Nur ein paar Wochen noch, liebe Kinder, dann wird alles gut! Wenn Israels Premierminister Benjamin Netanjahu den Menschen im Land erklärt, dass es nur noch diesen einen Einsatz in Rafah brauche, um den Sieg Israels über die Hamas zu erringen, dann klingt er wie ein Geschichten- oder Märchenerzähler, der sich beim Alter seiner Zuhörerschaft geirrt hat. Netanjahus besänftigende Worte kommen nicht mehr an. Man glaubt ihm nicht mehr.

Der Anteil der Optimisten oder Zweckoptimisten, die Netanjahus Rede vom "absoluten Sieg" in Gaza laut Umfragen für glaubwürdig halten, liegt jetzt nur noch bei 39 Prozent. Es ist ein bemerkenswerter Stimmungswandel. Zu Beginn des Kriegs hatten die Israelis zwar Netanjahu als Regierungschef misstraut, aber wenigstens die Kriegsziele des Kabinetts für realistisch gehalten. Vier Monate später regiert die Resignation. Und jeder Tag bringt neues Blutvergießen in Gaza.

Benjamin Netanjahu kalmiert und peitscht auf – aber glaubwürdig ist er längst nicht mehr.
REUTERS/RONEN ZVULUN

Immer mehr Menschen in Israel fragen sich, was eigentlich das Exitszenario ihrer Regierung ist. Die Angehörigen der Geiseln und ihre Unterstützer haben längst durchschaut, dass es Netanjahu und seinen rechten Verbündeten jedenfalls nicht darum geht, die nach Gaza verschleppten Zivilisten zu befreien. Sie wissen, dass Netanjahu die Geiseln aufgegeben hat. Wenn ein Geiseldeal erreicht wird, dann ist es dem Druck aus dem Ausland und von der Straße zu verdanken.

Daher kämpfen sie weiter. Sie blockieren Autobahnen, wettern in Fernsehstudios, fordern Gehör. Was sie von der Regierung erhalten, ist Missachtung – und seit neuestem sogar Repression.

"Neuwahlen jetzt!"

Als die Geisel-Plattformen am vergangenen Samstag in Tel Aviv auf die Straße gingen, traf sie der Schwall der Wasserwerfer der Polizei. Mehr als zwanzig Demonstranten wurden festgenommen. Unter ihnen auch eine Person, die selbst von der Hamas verschleppt und in Gaza als Geisel gehalten worden war – und nach ihrer eigenen Befreiung nun lautstark die Rückführung der übrigen Geiseln fordert.

Wenn die Regierung aus früheren Protesten gelernt hat, muss sie wissen, dass Polizeigewalt in Israel niemanden einschüchtert. Im Gegenteil: Eher treibt sie noch mehr Menschen auf die Straße. Die Demonstrierenden beschränken sich in ihren Appellen längst nicht mehr nur auf die Rückführung der Geiseln. Immer öfter liest und hört man während der Proteste auch den Ruf "Neuwahlen jetzt!".

Das alles ignoriert Netanjahu. Er setzt darauf, dass ein Regierungswechsel schon nicht von unten erzwungen werden wird. Solange die Koalition zusammenhält, solange keiner seiner Partner abtrünnig wird, so lange werde er an der Macht bleiben, so die Logik des Premiers.

Daher tut er alles, um seine Herde beisammenzuhalten. Wenn die Rechts-außen-Parteien einen Geiseldeal ablehnen, lässt sich auch Netanjahu neue Forderungen einfallen, die einen Verhandlungserfolg erschweren. Die Delegation, die seit Monaten in Paris und Doha um einen Fortschritt ringt, musste wiederholt erfahren, dass ihr Erfolg in Jerusalem nur bedingt erwünscht ist.

Immer mehr Israelis verlieren nun die Geduld mit Netanjahus Machtspielen, immer mehr gehen auf die Straße. Sie werden einen langen Atem brauchen – ihr Regierungschef hat ihn gewiss. (Maria Sterkl, 26.2.2024)