Mit spektakulären Projekten wie vier Weltorchestern, die in vier Städten die vier Sätze von Beethovens 9. Symphonie aufführen, sorgt ORF-3-Geschäftsführer Peter Schöber gerade für Schlagzeilen im Kulturteil. Spätestens Ende März dürfte der Kopf des ORF-Kulturkanals mit der Veröffentlichung der ORF-Spitzengehälter die Medienseiten beschäftigen. Montag präsentiert Schöber seine Pläne für seinen ORF-Spartensender. Im STANDARD-Interview spricht er lieber über die Vorzüge des ORF-Beitrags und seine Ablehnung gegenüber Cancel-Culture als über eigene Karrierepläne im ORF in einem Superwahljahr.

Peter Schöber, Geschäftsführer von ORF 3.
Peter Schöber, Geschäftsführer von ORF 3.
ORF Roman Zach-Kiesling

"Das ist ein prototypisches Projekt", schwärmt Schöber von der Arte-Kooperation im 200. Jahr der Uraufführung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie. Das Gewandhausorchester Leipzig mit Andris Nelsons, das Orchestre de Paris unter Klaus Mäkelä, das Orchestra del Teatro alla Scala in Mailand unter Riccardo Chailly und die Wiener Symphoniker unter "Rising Superstar" Joana Mallwitz spielen in dem TV-Ereignis am 7. Mai live-zeitversetzt je einen Satz der Symphonie. "Das ist der öffentlich-rechtliche Kulturauftrag, möglichst viele Menschen mit Kultur zu erreichen", sagt ORF-3-Chef Schöber: "Kultur muss breit sein und für jeden Menschen was dabeihaben." Das Projekt zeige, warum es öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauche, erklärt der ORF-Manager. Apropos öffentlich-rechtlich ...

"ORF 3 ist für vieles ein Role-Model"

STANDARD: ORF 3 ist, wie Ö1, so etwas wie das öffentlich-rechtliche Aushängeschild des ORF. Ist ORF 3 das Feigenblatt des größten Medienunternehmens im Land?

Schöber: Der Kulturauftrag und der öffentlich-rechtliche Auftrag insgesamt, der ja auch Unterhaltung oder Sport umfasst, finden in allen ORF-Medien statt.

"Wir freuen uns über jeden, der uns toll findet."

STANDARD: Selbst die FPÖ, die den ORF-Beitrag abschaffen und den ORF auf einen "Grundfunk" zurechtstutzen will, findet Ö1 und ORF 3 gerechtfertigt …

Schöber: Wir freuen uns über jeden, der uns toll findet.

STANDARD: Aber dieses Aushängeschild ORF 3 hat laut Finanzplan für 2024 gerade ein Budget von 28 Millionen Euro von gut einer Milliarde Gesamteinnahmen des Gesamtkonzerns, davon rund 710 Millionen aus dem ORF-Beitrag. Ö1 muss auch mit 26 Millionen auskommen.

Schöber: Wichtig ist, was man mit 25 Millionen – laut Finanzchefin und Bilanz – bewirken kann. Wir erreichen weit über 800.000 Personen pro Tag. Natürlich haben wir ein knappes Budget, das aber Jahr für Jahr ein wenig erhöht und dank der kaufmännischen Geschäftsführerin von ORF 3, Kathrin Zierhut-Kunz, mit Augenmaß verwaltet wird. Und wir haben wesentliche Synergien mit dem Konzern. ORF 3 könnte gar nicht so gut funktionieren, hätten wir den ganzen Konzern nicht. "Kultur heute" etwa, das wir nun von täglich 30 auf 40 Minuten erweitern wollten, wäre allein mit der ORF-3-Redaktion und ohne die Unterstützung der Kultur von ORF 2 und der Landesstudios unmöglich.

STANDARD: ORF 3 ist in einer eigenen Firma organisiert und gilt dem ORF-Management gern als Role-Model für günstigere Produktion als in den ORF-Strukturen.

Schöber: Günstiger produzieren müssen wir alle. Wir müssen mit den gleichen Mitteln oder vielleicht sogar weniger Mitteln und weniger Personal deutlich mehr Output haben. Wir haben, auch bei 3sat, das ich für den ORF verantworte, die Strukturen geändert. Wir geben Produktionen nach außen, und der Redakteur betreut 30 oder 40 externe Produktionen pro Jahr nach den Qualitätsstandards des ORF. Die Strukturen werden im ganzen ORF-Konzern angepasst.

STANDARD: Ist ORF 3 da ein Role-Model für einen schlankeren ORF?

Schöber: ORF 3 ist für vieles ein Role-Model. Und die kaufmännische Direktorin des ORF kommt ja von ORF 3. Ich glaube, sie setzt dort nun viele Dinge um. In Kabarett und Kleinkunst machen wir die Langversion für ORF 3 und produzieren für ORF 1 gleich mit. Wir müssen mit den Gebührengeldern, die uns überantwortet sind, sorgsam umgehen. Das heißt, auch möglich effizient zu produzieren.

STANDARD: Ist es längerfristig sinnvoll, einen Spartenkanal wie ORF 3 in einer eigenen Tochterfirma abseits der ORF-Strukturen zu führen? Warum so zweigleisig?

Schöber: Die Tochterfirma hat einen wesentlichen Vorteil: Wir können uns auf dem Markt schneller und wendiger bewegen.

STANDARD: Und das ist sinnvoll und sollte so bleiben?

Schöber: Ja, würde ich meinen.

Bezahlfernsehen?

STANDARD: Geht es sich bei ORF 3 mit einem knappen Budget vielleicht auch deshalb gut aus, weil Institutionen oder Veranstalter Formate mitfinanzieren? Ich erinnere mich an eine Reihe von Sendungen, die das damalige Wirtschafts- und Digitalisierungsministerium mitfinanzierte. Wie viel muss man bei ORF zahlen, damit man ins Programm kommt?

Schöber: Wir hatten in der Pandemie hunderte von Veranstaltungen vom Gesundheitsministerium, von vielen Parteien, Landeshauptleuten, Kammern und so weiter. Das war eine Informationsveranstaltung der Digitalisierungs- und Wirtschaftsministerin, wie man an Förderungen kommt. Wir haben dieses Signal im Tagesprogramm live übernommen. In dieser Zeit sind wir zu einem All-in-Informationssender für die Menschen geworden, die nicht rausgekommen sind. Wir haben daher auch Pressekonferenzen der Ages übertragen und alle Regierungspressekonferenzen.

STANDARD: Rückblickend betrachtet haben diese Übertragungen von Regierungspressekonferenzen offenbar auch zum Eindruck von Regierungsnähe geführt. War das ein Fehler, war das zu viel?

Schöber: Retrospektiv ist die Einschätzung immer leichter. Zum damaligen Zeitpunkt war das richtig. Wir hatten auch viele Pressekonferenzen der Opposition. Der Knackpunkt war aus meiner Sicht die Regierungskampagne zur Impfpflicht. Das würde ich heute anders beurteilen.

"Westenthaler ist jedenfalls ein profunder Kenner der österreichischen Medienszene."

STANDARD: Die FPÖ schickt nun in den ORF-Stiftungsrat einen Mann, der schon vor einem Vierteljahrhundert im ORF-Aufsichtsrat und im ORF für Wirbel sorgte: Peter Westenthaler. Sie waren damals Büroleiter des Info-Intendanten, Gerhard Weis war ORF-Generaldirektor, und beide waren Ziel massiver Interventionen und Angriffe des damaligen FPÖ-Klubchefs Westenthaler.

Schöber: Westenthaler ist jedenfalls ein profunder Kenner der österreichischen Medienszene.

STANDARD: Haben Sie aus damaliger Beobachtung einen Ratschlag für den heutigen ORF-Generaldirektor, wie man mit einem Westenthaler im Aufsichtsrat umgeht? Weis hat die Parole ausgegeben: "Nicht reizen, nicht füttern, nicht in den Käfig gehen."

Schöber: Der Generaldirektor braucht sicher keine Ratschläge von mir, jedoch: Dieses Motto ist auch für die heutige Zeit und die heutigen Journalisten wichtiger denn je. Es gilt aber für alle Fraktionen. Gerhard Weis hat damit fast jede Sitzung eröffnet. Was er damit gemeint hat: Wir sollen uns nicht einspannen lassen, uns nicht gemeinmachen, aber auch nicht unnötig provozieren, sondern äquidistant, kritisch und fair berichten. In der zunehmenden Polarisierung, mit einer Cancel-Culture, die überall zuschlägt, wird das schwieriger, aber zugleich auch immer wichtiger.

"Keine großen Überlegungen" für ORF-Karriere

STANDARD: In den vergangenen Jahren wurden Ihnen Ambitionen auf das ORF-Management nachgesagt.

Schöber: Ich hatte da keinen großen Überlegungen und habe mich auch nicht beworben.

STANDARD: Sie sind jetzt 53, wollen Sie als ORF-3-Chef in Pension gehen? Eine Führungsposition im ORF-Konzern würde Sie nicht reizen?

Schöber: Mein Job macht mir sehr viel Spaß, ich habe inzwischen ja auch die Verantwortung für 3sat, Arte und ARD Alpha dazubekommen und vertrete den ORF in sehr vielen internationalen Gremien. Das ist eine sehr ausfüllende Tätigkeit.

STANDARD: Keine Ambitionen auf mehr?

Schöber: Was die Zukunft bringt, weiß keiner. Aber ich mache den jetzigen Job sehr gerne. Und das in sehr enger Zusammenarbeit mit dem Generaldirektor. Das funktioniert auch auf einer persönlichen Ebene sehr gut.

"Müssen mit allen reden"

STANDARD: Ihr Name ist schon 2017 bis 2019 immer wieder aufgetaucht für ORF-Managementfunktionen. Und Sie sollen auch eine gute Gesprächsbasis zur FPÖ haben.

Schöber: Wir müssen mit allen politischen Gruppierungen, die in Österreich demokratisch legitimiert sind, reden und im Diskurs sein. Das ist ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Ausgrenzen hat noch nie etwas gebracht. Und es ist bekannt, dass ich kein großer Fan der Cancel-Culture bin.

"Es ist bekannt, dass ich kein großer Fan der Cancel-Culture bin."

STANDARD: Wie äußert sich das?

Schöber: Cancel-Culture entstand aus guter Absicht und hat sich in manchen Bereichen völlig ins Gegenteil verkehrt. Es wäre zu kurz gegriffen zu sagen: Israel ist eine Erfindung von weißen alten Männern, und daher müsse Palästina "vom Jordan bis zum Meer" frei sein. Jedes Schwarz-Weiß-Denken ist gefährlich. Cancel-Culture bedeutet Gesprächsverweigerung. Nach dem Motto: Ich diskutiere nicht mit Menschen anderer Meinung, weil sie die eigene Achtsamkeit verletzt. Das gefährdet unseren demokratischen Diskurs.

"Wir sind nicht die oberste Zensurbehörde."

STANDARD: Muss demokratischer Diskurs auch jede demokratiegefährdende Position akzeptieren?

Schöber: Unsere Demokratien und die Menschen in unserem Land sind erwachsen genug, dass sie Dinge auch selbst einordnen können. Wir sind nicht die oberste Zensurbehörde. Es steht uns nicht an, den Zeigefinger zu erheben. Der eine gendert sprachlich, der andere nicht. So what? Wir müssen hier wirklich aufpassen, dass wir nicht Partikulärthemen über die Gesellschaft drüberstülpen, wo uns die Menschen nicht mehr folgen.

ORF-Beitrag "ist gut so"

STANDARD: Seit Jahresbeginn wird ein ORF-Beitrag unabhängig vom Empfang eingehoben, der den ORF insgesamt großteils finanziert.

Schöber: Das ist gut so.

STANDARD: Nun verspricht die FPÖ, die in den Umfragen stärkste Partei ist, den ORF-Beitrag wieder abzuschaffen und den ORF, mit gekürzten Mitteln, aus dem Bundesbudget zu finanzieren. Was halten Sie von der Budgetfinanzierung?

Schöber: Das ist eine Option, aber das derzeitige System ist deutlich besser. Ich erlebe bei Arte, wo der französische Teil seit einigen Jahren aus dem Staatsbudget finanziert wird, dass Budgetfinanzierung auch gewisse Nachteile hat.

STANDARD: Nämlich?

Schöber: Dass man zum Beispiel bis zur letzten Minute kein Budget für das nächste Jahr hat. Dass man viel näher im politischen Umfeld ist. Das ist mit dem ORF-Beitrag deutlich besser. (Harald Fidler, 26.2.2024)