Für die Freilassung beziehungsweise gegen die Auslieferung des Whistleblowers Julian Assange wird immer wieder protestiert.
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Vor dem Londoner High Court beginnt am Dienstag die vorläufig letzte Runde im scheinbar unendlichen juristischen Streit um Julian Assange. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Frage: Worum geht es bei der Verhandlung?

Antwort: Wieder einmal um die Auslieferung des Wikileaks-Gründers, der seit gut 13 Jahren die britische Justiz beschäftigt und diese Zeit im Hausarrest sowie in der Straf- und Auslieferungshaft verbracht hat. Im ersten Anlauf, bei dem es um die Überstellung nach Schweden ging, wie im zweiten Verfahren auf Antrag der USA entschieden die Richter gegen den Australier. Nun beantragen dessen Anwälte eine dritte Begutachtung, und zwar mit Blick auf das entsprechende Abkommen zwischen London und Washington, das politische Delikte ausdrücklich ausklammert.

Juristisch gesehen stellt die Anhörung Assanges letzte Chance vor britischen Gerichten dar. Theoretisch könnten die Höchstrichter bereits am Ende der zweitägigen Verhandlung die weitere Befassung ablehnen. Da der Londoner Supreme Court sowie die damalige Innenministerin Priti Patel der Auslieferung bereits zugestimmt haben, müsste der 52-Jährige dann die Reise über den Atlantik antreten. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Entscheidung erst in einigen Wochen fällt. Dann bleibt dem Aktivisten als letzte Instanz der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. In Haft bleibt Assange bis auf weiteres in jedem Fall.

Video: Weiter Tauziehen um Auslieferung von Assange in London
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Frage: Wie ist sein Zustand?

Antwort: Diese Gerichtsanhörung "könnte seine letzte sein", glaubt Assanges Frau und Anwältin Stella, Mutter zweier gemeinsamer Söhne. "Diese Verhandlung entscheidet im Prinzip über Leben und Tod." Ihr Mann sei "frühzeitig gealtert", befinde sich physisch und psychisch in schwachem Zustand. "Julians Leben ist in Gefahr", glaubt Wikileaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson. So ähnlich sieht es auch Assanges Bruder Gabriel Shipton und zieht Parallelen zum Fall des in russischer Haft getöteten Dissidenten Alexei Nawalny: "Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein naher Verwandter ohne Hoffnung auf Freilassung eingekerkert wird."

Stella Assange bei einer Pressekonferenz vergangene Woche
Stella Assange bei einer Pressekonferenz vergangene Woche: "Diese Verhandlung entscheidet im Prinzip über Leben und Tod."
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Psychiatrische Gutachter haben Assange als suizidgefährdet eingestuft. Bei ihm sind eine Form von Autismus sowie Depressionen diagnostiziert worden; zudem quälen ihn anhaltende Schmerzen an der Schulter. Die Zelle des 1,90 Meter großen Mannes im Ostlondoner Gefängnis Belmarsh ist sechs Quadratmeter groß, er darf sie während des Tages vier Stunden verlassen.

Frage: Was wird Assange vorgeworfen?

Antwort: Seine Enthüllungsplattform Wikileaks hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie "New York Times", "Guardian" und "Spiegel", US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten in Afghanistan und dem Irak ans Licht; viele Delikte blieben bis heute ungeahndet.

Wenig später forderte zunächst Schweden seine Auslieferung wegen angeblicher Sexualdelikte, das Verfahren wurde 2019 eingestellt. Später folgten die USA mit der Aufforderung an Großbritannien, Assange zu überstellen. Ihm werden Computerhacking und Spionage zur Last gelegt. Auch ohne rechtsgültige Verurteilung muss der mittlerweile 52-Jährige auf seine Freiheit verzichten: Zwei Jahren Hausarrest sowie sieben Jahren Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors folgte seit April 2019 die Straf- und Auslieferungshaft.

Frage: Was droht ihm in den USA?

Antwort: In Washington gilt Wikileaks als "feindlicher nichtstaatlicher Geheimdienst". Sollte Assange in allen 18 Anklagepunkten nach dem US-Spionagegesetz von 1917 schuldig gesprochen werden, könnte sich die Haftstrafe theoretisch auf 175 Jahre addieren. Im Auslieferungsverfahren bezeichneten die Vertreter der US-Regierung eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren als realistisch.

Das Londoner Bezirksgericht hatte die Auslieferung 2021 mit Blick auf Assanges fragilen Gesundheitszustand abgelehnt, aber auch die harschen Haftbedingungen in US-Gefängnissen als Argument gelten lassen. Daraufhin legte Washington dem Appellationsgericht unter Vorsitz des damaligen Präsidenten sämtlicher Gerichte in England und Wales, Lord Ian Burnett, "feierliche" Versprechungen vor: keine Einzelhaft; keine der berüchtigten "speziellen Behandlungsmethoden" (SAMs) à la Guantánamo Bay; kein Hochsicherheitsgefängnis. Sollte Assange verurteilt werden, dürfe er die Haftstrafe in seiner australischen Heimat absitzen. Amnesty International hält all diese US-Beteuerungen für "von Grund auf unseriös".

Frage: Wie groß ist das Interesse für den Fall auf der Insel?

Antwort: Gering. Die etablierten Medien berichten kaum noch über Assange. Das Vereinigte Königreich spiele "eine beschämende Rolle" bei der Behandlung des Australiers, sagte der schottische Nationalist Kenny MacAskill dem STANDARD. "Ihm wird schlimmes Unrecht angetan und damit der Demokratie geschadet." Der frühere schottische Justizminister gehört wie die linke Labour-Prominenz um Ex-Parteichef Jeremy Corbyn zur Handvoll von Unterhausabgeordneten, die Assanges Fall immer wieder im Parlament vorbringen – ohne Erfolg. Die konservative Regierung unter Premier Rishi Sunak sowie die Verantwortlichen im Schattenkabinett des Labour-Oppositionsführers und früheren leitenden Staatsanwalts Keir Starmer verweisen gern auf das laufende Gerichtsverfahren.

Parteienübergreifend haben sich Politikerinnen in Assanges Heimat, aber auch in vielen anderen Ländern, darunter auch im Deutschen Bundestag, für das Wohl des Wikileaks-Gründers eingesetzt. Für dessen Freilassung plädieren auch einstige Kritiker und Gegner, darunter eine der beiden Schwedinnen im ursprünglichen Verfahren wegen Sexualdelikten ebenso wie frühere Helfermedien von Wikileaks wie "Guardian" und "New York Times", die nach anfänglicher Zusammenarbeit den Kontakt mit Assange verweigerten. Das australische Parlament hat vergangene Woche von seinen beiden engen Partnerländern Großbritannien und USA sogar die Freilassung des Langzeithäftlings gefordert. Canberras Labor-Premier Anthony Albanese ist schon seit längerem der Meinung: "Genug ist genug." (Sebastian Borger aus London, 20.2.2024)