Die Delegationen kommen und gehen, etwa im Kiewer Vorort Borodjanka. Die Zerstörung bleibt.
Helena Lea Manhartsberger

Die Exkursion der internationalen Delegation, die sich mit den Umweltfolgen des Kriegs befasst, beginnt, wie so viele Exkursionen internationaler Delegationen vor ihr, im Kiewer Vorort Borodjanka. Die Busse und SUVs des Konvois parken zwischen den Häuserruinen, neben denen seit einiger Zeit auch das Werk "David gegen Goliath" des britischen Street-Art-Künstlers Banksy ausgestellt wird. Es befindet sich in einem Glaskubus, der vor Wind und Wetter schützt – und nach dem bereits aufgeklärten Vorfall rund um das entwendete Banksy-Graffiti in der Ortschaft Hostomel wohl auch vor weiteren Diebstählen.

Empfangen wird die Gruppe, darunter der EU-Kommissar für Umwelt Virginijus Sinkevičius und die ehemalige schwedische Außenministerin Margot Wallström, von einem Sprecher der staatlichen Verwaltung der Oblast Kiew, der in bereits gewohnter Manier erzählt, was sich hier vor Ort zugetragen hat. Er betont, wie wichtig die Unterstützung aus Europa ist, wie dankbar die Menschen für die Hilfen sind, für den Wiederaufbau, für die Berichterstattung. Wie viele Delegationen bereits hier waren? "Wahrscheinlich mehr als 250", sagt der Sprecher. Auf die unerwartete Frage einer Teilnehmerin danach, wie es um das Vorkommen von Asbest in den Häusern vor ihr bestellt sei, antwortet er, dass er leider gerade für Umweltsachen nicht zuständig sei.

Umweltschutz und EU-Beitritt

Erst am Tag zuvor stellte die Arbeitsgruppe Empfehlungen für das Umweltministerium zur Aufarbeitung der Folgen des Krieges auf die Natur und Nachhaltigkeit beim Wiederaufbau vor. Nicht nur darin unterscheidet sich diese Delegation von den anderen, die bereits hier waren. Während die Besucher normalerweise in die nahegelegenen Orte Butscha und Irpin weiterziehen, setzt sich dieser Konvoi nach dem dreißigminütigen Besuch in Borodjanka fort in Richtung Norden, wo sich das Sperrgebiet von Tschernobyl befindet, das im Jahr 2022 ebenfalls kurzzeitig von den russischen Truppen besetzt war.

Die Delegation besichtigt das Innere der Schutzhülle des havarierten Blocks 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl.

Während der russische Angriffskrieg in der Ukraine mittlerweile unzählige Todesopfer und Verletzte gefordert und Millionen Menschen in die Flucht getrieben habe, werde die Umwelt oft als das stille Opfer der Zerstörung bezeichnet, betont Wallström. Seit Beginn der Kämpfe im Jahr 2014 im Donbass und der großangelegten russischen Invasion 2022 gilt fast ein Drittel des ukrainischen Territoriums als vermint. Doch in den vergangenen Jahren kam es neben der Verwüstung von Dörfern und Städten auch zur Freisetzung von Chemikalien, Verschmutzungen durch beschädigte Industriestandorte und im vergangenen Jahr zu einer verheerenden Flut – die direkte Folge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden des Landes.

Russland zur Rechenschaft ziehen

Laut dem ukrainischen Umweltminister Ruslan Strilets belaufen sich die Schäden mittlerweile auf mehr als 56,7 Milliarden Euro. In der von Präsident Wolodymyr Selenskyj präsentierten "ukrainischen Friedensformel" werden die Verbrechen an der Umwelt und deren Verfolgung explizit genannt. "Die größte Herausforderung besteht darin, an die richtigen Daten zu kommen. Denn die Arbeit unserer Umweltinspektoren ist aufgrund der Kampfhandlungen sehr schwierig, und ich bin wirklich stolz auf diese Leute, die in der Region Cherson oder Mykolajiw arbeiten und jeden Morgen nach Bombennächten Beweise sammeln", erklärt Strilets. Währenddessen geht auch die Erfassung anderer Kriegsverbrechen ununterbrochen weiter. "Nur so kann ein internationales Strafverfahren begonnen werden", so der Minister.

Ruslan Strilets, der Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen.
Ruslan Strilets, der ukrainische Minister für Umweltschutz und natürliche Ressourcen, gibt Auskunft.

Für die kriegsbedingte Zerstörung solle die Ukraine von Russland Reparationszahlungen verlangen, erklärt die Arbeitsgruppe vor der versammelten Presse in Kiew im Februar und legte 50 Empfehlungen für die Regierung vor, darunter die Einrichtung eines hochrangigen Gremiums, das die Dokumentation und Untersuchung von Beweisen für Umweltschäden verfolgt, sowie die Ernennung eines Beamten, der den klimafreundlichen Wiederaufbau überwacht. "Unser Plan für 2024 ist es, die Empfehlungen der Europäischen Kommission zu übernehmen", so Strilets. "Ich denke, dass all das nicht ein Prozess von ein oder zwei Jahren ist, sondern eher ein Jahrzehnt dauern wird. Aber wir müssen damit beginnen und an eine neue grüne Zukunft für unsere Kinder glauben." Doch das erfordere auch eine Änderung der Mentalität im Land, erklärt Tatjana Tymotschko, Leiterin der Gesamtukrainischen Umweltliga.

Änderung der Mentalität

Obwohl der Krieg noch immer andauert, sei es wichtig, Umweltschutz mitzudenken, so Tymotschko, die mittlerweile auch als Beraterin des Umweltministeriums fungiert. Denn gerade dieses Thema habe in der Ukraine in vielen Bereichen bereits vor dem Krieg eine untergeordnete Rolle gespielt. Man arbeite daran, die europäischen Standards in der Ukraine anzuwenden. Aber die Menschen stehen derzeit vor vielen Problemen, leben unter Angriffen, ein großer Teil kämpft an der Front. "Der Prozess unserer Integration in die Europäische Union – und daran habe ich keinen Zweifel – wird sehr lang, schwierig und manchmal schmerzhaft sein", so Tymotschko. "Wir werden vieles ändern müssen, auch die Einstellung und die Ideen zur Natur."

Es gibt viele Schauplätze der Umweltzerstörung in der Ukraine, doch jene wie der zerstörte Staudamm befinden sich an der Front. Deshalb, erklären Teilnehmer der Delegation, habe man sich auf Tschernobyl geeinigt. Die Straße führt von Borodjanka aus durch verschneite Pinienwälder, vorbei an verlassenen Checkpoints, zurückgebliebene, verkohlte Baumstummel erinnern an Waldbrände vor Beginn der russischen Invasion.

Ein ehemaliger Vergnügungspark in der Geisterstadt von Prypjat.
Ein ehemaliger Vergnügungspark in der Geisterstadt von Prypjat.

In der Geisterstadt Prypjat teilen sich Umweltminister Ruslan Strilets und Margot Wallström einen Regenschirm und stapfen durch den Schnee, vorbei an den Häusern, die seit 1986, dem Jahr der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, als unbewohnt gelten. Vor den Kameras der Journalisten zeigt Strilets, was einst ein Restaurant und – gleich daneben – ein Supermarkt war. "Atomkraftwerke wie das besetzte im Oblast Saporischschja stellen inmitten der Kampfhandlungen die ultimative Bedrohung dar", sagt Wallström, sichtlich beeindruckt von der Kulisse, während im Hintergrund einige der Delegationsteilnehmer Selfies machen. Eigentlich hätte auch Greta Thunberg an der Reise teilnehmen sollen. Gekommen ist sie dann doch nicht. "Prüfungen", erklärt einer der Veranstalter kurz angebunden den Grund für ihre Abwesenheit. (Daniela Prugger aus Kiew, 22.2.2024)