Hochgebirgsjäger
Hochgebirgstruppe des Bundesheeres in Aktion: Südlich von Judenburg sollen Trainingsmöglichkeiten ausgebaut werden, doch nicht alle sehen eine Win-win-Situation.
Bundesheer Österreich

Das Bundesheer ist auf Expansionskurs. Seit die Parteien nach Russlands Überfall auf die Ukraine den Sinn der Landesverteidigung wiederentdeckt haben, stehen Milliarden zur Investition parat. Doch nicht nur nach Panzern, Hubschraubern und Jets greift die Armee. Auf der Einkaufsliste findet sich auch ein idyllischer Flecken Erde südlich von Judenburg in der Steiermark.

Man muss kein zur Übertreibung genötigter Tourismuswerber sein, um das 430 Hektar große Areal in den Seetaler Alpen als wildromantisch zu bezeichnen. Bergan von der auf 1.800 Metern gelegenen Winterleitenhütte geht es entlang zweier Seen in das von Felsen durchzogene Kar des Ochsenbodens. Menschenleer ist die von Zirben, Hochmooren und im Herbst blutrot leuchtenden Heidelbeersträuchern gesäumte Landschaft an schönen Tagen nicht, aber trotzdem von Verschandelung verschont. Zivilisationslärm dringt kaum hinauf. Allenfalls übertönen ferne Gewehrschüsse und die über die Gipfel donnernden Eurofighter das Gurgeln des mäandernden Gebirgsbaches.

Die gelegentliche Geräuschkulisse outet die Nachbarn: Seit 1955 betreibt das Bundesheer hier oben einen Truppenübungsplatz. Das nun ins Auge gefasste Terrain nebenan nutzte die Armee als Pächterin schon bisher für Ausbildungszwecke, vom Klettern bis zum Überlebenstraining. Auch ausländische Truppen sind zu Gast.

Vier Millionen für die Stadt

Die Avancen der Streitkräfte stoßen auf Gegenliebe der lokalen Politik. Einstimmig hat der Judenburger Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss für den Verkauf des auch bei Wanderern beliebten Gebiets gefällt. "Uns ist lieber, das Heer investiert sein Geld bei uns als woanders", sagt Bürgermeisterin Elke Florian von der SPÖ. Gut brauchen könne die Stadt die vier Millionen Euro Erlös, mit denen gemäß eines älteren Gutachtens zu rechnen sei. Straßen gehörten erneuert, das Erlebnisbad saniert, Spielplätze ausgebaut: "Sie glauben gar nicht, wie viel solche Geräte kosten."

Christine Fuchs lässt sich von den hoffnungsfrohen Erwartungen nicht anstecken. Gemeinsam mit ihren Kollegen aus den anderen Anrainerorten Knittelfeld und Fohnsdorf hat die Vorsitzende des Judenburger Alpenvereins eine Resolution aufgesetzt, um vor einem leichtfertigen Deal mit "einem der letzten naturbelassenen Kare" des Gebirges zu warnen. Im schlimmsten Fall, so glaubt sie, drohe "eine Katastrophe".

Winterleitensee, Seethaler Alpen
Oberer Winterleitensee im Herbst: Geht die Stadt einen leichtfertigen Deal ein?
Gerald John

Hellhörig gemacht haben die Bergsteigerin die Ausbaupläne, für die der örtliche Kommandant umtriebig wirbt. Von zusätzlichen Kletteranlagen neben dem bereits bestehenden Lukas-Max-Klettersteig spricht Oberst Manfred Hofer, und von einer gespurten Höhenloipe im Winter – alles auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Vor allem aber alarmiert die Kritiker die Ankündigung, fallweise mit motorisierten Quads ins Gebiet fahren zu wollen. Eine "Bewegungslinie" schwebt Hofer vor. Was darunter zu verstehen sei? Weg, Piste oder Straße? "So weit sind wir noch nicht", sagt der Offizier auf Nachfrage des STANDARD.

Warnung vor Straße

Fuchs befürchtet einen Dammbruch. Fahren Soldaten nur oft genug mit Quads in Richtung Ochsenboden, würde automatisch eine Straße entstehen, ohne dass die Armee extra eine bauen müsste. Das könnte dazu verleiten, bald mit größeren Fahrzeugen herumzukurven. Nehme der Betrieb massiv zu, werde das entrückte Hochtal zerstört: "Gehört das Gebiet erst einmal dem Heer, braucht es niemanden mehr zu fragen."

Als aus der Luft gegriffen qualifiziert Oberst Hofer dieses Szenario, das beginne bei der umstrittenen Bewegungslinie. Das Heer wolle lediglich den halben Weg bis zum oberen See motorisiert vorstoßen, und das auch nur dann, wenn es einen verletzten Soldaten zu transportieren gelte. Könne der Hubschrauber wegen Schlechtwetters nicht fliegen, sei eine Bergung zu Fuß über die gesamte Strecke schwierig.

Ochsenboden
Durch das Hochtal schlängelt sich ein Gebirgsbach. Es gibt Befürchtungen, dass eine befahrbare Piste dazu kommen könnte.
Gerald John

Die Frequenz werde nicht wesentlich steigen, verspricht der Kommandant, an Sperren oder neue Schießstätten sei ohnehin nicht gedacht. Weil er null Interesse habe, dass Bürgerinitiativen aufmarschierten, kooperiere er seit jeher eng mit der Bevölkerung. Wollte das Heer stärker in die Natur eingreifen, hätte es das schon bisher machen können, sagt Hofer. Schließlich erlaubt bereits der Pachtvertrag Erdbewegungen und das Anlegen von Wegen.

Jahrhundertchance für das Heer

Warum das als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesene Areal dann überhaupt gekauft werden soll? Hofer spricht von Absicherung, damit nicht irgendwann ein privater Interessent zuschlagen könne. Im Verteidigungsministerium in Wien ist gar von einer "Jahrhundertchance" die Rede. Investitionen wie neue Kletteranlagen tätige man nur als Eigentümer.

Niemand habe Lust, Demonstrationen zu provozieren, sagt auch Bürgermeisterin Florian, das Heer habe sich stets als vertrauenswürdiger Partner präsentiert. Der Kaufvertrag solle nicht mehr erlauben als die Vereinbarung über die Pacht, die sich auf 16.500 Euro im Jahr beläuft. Etwaigen Bauten setze die Widmung als Freiland eine Grenze, die bewirtschafteten Hütten im unteren Teil des Geländes seien vom Verkauf ausgenommen. Auch die Frage des motorisierten Verkehrs werde sie in den Verhandlungen anschneiden, gelobt sie: "Ich bin für jeden Input dankbar."

Aber was, wenn die Streitkräfte in ein paar Jahren ein gutes Geschäft wittern und das Grundstück weiterverkaufen? Ein Rückkaufrecht gehöre ebenfalls in den Vertrag, sagt Florian – doch dafür müsste die in Finanznöten steckende Gemeinde erst einmal das Geld haben. Gehe es um öffentliches Interesse, werde man sich das leisten können müssen, sagt die Stadtchefin: "Notfalls mithilfe von Bund und Land." (Gerald John, 29.2.2024)