Vision Pro
Apples Mixed-Reality-Headset Vision Pro ist derzeit nur in den USA erhältlich und dementsprechend selten in Österreich aufsetzbar.
DER STANDARD/Brandtner

Mythos, Magie und Produkt liegen bei Apple nahe beieinander. Zumindest will uns das Marketing des Billionenkonzerns das oft glauben machen. Dass das iPhone tatsächlich bahnbrechend für die Entwicklung von Smartphones war, wird niemand bestreiten. Und wenn die Kundinnen und Kunden bereit sind, einen kleinen Aufpreis zu zahlen, scheint auch ein iPad die Konkurrenz noch immer darin vorführen zu können, wie man das Erlebnis Tablet richtig macht.

Umso größer war die Spannung, als Apple das Mixed-Reality-Headset Vision Pro ankündigte. Die viel zitierte Apple-Magie kommt unweigerlich ins Spiel. Und damit hohe Erwartungen: Wenn man sich in Cupertino dazu entschließt, eine neue Gerätekategorie zu erschließen, kann man doch davon ausgehen, dass das Produkt ausgereift ist, oder? Überhaupt bei einem stolzen Kaufpreis von 3.500 Dollar, der nach Verzollung auf über 4.000 Euro hochschnellt - denn in Europa ist das Headset offiziell noch nicht erhältlich.

Der Weg zum Hands-On

Aber wie gut kann ein Apple-Produkt sein, wenn die ersten Käufer sich bereits bemühen, es innerhalb der vorgegebenen Zeit wieder zurückzugeben? Die Frage ist für eine Redaktion in diesen Breitengraden nicht so einfach zu beantworten, da Apple selbst weder zu einem Preview-Event eingeladen noch ein Testgerät zur Verfügung gestellt hat. Böse Zungen könnten behaupten, dass dies nach den Retouren in den USA kein Problem mehr sein sollte. Tatsache ist aber, dass der europäische Markt für Apple in diesem Zusammenhang derzeit einfach noch nicht relevant ist. Punkt.

Dass eine Redaktion keine 4.000 Euro für eine waghalsige Wette auf die Zukunft aus dem Fenster werfen kann, sollte hoffentlich einleuchtend sein. Das gilt natürlich nicht für ein Unternehmen, das die Chance wittert, sie möglichst schnell nutzen und eine App für das Gerät entwickeln will. Das Startup Appful.io ist darauf spezialisiert, aus Webseiten native Apps für iOS und Android zu generieren, und befindet sich derzeit in einer intensiven Testphase, auch die Vision Pro für sein Geschäftsmodell kompatibel zu machen. Geschäftsführer Lukas Gehrer hat den STANDARD deshalb in die Wiener Zentrale eingeladen, sich in einer ruhigeren Minute einen Ersteindruck zur Vision Pro zu verschaffen.

Vision Pro
Für höheren Tragekomfort und längere Sessions ist das Dual Loop Band eindeutig die bessere Wahl.
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Das ist auch ein gutes Stichwort, das noch einmal betont werden sollte. Da für den Termin insgesamt nicht mehr als zwei Stunden zur Verfügung standen, kann natürlich nicht von einem Test gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um ein erstes Hands-on. Ein erster Eindruck eines Autors, der sich seit Jahren gerne mit verschiedenen VR- und AR-Geräten beschäftigt und daher nicht nur neugierig war, was ihn erwartet. Er hat auch seine Meta Quest 3 für einen schnellen Vergleich mitgebracht. Ein ausführlicher Test des Vision Pro wird hoffentlich in naher Zukunft folgen, wenn das Gerät in Europa erhältlich ist.

Hello Apple

Der erste Kontakt mit der Vision Pro in freier Wildbahn ist wenig überraschend: Die unzähligen Witze und Anspielungen auf eine Skibrille sind zwar irgendwie verständlich, aber die Verarbeitung des Mixed-Reality-Headsets ist so hochwertig, wie man es von einem Apple-Produkt erwartet. Gegen das edle Gehäuse aus Aluminium und Glas wirkt die Kunststoffverarbeitung der Konkurrenz fast schon wie chinesischer Ramsch - und auch die beiden mitgelieferten Kopfbügel können sich sehen lassen.

Hinter dem so genannten Solo Knit Band verbirgt sich ein breites, luftdurchlässiges Gewebe für den Hinterkopf, das sich der Kopfform anpasst. Das sieht auf den ersten Blick stylisch aus, lässt aber auch schnell den Nachteil der edlen Verarbeitung erkennen: Mit über 600 Gramm ist die Brille kein Leichtgewicht und kann sich nach kurzer Tragezeit im Nacken deutlich bemerkbar machen. Dabei ist der Akku nicht einmal in die Brille integriert, sondern findet über ein Kabel verbunden am besten in der Hosentasche Platz. Hier fängt die Eleganz ein bisschen zu bröseln an.

Für das Hands-On wurde daher das ebenfalls mitgelieferte Dual Loop Band verwendet. Wie der Name schon sagt, wird das Headset mit einem Band am Hinterkopf und mit einem zweiten Band am Oberkopf befestigt. Dies scheint die Last deutlich besser zu verteilen, zumindest konnten nach einer knappen Stunde Tragezeit keine Beschwerden festgestellt werden. Gerade in diesem Zusammenhang wäre es natürlich interessant gewesen, Vision Pro länger ausprobieren zu können, um zu sehen, wie sich das Gewicht bei längerer Tragezeit auswirkt.

Und um es gleich vorweg zu nehmen, das betrifft natürlich auch die Akkulaufzeit. Erstaunlich ist allerdings, dass die Akkulaufzeit nach etwa einer Stunde von 100 auf 72 Prozent gesunken ist. Das deutet darauf hin, dass die Akkulaufzeit in der Praxis - also im konkreten Fall: erste Tippvorgänge, das Browsen in den Einstellungen, kurzes Surfen im Internet und die Nutzung verschiedener Apps - länger ausfallen kann, als in vielen Testberichten zu lesen war.

Ich seh, ich seh...

Die Einrichtung erfolgt weitgehend automatisch, wie auch das Starten des Headset - man muss es lediglich aufsetzen. Augenposition und Augenabstand werden automatisch ermittelt und nach einer kurzen Kalibrierung der Augenbewegungen, die man nur mit einer Geste bestätigen muss, landet man auch schon auf dem Homescreen.

Befindet man sich bei der Nutzung der Vision Pro zuhause, ließe sich der Begriff Homescreen durchaus wörtlich nehmen. Denn was man zu sehen bekommt ist nicht ausschließlich eine in sich geschlossene Ansammlung von Apps wie auf dem Bildschirm eines Smartphones, Tablets oder VR-Headsets. Stattdessen sieht man sein reales Umfeld, wie man es ohne Brille auch tun würde, nur werden besagte App-Icons und in weiterer Folge die dahinterliegenden Inhalte in den Raum projiziert.

Was schon nach kurzer Zeit sofort auffällt: Die Qualität, mit der die Außenkameras der Brille die Bilder an die beiden inneren Displays senden, also der Passthrough, dürfte als Gesamtpaket betrachtet derzeit Referenz sein. Dass die Auflösung der beiden Bildschirme zusammengerechnet den 4K-Standard um ein Vielfaches übertrifft, kann man zwar nicht sehen. Wohl aber, dass keine Pixel erkennbar sind und reale Objekte und Personen unabhängig von der Entfernung zum Betrachter relativ scharf und klar dargestellt werden, solange man direkt auf sie schaut. Zu den Rändern hin wird das Bild allerdings unscharf, wie man es von Konkurrenzprodukten kennt.

Vision Pro
Beeindruckende Bildqualität: Ein gefährlicher Dino stapft gestochen scharf aus dem Bildschirm in Richtung Betrachter.
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Während also dank der Auflösung kein Screen Door Effect auftrat, war das eingeschränkte Sichtfeld der Vision Pro enttäuschend. Der Taucherbrilleneffekt, also eine starke Einschränkung der peripheren Sicht, ist deutlich spürbar und erinnert an ältere VR-Brillen. Bei schnelleren Kopfbewegungen wird man noch leichter aus der Illusion gerissen, da Objekte und Personen im Bild dann sogar schlieren können. Das ist nicht nur hässlich anzusehen, sondern kann auch zu Übelkeit führen, wenn man keine Erfahrung mit solchen Brillen hat.

Weitgehend intuitiv

Die Inhalte auf der Vision Pro können somit frei im Raum skaliert werden: Wie groß ein Browserfenster ist, ob eine App auf dem Boden oder an der Decke angezeigt werden soll, entscheidet man nicht über herkömmliche Eingabegeräte, sondern weitgehend über die Steuerung mit den Fingern - und den Augen.

Wer mit dem Headset viel spielen will, kann es mit einem Bluetooth-Controller verbinden. Gelegentlich kommen auch eine Krone und ein Knopf auf der Oberseite des Geräts zum Einsatz. Spracherkennung und -steuerung konnte nicht genügend ausprobiert werden, um eine wertende Aussage treffen zu können. Im Mittelpunkt der Bedienung steht auch das Eyetracking, das mit vier Kameras im Inneren der Brille realisiert wird und definitiv ein Highlight des Gerätes ist.

Die Funktionsweise ist denkbar einfach und zieht sich wie ein roter Faden durch die Bedienung von Vision Pro: Man schaut einfach auf das, womit man interagieren möchte, und sobald es sich in irgendeiner Form visuell hervorhebt, tippt man je nach Interaktionswunsch mit dem Zeige- oder Mittelfinger auf den Daumen. Dies entspricht in etwa dem OK oder dem Mausklick auf bekannten Gerätekategorien.

Das klingt intuitiv und ist es auf lange Sicht vielleicht auch. Tatsächlich braucht es aber eine gewisse Eingewöhnungszeit, um mit dem Vision Pro zurechtzukommen. Hat man sich erst einmal damit vertraut gemacht, oder - im Falle des Autors - von einem ähnlichen Gerät umgestellt, funktioniert das innovative Steuerungsprinzip in der Regel einwandfrei. Eine schnelle Erkenntnis beim Hands-On war auch, dass die Hand nicht zu weit vom Headset entfernt sein darf, da sonst die Gesten nicht erkannt werden.

Auf der Suche nach Inhalten

Im Hands-On war die Vision Pro jedenfalls weit davon entfernt, mit innovativen Inhalten beeindrucken zu können. In der rund einstündigen Nutzung "flimmerte" nichts über die Bildschirme, was man nicht auch mit Konkurrenzprodukten erleben oder mit anderen Apple-Geräten mindestens genauso effizient erledigen könnte. 3D-Videos sind ein alter Hut, ebenso wie virtuelle Kinoleinwände oder die Nutzung als Großbildschirm längst keine Besonderheit mehr sind.

Vision Pro
Objekte lassen sich in jeder beliebigen Größe im Raum platzieren und detailliert begutachten.
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Auch das Platzieren und Verändern virtueller Objekte in der realen Umgebung ist nichts, was es nicht schon vorher gegeben hätte. Es war zwar ganz nett, ein Formel-1-Auto über eine App zu inspizieren, und auch die Qualität der Darstellung hat gefallen. Aber Tech-Demos, die auf einen kleinen Anwendungsfall komprimiert zeigen, was vielleicht einmal in größerem Maßstab möglich sein könnte, hat man in dieser Produktkategorie schon zur Genüge gesehen.

Der Wow-Effekt solcher Anwendungsszenarien verpufft bei Privatanwendern nach wenigen Minuten, dann wird die Schublade geschlossen - und wahrscheinlich nie wieder geöffnet. Das erklärt vielleicht auch, warum die Käufer in den USA beginnen, die Vision Pro zurückzugeben. Abgesehen vom absurd hohen Anschaffungspreis dürfte es mangels exklusiver Inhalte (oder Apps) für die meisten einfach (noch) keinen Grund geben, die Brille in den Alltag zu integrieren und damit zu behalten.

Kurzer Schlagabtausch mit der Meta Quest 3

Und wie schneidet der Vision Pro im Vergleich zum Meta Quest 3 ab? Auf den ersten Blick scheint der Vergleich unfair - und "offiziell" auch unpassend, da beide Unternehmen unterschiedliche Zielgruppen für ihre Geräte kommunizieren. Tatsächlich liegen die beiden Mixed-Reality-Geräte nicht weit auseinander - und schon gar nicht so weit, wie der Preis vermuten lässt.

Es mag nicht überraschen, dass das Vision Pro unterm Strich nicht nur die deutlich hochwertigere Verarbeitung und die bessere Hardware mit geringerem Bildrauschen aufweist, sondern derzeit auch über die präzisere Gestensteuerung verfügen dürfte. In einzelnen Punkten wie zum Beispiel bei der Größe des Sichtfeldes oder der Bildwiederholrate der Displays kann aber auch die Meta Quest 3 das Headset aus Cupertino übertreffen.

Vision Pro
Rund 3.000 Euro günstiger und ein unbequemer Rivale: Die Meta Quest 3.
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Im direkten Vergleich fällt es adhoc jedenfalls schwer, ein gutes Argument zu finden, warum das eine Headset siebenmal so teuer sein soll wie das andere. Ob das Meta Quest 3 deshalb gleich das bessere Produkt ist, wie Mark Zuckerberg erst vor kurzem behauptet hat, konnte in der Kürze der Zeit natürlich nicht ausreichend beleuchtet werden. Ganz abwegig erscheint der Gedanke aber nicht.

Gemischte Gefühle

Die erste Begegnung mit dem Vision Pro war überraschend und enttäuschend zugleich. Die Handschrift von Apple ist zunächst deutlich an der hochwertigen Verarbeitung und dem Design des Headsets zu erkennen - beides ist eine willkommene Abwechslung in einer Produktkategorie, in der bisher nur Kunststoff und klobige Klötze das Bild berherrschten. Apple ist es gelungen, das derzeit schönste Mixed-Reality-Headset auf den Markt zu bringen.

Von dem Zauber, den Apple in der Vergangenheit mit neuen Produkten zu versprühen wusste, ist beim Vision Pro aber leider keine Spur. Daran ändert auch die Kombination aus Eyetracking und Gestensteuerung nichts - ein Bedienkonzept, das in dieser Umsetzung durchaus innovative Züge trägt.

Vielmehr hat man den Eindruck, dass hier ein großer Magier mit aller Gewalt einen Zaubertrick vorführen wollte, für den er eigentlich noch gar nicht bereit war. Dies zeigt sich am relativ hohen Gewicht der Brille, das sich negativ auf den Tragekomfort auswirken kann, und an Unzulänglichkeiten in der Darstellung - beides Mängel, die sich nach kurzer Zeit erkennen lassen und die man bereits von anderen Herstellern aus der Vergangenheit kennt.

Vor allem aber scheint es noch keine Inhalte oder Anwendungen zu geben, die Vision Pro für den Alltag exklusiv, unverzichtbar oder zumindest besonders attraktiv machen. So dürfte auch Apples Mixed-Reality-Headset ein Nischenprodukt bleiben - ein hübsches Spielzeug für wohlhabende Enthusiasten und eine Sandkiste für Entwickler, bis der Zaubertrick in ein paar Jahren für ein breiteres Publikum wirklich funktioniert. (Benjamin Brandtner, 18.2.2024)