Demonstranten vor dem Londoner High Court setzen sich für Julian Assange ein.
Demonstranten vor dem Londoner High Court setzen sich für Julian Assange ein.
AP/Kirsty Wigglesworth

Auf dem Platz vor dem Londoner High Court herrscht Volksfeststimmung. Direkt hinter St. Clements Danes, der anglikanischen "Kirche der Luftwaffe", haben die Organisatoren ein Rednerpult aufgebaut. So haben die mehr als ein Dutzend Frauen und Männer, die an diesem kühlen Februarmorgen das Wort ergreifen, den Eingang zum neugotischen Prachtpalast des Königlichen Justizgerichts im Blick. Vor ihnen drängen sich mehrere Hundert Demonstranten, viele halten den Slogan "Free Assange" hoch.

Schon mehrfach hat der hochgewachsene, früh ergraute Australier Julian Assange die britische Justiz bis hinauf zum High Court, ja zum Supreme Court beschäftigt. Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 umfassende Informationen über US-Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak veröffentlicht. Trotz klarer Beweise kam es zu keiner Anklage, geschweige denn zu einer Verurteilung gegen die Verantwortlichen.

Schon seit Jahren nicht mehr frei

Seither ist die Justiz dem Aktivisten auf den Fersen. Während eines Besuchs in Großbritannien forderte zunächst Schweden seine Auslieferung wegen angeblicher Sexualdelikte, das Verfahren wurde 2019 eingestellt. Später folgten die USA mit der Aufforderung, Assange zu überstellen. Ihm werden Computer-Hacking und Spionage zur Last gelegt. Zu einem Verfahren kam es bisher nicht, aber die Freiheit ist dem mittlerweile 52-Jährigen dennoch genommen: Zwei Jahren Hausarrest im Anwesen eines Freundes sowie sieben Jahren Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors folgte seit April 2019 die Straf- und Auslieferungshaft im Ostlondoner Gefängnis Belmarsh.

In dem ehrwürdigen Gericht unternehmen an diesem Dienstag die Anwälte des Wikileaks-Gründers den allerletzten Anlauf, Julian Assanges bereits beschlossene Auslieferung an die USA zu verhindern. Zwei Tage lang haben sie Zeit, um im Verfahren "Assange gegen die Regierung der Vereinigten Staaten" der zweiköpfigen Kammer – präsidiert von Victoria Sharp, "Präsidentin der königlichen Richterbank" und damit höchste Zivilrichterin von England und Wales – ihre Argumente vorzutragen. Im Kern geht es dabei um die Darstellung ihres Mandanten als politischen Gefangenen: "Die Strafverfolgung ist politisch motiviert. Herr Assange hat schlimme Verbrechen aufgedeckt und dabei normale journalistische Vorgehensweisen angewandt", argumentiert Kronanwalt Ed Fitzgerald. Politische Delikte aber sind ausdrücklich vom US-britischen Auslieferungsabkommen ausgenommen.

Rede von Stella Assange

Der Betroffene selbst nimmt an der Verhandlung nicht teil, der 52-Jährige fühle sich nicht wohl, berichtet der Anwalt. Anders als es die Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude fordern, geht es im Saal auch nicht um Assanges Freiheit. Zu verhindern gilt aus Sicht der Anwälte lediglich, was Assanges Frau Stella als Horrorszenario beschreibt: "Schon am Tag nach der Anhörung könnte Julian im Flugzeug nach Amerika sitzen." In vielen Medieninterviews hat sie ihren Mann als "frühzeitig gealtert" bezeichnet, sein physischer und psychischer Zustand sei schlecht. Die Auslieferung werde er nicht überleben.

Als Stella Assange an diesem Morgen ans Rednerpult tritt, sagt sie: "Wir wissen nicht, was passieren wird. Was auch immer es ist, bitte kommt wieder." Sichtbar um Fassung ringend unterbricht sie ihren Redebeitrag, da branden Sprechchöre zu ihrer Unterstützung auf. "Gut gemacht, wir unterstützen dich", ruft einer der Demonstranten.

Unter dem Slogan "Free Assange" haben sich viele unterschiedliche Gruppierungen versammelt. Dazu gehört die "Gruppe afrikanischer Frauen", das "englische Prostituiertenkollektiv" sowie "Queer Strike" und das "Männernetzwerk Payday". Letzteres tritt laut der eigenen Website für Investitionen in Pflege, nicht in Töten ein und wünscht sich das Ende von "Armut, Vergewaltigung, Umweltzerstörung, Besetzung, Krieg, Inhaftierung und Abschiebung". Ganz unabhängig vom Auslieferungsverfahren werben zwei ernstblickende Männer für "die Freilassung aller politischen Gefangenen im Iran". Auch in Wien und anderen Städten der Welt wurde am Dienstag zur Unterstützung von Assange demonstriert.

Internationale Unterstützung

Auch fremdsprachige Slogans gibt es zu lesen: "Libérez Assange – pas d’extradition" steht auf einem Banner. "Freiheit für Assange" hat Anton Paliyenko (34) auf ein robustes Stück Pappe geschrieben. Er sei eigens aus Deutschland für zwei Tage nach London gereist, um den Wikileaks-Gründer zu unterstützen, berichtet der aus der Ukraine stammende, seit 2002 in Deutschland lebende Elektrotechnikstudent dem STANDARD. Seine Politisierung datiert er auf das Jahr 2014 – und die "sehr einseitige" Berichterstattung über die ukrainische Maidan-Bewegung –, den Einmarsch Russlands in sein Heimatland hält er für "nachvollziehbar".

Auf dem Rednerpult geben sich unterdessen nationale und internationale Politikerinnen, Gewerkschaftsführer und Journalismus-Lobbyisten das Mikrofon in die Hand. Angekündigt als früherer Vorsitzender der Labour-Party "und Premierminister des Volkes" lobt Jeremy Corbyn den Inhaftierten als Freiheitskämpfer: "Julian Assange hat die Wahrheit gesagt." Hingegen seien die britischen Medien an deren Vertuschung beteiligt. "Julian ist ein echter Journalist."

Im Parlament hat tags zuvor der schottische Nationalist Neil Hanvey den getöteten russischen Oppositionellen Alexej Nawalny mit Assange verglichen: Da die britische Regierung dauernd andere weltweit kritisiere, müsse sie sich bei der Behandlung von Dissidenten mit demselben Maß messen lassen. Corbyn, vom STANDARD dazu befragt, weicht dem Vergleich aus: Assange sei "ein Held, der für die Freiheit von Meinung und Presse weltweit eintritt". (Sebastian Borger aus London, 20.2.2024)