Für die Ukraine steht mit dem drohenden Scheitern der US-Militärhilfe alles auf dem Spiel.
REUTERS

Wenn Kriege verloren werden oder schlecht laufen, dann liegt das nicht immer an einer militärischen Unterlegenheit. Oft passen einfach die politischen und militärischen Strategien nicht zusammen, fehlt es an dem, was auf Englisch als "Grand Strategy" bezeichnet wird. Anders lassen sich etwa die Fehlschläge der Supermacht USA in Vietnam, Irak oder Afghanistan gegen weitaus schwächere Gegner nicht erklären. In all diesen Konflikten fehlten in Washington schlüssige Pläne, wie sich die massive militärische Überlegenheit in nachhaltige politische Lösungen umsetzen ließe. Die Folge waren vergeudete Milliardenausgaben und unzählige Tote, ohne dass die USA ihre Kriegsziele erreichen konnten.

Heute erleben wir zwei Konflikte, in der die von den USA unterstützten Staaten mit massiven Problemen zu kämpfen haben. In der Ukraine hat sich nach zwei Jahren Krieg das Blatt zugunsten Russlands gewendet, und im Gazastreifen gelingt es Israel nicht, eine Terrormiliz wie die Hamas ohne unerträglich hohe zivile Opferzahlen zu entwaffnen. In beiden Fällen muss man sich fragen, ob politische und militärische Entscheidungen, die zum Teil Jahre zurückgehen, ausreichend aufeinander abgestimmt waren.

Die beiden Grundprinzipien einer guten Gesamtstrategie sollten lauten, dass militärisches Vorgehen nicht Selbstzweck sein darf, sondern realistische politische Ziele verfolgen muss; und dass die Politik nie dazu beitragen darf, dass der Feind militärisch stärker wird. Es war der größte Fehler des Münchner Abkommens, dass das Abtreten des Sudetenlandes 1938 die Tschechoslowakei wehrlos zurückließ und das militärische Gleichgewicht zugunsten von Hitlers Wehrmacht verschob.

Das lange Zögern westlicher Politiker

In der Ukraine wäre das erklärte politische Ziel des Westens nach dem 24. Februar 2022 – die Rückeroberung der russisch besetzten Gebiete — nur mit massiven Waffenlieferungen erreichbar gewesen. Aber genau davor wurde vor allem im ersten Kriegsjahr zurückgeschreckt, weil die Regierenden in den USA und Europa fürchteten, Wladimir Putin zu einem Angriff auf die Nato oder gar zu einem Atomschlag zu provozieren. Das Zeitfenster, in der die russische Armee verwundbar war, ist durch das Fehlen von Panzern, Kampfjets und Langstreckenraketen ungenutzt verstrichen. Diese Chance kommt kaum wieder; Russlands Verteidigungslinien sind stark und seine Armee reorganisiert. Das lange Zögern westlicher Politiker könnte nun das Überleben einer unabhängigen demokratischen Ukraine gefährden.

Im Gazastreifen wiederum hat die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu aus fehlgeleiteten Überlegungen jahrelang zugelassen, dass sich die Hamas immer tiefer eingräbt und stärker bewaffnet. Das riesige Tunnelsystem hätte nie unter den Augen des israelischen Militärs entstehen dürfen. Mithilfe katarischer Gelder wurde eine Beschwichtigungspolitik betrieben, die nun die israelische Armee vor fast unlösbare militärische Herausforderungen stellt.

Was immer im Gazastreifen passiert: Israels Überleben ist nicht gefährdet. Für die Ukraine aber steht mit dem drohenden Scheitern der US-Militärhilfe im Kongress alles auf dem Spiel. Eine Supermacht, die keine Waffen mehr liefern kann, wird zum Papiertiger und ihre Verbündeten ein leichtes Opfer für Aggressoren. Da helfen keine noch so lauten politischen Unterstützungserklärungen. (Eric Frey, 21.2.2024)