so zwischen Gelände- und Straßenflitzer wechseln." Wobei Pupp ein wenig einschränkt: "Ich finde, Gravelbikes sind nicht unbedingt für die Berge gemacht, eher für hügeliges Gelände." Im Gebirge sei das Mountainbike mit seinen breiten Stollenreifen, den breiten Lenkern und der Federung überlegen. Und auf Alpenpässen bringt ein waschechtes Rennrad bessere Klettereigenschaften mit.

Auch das Testrad von My Esel ist nicht für den Einsatz im hochalpinen Gelände gebaut, wie der Hersteller bestätigt. Der leichte E-Motor würde an langen Anstiegen über hunderte Höhenmeter scheitern. Dafür spielt der Gravel-Esel seine Stärken im hügeligen Terrain aus. Im Flachen braucht es den Motor im Grunde nicht oder kaum. Er kann bei fiesem Gegenwind oder beim Anfahren im Stadtgebiet wertvolle Anschubhilfe geben. Sobald der Esel aber einmal rollt, bewegt er sich mit wenig Kraftaufwand vorwärts. Und kommt plötzlich eine Steigung, kann der Motor über insgesamt drei Stufen zugeschalten werden.

Das erwies sich bei Touren durch Mittelgebirge bei Innsbruck als Gamechanger. Der Hinternabenantrieb wirkt dann wie eine unsichtbare Hand, die einem den fehlenden Schwung verleiht, indem sie sanft anschiebt. Etwas gewöhnungsbedürftig ist für versierte E-Biker, dass der My-Esel-hauseigene UPEA-Antrieb für den Bruchteil einer Sekunde weiter anschiebt, auch wenn man schon mit dem Pedalieren aufgehört hat. Doch nach ein, zwei Ausfahrten macht das keinen Unterschied mehr.

Strom oder nicht Strom?

Nun zur grundsätzlichen Frage: Braucht es den E-Antrieb am Gravelflitzer? Ja und nein. Nein, weil sich das Rad wirklich gut und flott fährt. Sobald man sich als Mountainbiker an die ungewohnte Sitzposition und vor allem den Rennradlenker gewöhnt hat, wird man immer schneller damit. Auf der täglichen Pendelstrecke nutzt man plötzlich nur mehr die Überholspur. Und trotzdem kann der E-Antrieb auch sehr nützlich sein. Nicht immer will man sich auf der Radlrunde komplett auspowern. Mit dem E-Gravelbike werden Genussrunden ganz neuen Ausmaßes möglich. Die unsichtbare Hand, die anschiebt, kann herrlich sein, wenn man allein unterwegs ist und das Energielevel nicht ganz on top ist oder man einfach ein wenig cruisen will, trotz Anstiegen. Oder wenn man in der Gruppe mit Leistungsstärkeren fährt und nicht nur die rote Laterne spielen will, auf die ständig alle warten müssen. Bei ungleichen Duos kann so ein leichter E-Motor für Harmonie auf gemeinsamen Ausfahrten sorgen.

Ein weiterer Pluspunkt: Der Esel verrät einen nicht als E-Biker. Das kann durchaus ein Kaufargument sein, wenn man sich nicht outen will. Für Laien ist das Rad nicht als Pedelec mit Akku und Motor zu erkennen. In Betrieb läuft der kleine Motor in der Hinternabe praktisch geräuschlos und das Display am Lenker sieht einem herkömmlichen Radlcomputer zum Verwechseln ähnlich. Die kleine Buchse zum Anschluss des Ladekabels könnte auch eine Schraubenabdeckung sein. Nur wer ganz genau schaut und den USB-Anschluss findet, über den man sein Handy notfalls laden kann, wird den Esel als elektrifiziert identifizieren.

Wie groß die Reichweite des E-Gravelbikes ist, hängt von vielen Parametern wie Gewicht des Fahrers oder Topografie ab. Die Herstellerangabe spricht von rund 70 Kilometern bei vollem Akku. In manchen Testberichten ist von bis zu 95 Kilometern zu lesen, bei minimaler Motorunterstützung. Im hier beschriebenen Test wurde das Rad nie leer gefahren, die Runden waren bis zu 40 Kilometer lang und der Motor wurde bei jeder Steigung voll ausgeschöpft. Wer längere Touren plant, sollte das Ladegerät einpacken. Denn in nur einer Stunde ist der Akku wieder mehr als halbvoll. Eine längere Mittagspause genügt also, um wieder weiterzukommen.

My Esel als Eisbrecher

Ein Bonusfeature, das wohl nur das My Esel Gravelbike bietet, ist der soziale Faktor. Wer mit so einem Holzrad unterwegs ist, sollte sich darauf einstellen, angesprochen zu werden. Für Singles womöglich das ideale Vehikel, um mit anderen Radelnden ins Gespräch zu kommen. Egal ob an der Kreuzung im Stadtverkehr oder bei der Rast irgendwo am Bankerl neben dem Feldweg: wenn jemand vorbeikommt, werden mit Sicherheit neugierige Blicke geworfen und in den meisten Fällen folgt ein ungläubiges: "Ist das wirklich aus Holz?" Und schon ist man im Gespräch über Haltbarkeit und Nachhaltigkeit des Werkstoffes, österreichische Produktion bis hin zu Sinn und Unsinn von E-Bikes.

Experte Thomas Pupp sagt dem Gravelbiken jedenfalls eine lange und blühende Zukunft voraus, egal ob mit oder ohne E-Antrieb: "Das Graveln ist gekommen, um zu bleiben. Es hat etwas Spielerisches, das anspricht, und es gibt offenbar den Markt dafür." Für Pupp ist Gravelbiken eine wichtige Ergänzung zum E-Biken. Dass es beides auch in Kombination gibt, sei für ihn eine interessante Zusatznische. Wobei er selbst lieber die puristische Variante ohne Motor fährt. Vor allem sportlich sieht er viel Potenzial im Graveln: "Die Rennen werden noch viel größer werden. Denn sie sind die reinste Form des Radfahrens, ohne Begleitfahrzeuge und Verpflegungsstationen."

Für Mountainbiker gewöhnungsbedürftig

Das "Tretlager"-Testfazit zum E-Gravelbike von My Esel: Als Neueinsteiger auf einem Schotterrad mit Rennlenker dauerte es ein wenig, um sich mit der ungewohnten Haltung am Radl vertraut zu machen. Ist diese Gewöhnungsphase abgeschlossen, steigt der Spaß auf jeder Ausfahrt. Die dämpfenden Eigenschaften des Holzrahmens bei gleichzeitiger Steifigkeit sorgen für ein gutes Fahrgefühl. Wer eher beim Mountainbiken daheim ist, der wird sich vor allem mit dem Lenker schwertun. Es empfiehlt sich, durch leichte Veränderung an der Lenkereinstellung – nach den ersten paar Testfahrten wurde er etwas steiler nach oben ausgerichtet – sich an die perfekte Position heranzutasten.

GRAVEL MANIA / Gabriel Wibmer
Gabriel Wibmer zeigt, was auf einem Gravelbike möglich ist. Für Normalsterbliche eigenen sich die Räder eher zum Einsatz auf Offroad-Touren im Hügelland.
Gabriel Wibmer

Der Einsatz im rauen Gelände oder gar auf Trails bleibt wohl echten Enthusiasten vorbehalten, wie Gabriel Wibmer, dem Cousin von Youtube-Star Fabio – siehe Video. Doch so ein Gravelflitzer eröffnet auf der täglichen Pendlerroute oder beim Reiseradeln neue Dimensionen. Da verkürzt sich der Weg in die Arbeit urplötzlich um ein Viertel, dank der Geschwindigkeit. Und die tägliche Etappe auf der Tour wird entscheidend länger, wenn man auf ein Gravelbike setzt. Ob mit oder ohne E-Antrieb ist wohl Geschmackssache. Im Test hat sich gezeigt, dass die E-Variante ein wirklich agiles und spaßig zu reitendes Radl ist. Der direkte Vergleich mit dem Bio-Gravelbike war leider nicht möglich, aber wäre sicherlich auch interessant. Persönlich denke ich nicht, dass es in der Ebene einen großen Unterschied gibt, bei Anstiegen hingegen, wäre spannend beide zu vergleichen.

Insgesamt ein optisch herausragend schönes Fahrrad aus dem nachhaltigen Werkstoff Holz und in Österreich gefertigt. Der Preis ist sicher kein Schnäppchen, aber man bekommt dafür ein Top-Produkt und hat den Hersteller in greifbarer Nähe. Interessierten bietet My Esel auch die Möglichkeit von Testfahrten an, Details dazu sind auf der Homepage zu finden. (Steffen Kanduth, 17.2.2024)