Olfa Hamrouni (r.) lacht den Schmerz gerne weg, den sie erlebt und anderen zugefügt hat. Als ihre älteren Töchter anfingen, Hijab zu tragen, gefiel ihr das. Doch sie selbst findet sich nicht schön darin.
Olfa Hamrouni (r.) lacht den Schmerz gerne weg, den sie erlebt und anderen zugefügt hat. Als ihre älteren Töchter anfingen, Hijab zu tragen, gefiel ihr das. Doch sie selbst findet sich nicht schön darin.
Twenty-Twenty-Vision

Olfas Töchter ist ein grauenvoll schöner Film. Wie gemalt treten die Gesichter der Protagonistinnen aus dem Bild hervor. Die Primärfarben leuchten, das Rot des Lippenstifts, der schwarze Kajal. Dann gibt es noch ein wenig Sonnengelb und Türkis, das manchmal im Hintergrund der dunklen Räume, in denen Regisseurin Kaouther Ben Hania die Geschichte einer islamistischen Radikalisierung spielen lässt, aufblitzt.

Schlagfertige Frau

Zugleich ist es die Lebensgeschichte von Olfa Hamrouni und ihren vier Töchtern. Nachdem Rahma und Ghofrane, die zwei älteren, 2016 im Teenageralter ausgerissen waren, um in Libyen IS-Krieger zu heiraten, war ihre Mutter zu Gast in Talkshows und bekundete nachdrücklich ihre Wut auf die Untätigkeit der tunesischen Regierung angesichts der islamistischen Radikalisierung.

Olfa ist eine selbstständige, mutige Frau. Das muss sie sein. Ihre Mutter war alleinerziehend, sie waren also leichte Beute für Männer, die versuchten, in ihre Wohnung einzubrechen und sie zu vergewaltigen. Olfa trainierte, kleidete sich wie ein Mann und verteidigte sich tapfer. In ihrer Hochzeitsnacht stammte das Blut auf dem weißen Laken nicht von ihr, sondern von der Nase ihres frisch angetrauten Ehemannes.

Scheiden ließ sie sich nach dem Arabischen Frühling, als ein bisschen Befreiung in der Luft lag. Von da an war sie allein für ihre vier Töchter verantwortlich – um Geld zu verdienen, arbeitete sie in Libyen als Putzhilfe.

Brutale Mutterliebe

Ben Hania inszeniert diese Frauengeschichte als Reenactment. Olfa und ihre beiden Jüngeren spielen sich selbst, die zwei inhaftierten Töchter und die Männer im Leben der Frauen werden von Schauspielern verkörpert. In besonders schwierigen Szenen nimmt eine Schauspielerin auch Olfas Platz ein.

Und deren gibt es viele, denn bald schon wird klar: Die Wurzel der Radikalisierung liegt in generationenübergreifendem Missbrauch und internalisiertem Frauenhass. Der Tochter-Segen ist ein Fluch, und Olfa gibt ihre brutale Mutterliebe an ihre Töchter weiter, weil sie es nicht anders kennt. So spricht sie sich frei – ihre Mädchen lachen strahlend schön, wenn sie erzählen, wie oft sie von der Mutter geschlagen wurden.

Rapid Eye Movies

Beziehungsarbeit

Es wird erstaunlich viel gelacht in diesem intimen, von Grausamkeiten und Familienglück durchdrungenem Film, der viel über Widerstandsgesten von Frauen aus weniger privilegierten Kreisen im postrevolutionären Tunesien erzählt. Zugleich zeigt der Film die Beziehungsarbeit, die Olfa mit ihren Töchtern und dem Filmteam eingeht. Denn die Schauspielerinnen scheuen sich nicht, Olfa den Spiegel vorzuhalten.

Die Radikalisierung der älteren Töchter ist auch eine Reaktion auf die Gewalttätigkeit der Mutter. Letztlich wirkt der faszinierende Film wie ein Ritual, das Boden für einen neuen, achtsameren Umgang miteinander schafft.

In Cannes wurde Olfas Töchter von der Jury übergangen. Nur ein kleinerer Dokumentarfilmpreis war drin. Dabei ist die oscarnominierte Dokumentation ein großes Kinoereignis und unbedingt sehenswert. (Valerie Dirk, 24.2.2024)