Zwei IT-Fachkräfte fistbumpen
Immer gefragter ist in der IT nicht nur technisches Know-how, sondern vor allem auch Teamfähigkeit und Kommunikationsgabe.
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Eigentlich benötigt niemand mehr ein Informatikstudium, um einen Job in der Technologiebranche zu finden. Das behauptete Matthew Candy, Global Managing Partner für generative künstliche Intelligenz (KI) beim Tech-Konzern IBM, in einem Interview mit dem US-Wirtschaftsmagazin "Fortune". Für die Automatisierung mit KI in Unternehmen seien vor allem Sprachverständnis und kreatives Denken von Vorteil. Damit sprach Candy sogenannte Soft Skills an, die in der IT-Branche für Informatikerinnen und Programmierer immer wichtiger werden.

Gemeint sind mit Soft Skills (dt.: weiche Fähigkeiten) persönliche Merkmale wie Flexibilität und Durchsetzungsvermögen oder zwischenmenschliche Kompetenzen wie Teamfähigkeit und Kommunikationsgabe. Die deutsche Telekom schrieb erst kürzlich in ihrem Onlineblog: "Zweifellos sind bei uns technische und fachliche Fähigkeiten wichtig, um in bestimmen Jobs erfolgreich zu sein, aber bei uns gewinnen Soft Skills wie Kommunikation, Teamarbeit und Problemlösung zunehmend an Bedeutung." In aktuellen Ausschreibungen des österreichisch-amerikanischen Tech-Unternehmens Dynatrace wird für IT-Jobs nach "großartigen Soft Skills" oder "integrativen, empathischen und lösungsorientierten Denkweisen" gesucht.

Rudi Bauer, Chef der IT-Recruiting-Plattform Wearedevelopers, würde Matthew Candy Recht geben. Von 150.000 registrierten Profilen auf der Plattform gebe es eine Vielzahl von Personen, die das Programmieren nicht durch klassische Ausbildungswege gelernt hätten. Häufig würden sie sich das technische Know-how aus Interesse selbst beibringen und dann Kurse besuchen. "Wir brauchen Dynamik, Flexibilität, gutes Zeitmanagement und Selbstorganisation", sagt Bauer. Vor allem sei heute wichtig, menschenzentriert zu denken. Technologien würden sich immer schneller verändern, und deshalb brauche es auch kreative Köpfe, die diese massentauglicher gestalten.

Teamfähigkeit gesucht

Arbeitgeber buhlen also in erster Linie um zwischenmenschliche Fähigkeiten, obwohl immer mehr neue Technologien in den Firmen Einzug halten. Zu diesem Schluss kam auch die neue Untersuchung "Most In-Demand Skills 2024" der Berufstätigenplattform Linkedin. In ihrem Rahmen wurden Fähigkeiten ausgewertet, die Menschen in ihren Profilen nannten, die kürzlich eingestellt oder von Recruitern angeschrieben wurden. Im Ranking der zehn gefragtesten Fähigkeiten in Österreich waren letztlich fünf Soft Skills: Kommunikation, Teamwork, analytische Fähigkeiten, Management und Führungskompetenzen. Nur zwei waren technische Fähigkeiten, die Programmiersprachen SQL und Python. Der Rest waren fachliche Fähigkeiten wie Projektmanagement, Marketing und Kundendienst.

Im globalen Bericht "State of Tech Hiring 2024" der Softwarefirma Coderpad zeigt eine Umfrage zu den Bedürfnissen von Entwicklerinnen und Entwicklern für das aktuelle Jahr, welche Fähigkeiten sie für wichtig halten. Von 13.000 IT-Fachkräften aus 149 Ländern und 5.500 IT-Recruiterinnen und -Recruitern gaben 78 Prozent der Fachkräfte und 81 Prozent der Personalverantwortlichen an, für sie seien Soft Skills mindestens genauso wichtig wie technische Fähigkeiten.

Neuheiten für alle

Aber was bedeuten diese charakterlichen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten in einer immer digitaleren Arbeitswelt? "Aufgrund von KI kommen exponentiell Veränderungen auf uns zu", sagt dazu die Personalexpertin Martina Ernst. Gerade weil neue Technologien für die meisten neu seien, sei gelebte Lern- und Feedbackkultur ganz oben auf ihrer Liste der wichtigen Soft Skills. "Früher hieß es meist: Die Chefin weiß eh alles", sagt Ernst. Mit dem Einzug von KI in ein Unternehmen ändere sich das, denn sie sei für die meisten etwas Neues. Es müsse vor allem ein Gefühl des Miteinanders geschaffen werden und die Systeme von allen mitgestaltet werden können. "Daher ist es besonders wichtig, auf eine wertschätzende Fehlerkultur zu setzen."

Auch das kritische und das analytische Denken wird in sehr vielen Teams wichtig werden. Mitarbeitende müssten neue Technologien hinterfragen und überlegen, wie sie sicherer oder effizienter werden können. Auch Ernst meint, nicht jeder müsse dafür IT-Expertin oder -Experte sein. Wichtiger sei es, eine Balance zwischen Verantwortung und Risiko zu finden. "Ich muss dann zwar oft einen Piloten oder Prototyp ausprobieren und Risiken hinnehmen, aber gleichzeitig so viel Verantwortung übernehmen, dass die neue Technologie keinen Schaden anrichtet."

Gerade in der IT-Branche müssen Unternehmen immer stärker um Talente kämpfen, sagt IT-Recruiting-Experte Bauer. Soft Skills zu fordern kann dabei helfen. "Charakterliche Fähigkeiten zu fordern bedeutet für die Bewerbenden auch, ein Zugeständnis zu bekommen, eigenverantwortlich zu arbeiten." Für diese Selbstständigkeit müssen sie den Mitarbeitenden auch genügend Freiraum lassen – ein Bedingung, mit der sich leichter neue Leute finden lassen. (Melanie Raidl, 27.2.2024)