Marianne Wilfling, Fachfrau für Behinderung und Demenz, berichtet über ihre Erfahrungen zu Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und Demenz: "Österreich hat eine nationale Demenzstrategie entwickelt, die sich auf die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz und ihren Begleiter:innen konzentriert. Diese Strategie erkennt die Bedeutung der Förderung von Partizipation und Selbstbestimmung als wesentliche Bestandteile der Demenzversorgung an. Diese Bemühungen zielen darauf ab, sicherzustellen dass Menschen mit Demenz ein sinnvolles und erfülltes Leben führen und sich aktiv in ihren Gemeinschaften engagieren können."

Menschen aus Papier, Menschenkette
Nur durch Vermittlung von Wissen, Erfahrung und Kompetenz kann eine Teilhabe für alle sichergestellt werden.
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Wilfling führt zu den Möglichkeiten zur Unterstützung und Begleitung aus: "Diesbezüglich gibt es österreichweit bereits viele Angebote. Demenzfreundliche Gemeinden sind im Entstehen, Beratungsangebote für Menschen mit Demenz, wie zum Beispiel Promenz, Über den Berg kommen oder Leben mit Vergessen, werden ausgebaut. Schulungen und Ausbildungen für interessierte Laien, An- und Zugehörige, Mitarbeiter:innen der Gesundheitsberufe, sollen sicherstellen, dass Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Demenz in der Gesellschaft ankommen."

Behinderung und Demenz

Anders sieht es im Bereich von Menschen mit Behinderung und Demenz aus. Wilfling erzählt: "Sowohl Menschen mit Behinderungen als auch Menschen mit Demenz haben gesetzliche Rechte, die ihre Autonomie und Beteiligung an Entscheidungsprozessen betonen. Gesetze wie der 'Americans with Disabilities Act' (ADA) in den Vereinigten Staaten und das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) auf internationaler Ebene sowie Gesetze zur Pflege und zu Rechten bei Demenz in verschiedenen Ländern unterstreichen die Bedeutung von Selbstbestimmung."

Selbstbestimmung und soziale Teilhabe von Menschen mit Demenz finden immer mehr statt, analog dazu sollten diese Entwicklungsschritte auch im Bereich Menschen mit Behinderung und Demenz stattfinden. Ein Ziel in der Begleitung von Menschen mit Behinderung und Demenz muss daher sein, auch für sie das Wirkungsziel Eins der österreichischen Demenzstrategie, "Teilhabe und Selbstbestimmung"zu erreichen.

Im kleinen Rahmen, wie zum Beispiel bei LebensGroß in der Steiermark, gibt es bereits Bestrebungen, dieses Wirkungsziel zu erreichen. Bei LebensGroß begleiten wir Menschen, die Benachteiligung erfahren. Wie zum Beispiel Sonja. Sonja ist eine 65-jährige Frau mit kognitiver Behinderung und einer beginnenden Alzheimer-Demenz. Sie kommt seit Jahren in das Tageszentrum und ist sehr kommunikativ. Durch den schleichenden Beginn der Alzheimer-Demenz treten erste Symptome auf, sie wirkt zurückgezogen – an manchen Tagen "vergesslich" und erscheint uns unnahbar. Diese Tage häufen sich und der persönliche Begleiter beginnt sich damit auseinander zu setzen. Es wird ein vernetztes System aufgebaut und die Kontakte mit dem Wohnhaus, in dem sie seit Jahren lebt, werden intensiviert. Dabei geht es darum sich miteinander zu vernetzen und die jeweiligen Auffälligkeiten zu besprechen und im Auge zu behalten.

Um die Begleitung noch mehr zu unterstützen, im Hinblick auf Sonjas Selbstbestimmung wird auch der Unterstützerkreis aktiviert. Das bedeutet, das nicht nur die jeweiligen Mitarbeiter in den Austausch treten, sondern auch Familie, Freunde und Menschen, die Sonja aus dem privaten Umfeld, gut kennen – eingeladen werden, um gemeinsam mit Sonja ihren weiteren Weg (trotz der fortschreitenden Alzheimer-Demenz) gut begleiten zu können. Um die Partizipation und die Selbstbestimmung weitgehend zu unterstützen, wird es im Sommer eine zukunftsorientierte Lebensplanung geben, bei der mit einem externen Moderator diese Ziele gemeinsam mit Sonja und dem Unterstützerkreis besprochen werden können.

Personzentriertes Arbeiten

In ihrer täglichen Arbeit spielt der personzentrierte Ansatz eine große Rolle, so Wilfling. Dieser Begleitungsansatz ermöglicht es Menschen, sich aktiv an Entscheidungen ihren Lebensstil, ihre Pflege und ihre täglichen Aktivitäten betreffend, zu beteiligen. Das Erkennen und Anerkennen der Wünsche und Bedürfnisse der begleiteten und betreuten Personen, aber auch das Wissen um die eigenen Grenzen und die Grenzen der Betreuung ist zentraler Bestandteil des personzentrierten Arbeitens. Nicht allein die Menschen, die begleitet werden, stehen im Fokus, sondern auch die Betreuenden. Um personzentriert zu begleiten, ist fundiertes Fachwissen, Wissen um und die Nutzung von Unterstützungsangeboten, sowie regelmäßige Reflexion des eigene, fachlichen Handelns sowie der eigenen Haltung unerlässlich.

Wilfling sagt abschließend: "Meine Überzeugung ist, dass durch die Anerkennung und Förderung der Partizipation und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und Demenz Inklusion, Würde und Lebensqualität für alle Menschen, unabhängig ihrer kognitiven oder körperlichen Fähigkeiten, möglich wird.“

Menschen mit Behinderung sind Teil unserer Gesellschaft. Um ihre Teilhabe, Selbstvertretung und Selbstbestimmung zu ermöglichen, müssen sowohl Menschen mit Behinderung und/oder Demenz, als auch deren Betreuer:innen, begleitet und unterstützt werden. Sensibilisierung für die Lebenswelten von Menschen mit Behinderung und/oder Demenz, fundiertes Pflege – und Betreuungswissen, sowie psychosoziale Kompetenzen müssen fixer, umfangreicher und wiederkehrender Bestandteil der Curricula der Gesundheits- Betreuungs- und Pflegeberufe werden. Nur durch Vermittlung von Wissen, Erfahrung und Kompetenz können wir den Herausforderungen begegnen und Barrieren durchbrechen. Demenz geht uns alle an. (Marianne Buchegger, 22.2.2024)