Kurz spricht nach der Urteilsverkündigung zu Medienvertretern.
Kurz spricht nach der Urteilsverkündigung zu Medienvertretern.
AFP/JOE KLAMAR

Er freue sich, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen, tönte Sebastian Kurz im Sommer 2023, als die Anklage gegen ihn bekannt wurde.

Nach zwölf Verhandlungstagen ist ihm das - zumindest vorerst - nicht gelungen. Vielmehr konnte die WKStA für Richter Michael Radasztics überzeugend darlegen, dass Kurz rund um die Aufsichtsratsbestellung der Staatsholding Öbag im U-Ausschuss gelogen hatte. Dafür setzte es acht Monate bedingt, das Urteil ist nicht rechtskräftig. Frei sprach Radasztics Kurz hingegen von anderen Anklagepunkten, etwa rund Aussagen über sein Wissen über eine Vereinbarung mit der FPÖ und Aussagen über die Bestellung von Thomas Schmid zum Öbag-Chef. Auch Kurz' einstiger Kabinettschef Bernhard Bonelli wurde in nur einem Anklagepunkt schuldig gesprochen, auch da ging es um die Involviertheit des Kanzleramts in Aufsichtsratsbestellungen bei der Öbag.

Die Vorwürfe der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte Kurz an allen zwölf Verhandlungstagen bestritten. Der 37-jährige Ex-Politiker blieb dabei, nicht falsch vor dem U-Ausschuss über seine Mitwirkung an Personalentscheidung bei der in seiner Amtszeit gegründeten Staatsholding Öbag ausgesagt zu haben.

Kurz-Prozess: Bedingte Freiheitsstrafen für Ex-Kanzler und Bonelli

"Jedes Wort war wahr"

Die Stimmung vor dem U-Ausschuss habe er als feindselig wahrgenommen, sagte Kurz. Deshalb habe er damals, im Juni 2020, seine Worte mit Bedacht gewählt und auf die formalen Abläufe bei der Bestellung von Aufsichtsräten für die Staatsholding Öbag verwiesen.

Richter Radasztics gestand Kurz zu, dass die Situation bei einer Aussage vor dem U-Ausschuss anders als etwa vor Gericht sei. Vor Abgeordneten sei es "ungleich schwieriger". Trotzdem dürfen Auskunftspersonen Umstände nicht verschweigen oder den Eindruck erwecken, sie hätten vollständig ausgesagt.

Damit ging Radasztics auf Kurz' Argument ein, jedes seiner Worte im U-Ausschuss sei wahr gewesen. Für die Anklage ging es jedoch nicht um einzelne Aussagen, sondern um das Gesamtbild. Kurz habe den Abgeordneten viel vorenthalten, wie Ermittler durch Chats entdeckt hätten. Aus ihrer Sicht habe Kurz sehr wohl eine starke Rolle bei Personalentscheidungen um die Öbag gespielt, das aber im U-Ausschuss heruntergespielt, um quasi das Image der türkisen ÖVP als Bewegung ohne Postenkorruption zu bewahren. Dieser Sicht folgte der Richter.

Eine Vielzahl von Zeugen aus Kurz’ Orbit hatte die Version des Ex-Kanzlers gestützt; etwa die früheren Finanzminister Hartwig Löger und Gernot Blümel (ÖVP) oder einstige Aufsichtsratsmitglieder der Öbag wie der Unternehmensberater Helmut Kern. Sie verneinten einen Druck oder Zurufe durch Kurz. Es sei aber "nicht wie bei einem Fußballmatch", sagte Radasztics: Man könne nicht Zeugen wie Tore summieren; vielmehr müsse man differenzieren. Und viele der Zeugen hätten nicht gewusst, was im Hintergrund ablaufe.

Schmid: "Zentralisiertes Personalmanagement"

Ganz anders stellte das Thomas Schmid dar, um den es in dem Verfahren ja indirekt ging. Die WKStA vermutet, dass Kurz sich schon früh dafür entschieden habe, Schmid zum Öbag-Chef zu machen, da dieser damals ein Vertrauter gewesen sei. Daraufhin habe das Team rund um Kurz gemeinsam mit Schmid auch "steuerbare" Aufsichtsratsmitglieder gesucht, die Schmid garantiert zum Alleinvorstand der Öbag bestellen würden.

Schmid selbst will bekanntlich Kronzeuge werden. Er gab an, es habe im Kanzleramt eine Art "zentralisiertes Personalmanagement" gegeben; sinngemäß hätten Kurz und dessen Team immer grünes Licht bei Personalentscheidungen geben müssen. Eine glaubwürdige Aussage, so der Richter bei der Urteilsverkündung. Schmid hätte Kurz deutlich mehr schaden können, wenn er das gewollt hätte.

Thomas Schmid 
Thomas Schmid Mitte Dezember als Zeuge vor Gericht
APA/HELMUT FOHRINGER

Die Befragungen von Schmid zogen sich über zwei Verhandlungstage, am Freitag erschien er erneut. Grund dafür waren schwere Angriffe auf seine Glaubwürdigkeit, die die Verteidigung von Kurz vorgebracht hatte. So präsentierte Anwalt Otto Dietrich eidesstättige Erklärungen zweier russischer Manager, mit denen Schmid vergangenen Sommer ein Vorstellungsgespräch geführt habe.

Ausflug nach Moskau

Laut diesen Schriftsätzen habe Schmid den Geschäftsleuten quasi erzählt, nicht immer wahr auszusagen. Vor Gericht wiederholten die russischen Zeugen das nicht, sie meinten vielmehr, das sei ihre Analyse des Gesprächs gewesen; sinngemäß ihr Lesen zwischen Schmids Zeilen.

Der potenzielle Kronzeuge gab hingegen an, nie so konkret über sein Verfahren gesprochen zu haben; die Russen sagten nicht die Wahrheit. Für die WKStA roch es gar nach einer Falle. Die Russen hätten Schmids Glaubwürdigkeit jedenfalls nicht erschüttert, erklärte der Richter später sinngemäß.

Nach der Videoschalte nach Moskau und jener nach Amsterdam, wo Schmid wohnt, kam es zu Verlesungen: Alle Beweise, die in das Urteil einfließen, müssen in der öffentlichen Verhandlung angesprochen werden. Ein Vorgang, der einige Zeit in Anspruch nahm.

"Selten war ein Fall so klar"

So sollte es knapp 16 Uhr werden, bis der wirklich finale Akt im Prozess begann: die Plädoyers von Anklage und Verteidigung.

Selten sei ein Fall von Falschaussage so klar gewesen, argumentierte der Vertreter der WKStA. Kurz habe die Letztentscheidung über Personalia gehabt und vor Gericht "weitere Lügen" über seine Rolle verbreitet. Kurz habe falsch ausgesagt, um das Image der türkisen ÖVP zu bewahren. Die russischen Zeugen gegen Schmid seien eine "Groteske" gewesen, genauso wie jenes Telefonat mit Schmid das Kurz einst aufgezeichnet hatte.

Die Angst vor Strafverfolgung, die einen Aussagenotstand und somit eine nicht strafbare Falschaussage bedingen könnte, sei bei Kurz nicht gegeben gewesen, so die WKStA.

Kurz und Bonelli hatten Falschaussagen stets bestritten und wiederholt auf die Vielzahl von Zeuginnen und Zeugen verwiesen, die eine Einmischung durch Kurz verneint hatten. Zudem griffen sie erneut die Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid an.

Kurz-Verteidiger Dietrich verwies auf die Unterschiede zwischen U-Ausschuss und Gericht. Das sei nicht miteinander vergleichbar; aus seiner Sicht müsse man im U-Ausschuss zwar wahr, aber nicht vollständig aussagen. Die Fragen stellenden Abgeordneten seien immun vor Strafverfolgung; es ginge quasi heiß her. Kurz habe sehr wohl Angst gehabt, wegen seiner Aussagen ins Visier der Justiz zu geraten. Zudem sei bewiesen worden, dass Kurz keine Entscheidungen getroffen habe. Man könne Mitteilungen seines Kabinetts nicht als Mitteilungen von Kurz zählen; zudem habe sich der damalige Finanzminister Hartwig Löger stets als parteiunabhängiger Experte begriffen.

ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan, der hier Bonelli vertritt, sprach in seinem Schlussplädoyer davon, dass sich die WKStA aus Chats ihre eigene Wirklichkeit baue. Es gebe kein Substrat für Falschaussagen. Wenn alles so offenkundig sei, wie die Staatsanwaltschaft behaupte, warum habe sie dann so lange ermittelt und so viele Zeugen einvernommen, fragt Suppan.

Bis zur Rechtskraft des Urteils wird jedenfalls noch einige Zeit vergehen. Als Nächstes steht der Gang zum Oberlandesgericht (OLG) Wien an; die Verteidigung hat bereits Rechtsmittel angemeldet. Allenfalls könnte auch der Oberste Gerichtshof (OGH) damit befasst werden. (Fabian Schmid, Renate Graber, 23.2.2024)