Das Lieferkettengesetz soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinderarbeit profitieren.
Das Lieferkettengesetz soll große Unternehmen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie etwa von Kinderarbeit profitieren.
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Bereits Anfang Februar war eine Abstimmung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten erfolglos, jetzt droht die Lieferkettenrichtlinie in ihrer aktuellen Form endgültig zu scheitern. Bei einem Votum unter den Vertretern der EU-Staaten in Brüssel hat der Entwurf am Mittwoch erneut eine qualifizierte Mehrheit verfehlt. In einem Statement der belgischen Ratspräsidentschaft hieß es, dass man nun prüfe, "wie man die Vorbehalte mehrerer Mitgliedsstaaten gemeinsam mit dem EU-Parlament angehen könnte".

Die Vorbehalte, die kamen zuletzt vor allem aus Deutschland, Italien und Österreich. Trotz einer vorläufigen politischen Einigung des EU-Rats mit dem Europaparlament im vergangenen Dezember haben sich einige Staaten auf den letzten Metern umentschieden. Selbst im Fall, dass man doch noch eine Einigung erzielt, bleibt bis zur EU-Wahl im kommenden Juni kaum mehr Zeit, um den formalen Gesetzgebungsprozess in dieser Legislaturperiode abzuschließen.

Laut Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) zeigt das Ergebnis, "dass neben Österreich auch zahlreiche andere Länder Bedenken an der Umsetzbarkeit des vorliegenden Entwurfs hatten". Justizministerin Alma Zadić (Grüne) bezeichnete den Ausgang in einer Aussendung dagegen als "bitter". Man habe eine "historische Chance verpasst, Millionen von Kindern vor Ausbeutung zu schützen und unsere Umwelt vor weiterer Zerstörung zu bewahren".

Verantwortung für Unternehmen

Die EU-Richtlinie soll Unternehmen zu mehr Verantwortung in ihrer Lieferkette verpflichten. Konkret sollen Konzerne ab 500 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro ihre direkten und indirekten Zulieferer auf Verstöße gegen Menschen- und Umweltrechte kontrollieren. Für gefährdete Branchen wie den Textilsektor gilt eine niedrigere Schwelle von 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz.

Indirekt betroffen wären aber auch Klein- und Mittelbetriebe, weil größere Konzerne ihre Pflichten vertraglich an ihre direkten Zulieferer weitergeben werden. Zwar müssen kleinere Betriebe laut dem Richtlinienentwurf von größeren Vertragspartnern unterstützt werden, vielen Kritikerinnen und Kritikern geht das aber nicht weit genug. Sie fürchten, dass die Verantwortung auf kleinere Betriebe abgewälzt wird und diese mit zusätzlicher Bürokratie zu kämpfen hätten.

Kritik aus Wirtschaft

In den vergangenen Wochen hatten vor allem die Wirtschaftskammer (WKÖ) und die Industriellenvereinigung (IV) gegen zusätzlichen Bürokratieaufwand kampagnisiert. Ökonomen wie Harald Oberhofer von der WU Wien argumentierten, dass die Richtlinie dazu führen könnte, dass sich europäische Unternehmen gänzlich aus Risikoländern zurückziehen, was deren wirtschaftlichen Aufschwung erst recht schwieriger machen könnte.

Zu den Befürwortern des Vorhabens zählen die Arbeiterkammer (AK), die SPÖ und NGOs, aber auch das österreichische Justizministerium unter Alma Zadić (Grüne). Fürsprecher erwarten sich von der Richtlinie eine Verbesserung der Arbeits- und Umweltbedingungen in vielen Produktionsländern. Nach dem Umschwenken Deutschlands und Österreichs orteten AK und NGOs ein Einknicken der Politik vor den Interessenvertretungen der Wirtschaft.

Österreich und Deutschland enthielten sich

Österreich und Deutschland haben im EU-Rat zwar nicht explizit gegen die Richtlinie gestimmt, mussten sich aufgrund von Unstimmigkeiten in den jeweiligen Regierungskoalition aber enthalten. Enthaltungen zählen bei Abstimmungen, die mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden, allerdings automatisch als Nein-Stimmen. Zusätzlich dürften sich nun auch weitere Länder, unter anderem Italien, quergelegt haben. Notwendig wäre für eine qualifizierte Mehrheit, dass 15 von 27 Mitgliedsstaaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung abbilden.

Laut der Richtlinie wären Unternehmen in erster Linie dazu verpflichtet, Kontrollsysteme einzurichten, um negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt bei ihren Zulieferern zu erkennen und zu verhindern. Im Gegensatz zum deutschen Lieferkettengesetz müssten Unternehmen nicht nur ihre direkten Zulieferer unter die Lupe nehmen, sondern die gesamte Wertschöpfungskette.

Kompromiss möglich?

Im Zuge der mehr als zweijährigen Verhandlungen wurde die Richtlinie bereits an mehreren Punkten abgeschwächt. So wurde etwa die zivilrechtliche Haftung von Unternehmen entschärft, die Beendigung einer Geschäftsbeziehung ist in der Richtlinie zudem explizit als das "letzte Mittel" definiert, sollten bei einem Zulieferer wirklich keine Verbesserungen möglich sein. Selbst in diesem Fall muss die Geschäftsbeziehung aber nicht beendet werden, wenn die Beendigung noch schwerere Folgen hätte als die Aufrechterhaltung – was einen breiten Interpretationsspielraum übriglässt.

Ein möglicher Kompromissvorschlag könnte etwa vorsehen, dass bestimmte "sichere" Regionen, Herkunftsländer oder Produzenten explizit aus der Richtlinie ausgenommen werden. Staatliche Institutionen oder NGOs könnten entsprechende Listen aufsetzen und so Unternehmen zumindest teilweise entlasten. Ob es dazu kommen wird, ist nach der Abstimmung am Mittwoch völlig unklar. Viel Zeit bleibt jedenfalls nicht mehr. (Jakob Pflügl, 28.2.2024)