Aktuelle Studien zeigen, dass der Anteil von Erbschaften am Privatvermögen in vielen Ländern wieder die Bedeutung wie im frühen 20. Jahrhundert erreichen könnte. Faktoren wie das Arbeitseinkommen oder Bildung werden mit Blick auf die Vermögensverteilung zusehends unwichtiger.1,2

Österreich ist von allen untersuchten OECD-Staaten jenes Land mit der höchsten Relation von durchschnittlicher Erbschaft zu durchschnittlichem Vermögen. Dieses Verhältnis liegt in Österreich bei fast 50 Prozent und damit deutlich höher als in Ländern wie Deutschland (26 Prozent) oder Frankreich (29 Prozent).3 Große Vermögen stammen in Österreich in der Regel aus Erbschaften.

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Hierzulande stammen große Vermögen oft aus Erbschaften. Ob das dem Grundgedanken des Liberalismus entspricht, kann angezweifelt werden.
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Den Widerspruch zwischen einer auf individueller Leistung beruhenden Gesellschaft und einer aus Erbschaften resultierenden dynastischen Reichtumskonzentration sahen die großen Liberalen als zentrales Problem.4

Erbschaftssteuer als liberale Institution

Gerne wird der als Begründer des Wirtschaftsliberalismus geltende Adam Smith als prominenter Gegner der Erbschaftssteuer angeführt. Tatsächlich hielt Smith eine solche Steuer für noch im Haushalt der Eltern lebende Kinder, die durch den Tod des Vaters ihren Unterhalt verlieren, für problematisch. Schließlich gab es im 18. Jahrhundert noch keinen Sozialstaat.

"Anders ist der Fall jedoch", so Smith, "bei denjenigen Kindern, (…) die selbst eine Familie bilden und von Fonds leben, die von dem Vermögen ihres Vaters getrennt und unabhängig sind. Was von der Erbschaft an solche Kinder kommt, das ist ein wahrer Zusatz zu ihrem Vermögen und kann also wohl ohne weitere Unbequemlichkeit (…) einer Steuer unterworfen werden."5 Heutzutage wird am ehesten in der Altersgruppe über 60 Jahren geerbt und Adam Smith kann als wichtige Referenz pro Erbschaftssteuern angeführt werden.

Zur gleichen Zeit, Ende des 18. Jahrhunderts, warnte Thomas Jefferson, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, dass die Möglichkeit der Vererbung großer Vermögen zu einer "künstlichen Aristokratie" der Vermögendsten führen und damit demokratisch-liberale Ideale aushöhlen würde.6

Das liberale Probleme mit dynastischem Reichtum

Beeinflusst wurde Jefferson vom amerikanischen Gründervater Thomas Paine, der betonte, dass die Erbschaftssteuer die gerechteste Steuer überhaupt sei, da weder Erblasser noch Erbin, sondern lediglich die Erbschaft zum Zeitpunkt des Vermögensübergangs besteuert wird. Mit dem Steueraufkommen wollte Paine unter anderem eine staatliche Erbschaft, die jede und jeder mit dem 21. Geburtstag erhalten sollte, finanzieren.7 Aus Sorge um den zerstörerischen Einfluss großer Erbschaften auf die Demokratie und um Geburtsprivilegien abzuschaffen, sollte der Steuersatz für die größten Erbschaften 100 Prozent und damit den "point of prohibition" erreichen.8

Dieser liberalen Argumentation folgten zahlreiche amerikanische Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten, von dem populären Republikaner Theodore Roosevelt, der 1906 eine stark progressive Erbschaftssteuer für "jene aufgeblähten Vermögen, deren Perpetuierung keinerlei Vorteile für dieses Land hat" forderte, bis zum Demokraten George McGovern, der im Wahlkampf 1972 Erbschaften über einer halben Million Dollar mit 100 Prozent besteuern wollte.9 Jene Präsidenten, die wie George W. Bush im Jahr 2001 oder Trump im Jahr 2017 versuchten, die Nachlasssteuer abzuschaffen, scheiterten, da auch Republikanerinnen und Republikaner, welche die liberalen Ideale von Jefferson ernst nahmen, ihre Gefolgschaft verweigerten.

Aus liberaler Sicht eine Lose-lose-Situation

Die große liberale Ikone John Stuart Mill propagierte Mitte des 19. Jahrhunderts eine "die Gleichmäßigkeit der Vermögen begünstigende Gesetzgebung" sowie die Beschränkung der "Anhäufung großer Vermögen in den Händen solcher, welche dieselben nicht durch eigene Anstrengung erworben haben". Geburtsprivilegien dürfen keinen Platz in einer auf individueller Leistung basierenden, liberalen Gesellschaft haben.

Deshalb sollte "niemandem gestattet werden", mehr zu erben, "als zu einer mäßigen Unabhängigkeit erforderlich ist", so Mill. In liberaler Konsequenz forderte Mill eine progressive Erbschaftssteuer mit rund 100-prozentigem Grenzsteuersatz für Erbschaften, die einen "gewissen Betrag" übersteigen.10

Auch der Namensgeber des Neoliberalismus und Mitbegründer des Ordoliberalismus, Alexander Rüstow, kritisierte das "feudal-plutokratische Erbrecht" und forderte Mitte des letzten Jahrhunderts eine "stark progressive Erbschaftssteuer". Diese sei nicht nur notwendig, um zu verhindern, dass Marktwirtschaften zu Plutokratien werden, sondern liegt letztlich auch im Interesse der reichen Familien selbst: "Im Übrigen liegt eine derartige Gestaltung des Erbrechts, die auch den Erben des Selfmade-Millionärs dazu zwingen würde, dem Beispiel seines Vaters folgend wirtschaftlich wieder von vorn anzufangen, im wohlverstandenen Eigeninteresse der davon betroffenen Familie selber."

"Frische Luft" durch Erbschaftssteuer?

In liberaler Tradition forderte Alexander Rüstow eine nahezu vollständige steuerliche Abschöpfung großer Erbschaften: "Ich bin überzeugt, dass diese Änderungen auch für die Familie selbst überwiegend heilsam sein würden, dass sie sie von dem häufig erdrückenden Übergewicht materieller Besitzinteressen befreien würden. (…) Mir will scheinen, etwas frische Luft könnte unserer Familienatmosphäre nichts schaden".11

Diese Ansicht wird auch von Milliardären wie Warren Buffet, die meist in der Tradition von Andrew Carnegie argumentieren, vertreten. Carnegie häufte Ende des 19. Jahrhunderts ein enormes Vermögen an und warnte vor den irreparablen Schäden, die große Erbschaften sowohl der Gesellschaft als auch den Erbinnen und Erben zufügen. Er empfahl, nur moderate Erbschaften zu erlauben und große Nachlässe mit hohen Steuern von mindestens 50 Prozent zu belegen.

Auf Anreize zur Unternehmensgründung, so Carnegie, hätte dies positive Auswirkungen. Insbesondere lehnte Carnegie die Vererbung großer Unternehmen strikt ab und wies darauf hin, dass unqualifizierte Erben die Hauptursache für Unternehmenspleiten sind.12 Auch heutzutage gehen Initiativen zur Besteuerung von Erbschaften oft von den Reichsten selbst aus.

Erbschaftssteuer als Lackmustest für Liberale

Der bekannte Ökonom Irving Fisher trat Anfang des 20. Jahrhunderts für Erbschaftsteuern ein, um der Bildung von "undemokratisch großen Vermögen" entgegenzuwirken. Basierend auf Arbeiten des Italieners Eugenio Rignano schlug Fisher vor, Nachlässe bei ihrer erstmaligen Vererbung mit einem Drittel ihres Wertes zu besteuern, in der darauffolgenden Generation mit zwei Dritteln des verblieben Wertes und in der dritten Generation schließlich mit 100 Prozent. Die Steuerprogression sollte neben der Höhe der Erbschaft also auch die Anzahl der bisherigen Übertragungen berücksichtigen.

Ziel war die vollständige Wegbesteuerung großer Vermögen nach spätestens drei Generationen. Dies würde, so hoffte Fisher, die liberale Demokratie wahren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die direkten Nachkommen mindern.13,14 Wenige Jahre später schlussfolgerte auch John Maynard Keynes in seiner bahnbrechenden "Allgemeinen Theorie", dass ein vorsichtiges Vorgehen bei der Besteuerung von Erbschaften – für deren Ungleichverteilung es Keynes zufolge weder eine ökonomische noch eine soziale Rechtfertigung gibt – nicht ratsam sei.15

Wie Fisher und Keynes wollte auch der wohl bedeutendste liberale Gerechtigkeitstheoretiker des 20. Jahrhunderts, John Rawls, die Vermögensverteilung durch Erbschaftssteuern "allmählich und stetig berichtigen und Machtballungen verhindern".16 Rawls hielt es für entscheidend, "Ansammlungen von Vermögen zu verhüten, die als schädlich für (…) den fairen Wert der politischen Freiheiten und die faire Chancengleichheit" gelten.17 Durch Erbschaftssteuern sollte dynastischer Reichtum, der die liberale Demokratie torpediert, verhindert werden. Thomas Piketty zeigte, dass eine Erbschaftssteuer im Sinne von Rawls auf "extrem hohe Steuersätze (70 bis 80 Prozent oder mehr) für die größten Erbschaften" hinausläuft.18

Liberale Parole wird zu hohler Phrase

Auch konsequente Marktradikale forderten scharfe Erbschaftssteuern, schließlich handelt es sich bei Erbschaften um Vermögen, das außerhalb des marktwirtschaftlichen Allokationsmechanismus leistungslos zufällt. Der libertäre Robert Nozick schlug Ende der 1980er-Jahre deshalb vor, von jeder Hinterlassenschaft jenen inflationsbereinigten Teil wegzubesteuern, den der Erblasser beziehungsweise die Erblasserin selbst geerbt hatte: "Menschen könnten dann anderen nur den Betrag hinterlassen, den sie selbst ihrem eigenen Erbe hinzugefügt haben", und Erbschaften können sich nicht "wie ein Wasserfall über Generationen hinweg ergießen".

Nur die Vererbung von selbst geschaffenem Vermögen kann für Nozick "Fürsorge, Zuneigung und Identifizierung" zum Ausdruck bringen, weshalb die Möglichkeit der Vererbung auf "einen einzigen Übergangsvorgang beschränkt" und alles darüber hinaus einer 100-prozentigen Steuer unterworfen werden sollte.19

Es waren die großen Liberalen, die radikal-innovative Forderungen zur Besteuerung von Erbschaften erhoben und im Vergleich wirken heutige Vorschläge sehr zurückhaltend. Somit scheint sich der Befund von Alexander Rüstow zu zementieren: "Bekanntlich werden Reichtum wie Armut in aller Regel ererbt, arm zu bleiben ist leicht, reich zu bleiben nicht schwer, arm zu werden schon schwieriger, wenn der ererbte Reichtum groß genug war, reich zu werden am schwersten."20 Die liberale Parole von Leistung und Eigenverantwortung wird dann jedoch zur hohlen Phrase. (Mario Hübler, 22.2.2024)