"Es gibt keine Wahrheit um jeden Preis." Mit diesem Satz beschreibt Jurist und Schriftsteller Ferdinand von Schirach am Ende seines Gerichtsdramas "Sie sagt. Er sagt." rund um Vergewaltigungsvorwürfe das Dilemma, wenn Aussage gegen Aussage steht. Der Film lief gerade im ORF und ist am Montag im ZDF-Hauptabend zu sehen.

Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach.
Schriftsteller und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach.
Foto: APA/AFP/JOEL SAGET

Auch in "Sie sagt. Er sagt." macht Schirach das, was ihm den Ruf des Erklärers einbrachte: für eine breite Öffentlichkeit beschreiben, wie Justiz funktioniert, wie Gerichte arbeiten. Seine Bücher über Verbrechen, Menschenwürde, Gut und Böse, Schuld und Unschuld sind Bestseller, wurden mehr als zehn Millionen Mal in mehr als 40 Ländern verkauft, seine Theaterstücke "Terror" oder "Gott" gehören zu den meistgespielten Aufführungen auf deutschsprachigen Theatern. Seine Texte und Kurzgeschichten sind auch die Vorlagen für zahlreiche TV-Events samt umstrittener Abstimmungsmöglichkeit für das Publikum.

Geboren wurde von Schirach 1964 in München, seine Kindheit verbrachte er auf dem Anwesen seines Urgroßvaters in Trossingen, einer Kleinstadt in Baden-Württemberg. Später besuchte er das Jesuiten-Internat St. Blasien im Schwarzwald. "Ich weiß nicht, ob es eine sorglose Kindheit gibt, ich glaube es nicht, zu kompliziert ist das meiste, was wir als Kinder erleben", beschrieb er diese Zeit im "Spiegel". Sein Großvater Baldur von Schirach war NS-Reichsjugendführer und Gauleiter in Wien. Bei den Nürnberger Prozessen wurde er für die Deportation von 60.000 Juden zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, in einem Essay setzte sich Ferdinand von Schirach 2011 mit diesem Erbe seiner Familie auseinander ("Er hätte sich leicht für ein anderes Leben entscheiden können. Er wurde nicht unschuldig schuldig.") und forderte dort auch "das Recht auf eine eigene Biografie" ein, "die Schuld meines Großvaters ist die Schuld meines Großvaters".

Aufklärung mit Strafprozessordnung

Nach der Matura studierte Ferdinand von Schirach wie viele seiner Vorfahren vor ihm Rechtswissenschaften in Bonn, wurde Strafverteidiger in Berlin. SED-Funktionär Günter Schabowski zählte etwa zu seinen Mandanten, er vertrat auch die Familie Kinski oder den Agenten Norbert Juretzko. Literarisch verarbeitete er seine Fälle in seinem ersten Buch "Verbrechen", es erschien 2009. "Heute bin ich mir sicher, dass die Strafprozessordnungen der Rechtsstaaten zu dem Bedeutendsten gehört, was die Aufklärung hervorgebracht hat", sagte er einmal. 2021 forderte er eine neue Grundrechtecharta für Europa, darunter etwa das Recht "auf gesunde Umwelt" und "digitale Selbstbestimmung".

Von Schirach lebt in Berlin, über sein Privatleben weiß man wenig. "Ich bin ja kein Filmstar. Das ist also gar nicht nötig", sagte er dem STANDARD 2014. Viele Jahre litt er unter Depressionen, zum Schreiben sei er aufgrund seiner Schlafstörungen gekommen. Sein Schreibstil ist nüchtern und schnörkellos, die Schwierigkeit bestehe darin, "alles wegzustreichen, bis der blanke Satz übrigbleibt, der kein Ornament mehr hat". So beschreibt er das in einem ZDF-Porträt. Schnörkellos ist auch die Verfilmung seines neuesten TV-Films "Sie sagt. Er sagt." Ein konzentriertes Kammerspiel im Gerichtssaal, ohne Rückblenden und ohne Musik. (Astrid Ebenführer, 25.2.2024)