Sandra Hüller spielt Hedwig Höß als eiserne Hausfrau, deren ganze Freude der mit Menschenasche gedüngte Garten ist.
Sandra Hüller spielt Hedwig Höß als eiserne Hausfrau, deren ganze Freude der mit Menschenasche gedüngte Garten ist.
LEONINE

Was war es für ein Skandal, als Hannah Arendt nach den Eichmann-Prozessen 1961 resümierte, dass vor allem die "Normalität" Adolf Eichmanns ins Auge steche. Der Organisator der Shoah sei der Inbegriff der Banalität des Bösen, ein Bürokrat der Massenvernichtung der europäischen Juden. Dass Arendt daraufhin Kritik entgegenprallte, ist bezeichnend. Das Böse muss markiert sein: als perfide, teuflisch und brutal – so löste es Steven Spielberg, als er in Schindlers Liste den KZ-Kommandanten Amon Göth als Sadisten inszenierte. Das Böse darf keinesfalls im Kleid von Tugenden wie Fleiß und Gehorsam daherkommen.

Einen emsigen Bürokraten zeigt nun Jonathan Glazer. Die Szenerie: ein trautes deutsches Einfamilienhaus vor den Toren von Auschwitz. Deren Bewohner: der Lagerkommandant Rudolf Höß (Christian Friedel), seine Frau Hedwig (Sandra Hüller) und ihre fünf blonden Kinder. Sie führen ein geregeltes Leben. Hedwigs Passion gilt dem Garten, Rudolf ist ein Arbeitstier, das nach langen Stunden im benachbarten KZ noch liebe Worte für seine Kinder findet.

Wie eine fremde Spezies

Glazer filmt diese Familie, als ob er eine fremde Spezies beobachten würde. Die Kameras bleiben auf Distanz, die Personen gehen in ihrer Umgebung auf: dem bieder eingerichteten Haus, dem blühenden Garten, der sattgrünen Flusslandschaft. Dort paddelt Rudolf gern mit seinen Kindern. Wenn sich dann das Wasser grau färbt von der Menschenasche, treibt er seinen Nachwuchs schnell aus dem Fluss. Zu Hause müssen die polnischen Dienstmädchen den Kindern die Asche dann aus dem Goldhaar waschen.

A24

Als Hedwigs Mutter zu Besuch kommt, ist sie begeistert, ein Paradiesgarten sei es, den Hedwig da geschaffen habe. Doch abends kann die ältere Frau, die einst bei einer jüdischen Familie geputzt hat, nicht ruhen. Der Rauch, die Glut am Himmel und der ständige Lärm rauben ihr den Schlaf. Während der älteste Bub abends die Goldzähne zählt, die der Vater aus dem Lager mitbringt, ist der kleinere unruhig. Eine der Schwestern verbringt die Nächte schlafwandelnd. Ein anderes Kind, wohl aus einem nahegelegenen Dorf, versteckt indes Äpfel und Birnen an den Arbeitsstätten der Gefangenen. Gefilmt ist das aus der Distanz mit Wärmekamera.

Das Grauen auf der Tonspur

Äpfel, eine Flasche Schnaps, Schlaflosigkeit und eine plötzliche Abreise – das sind die kleinen Gesten der Menschlichkeit, die Glazers Film durchziehen. Für all das ist das Ehepaar Höß ebenso blind wie für die Verbrechen, die ihnen ihr "schönes" Leben ermöglichen. Viel schwerer wiegt Rudolf Höß nahende Versetzung, die ein Ehedrama auslöst.

Tatsächlich sieht man nichts vom Lager in The Zone of Interest. Vielmehr hört man das Grauen, das sich hinter der Lagermauer abspielt. Schreie, das dumpfe Dröhnen der Öfen, das Kreischen der Zugschienen, Schüsse. Verantwortlich dafür ist der Sounddesigner Johnnie Burn, ergänzt wird die Atmosphäre durch einen Musikscore von Mica Levi. Die Bildidylle und der Tonhorror bilden eine Dissonanz, die das Publikum direkt angeht. Die Blumen des Gartens färben sich blutrot, und der Lagerkommandant echauffiert sich darüber, dass die Wärter den Flieder pflücken. Gleichzeitig gelingt es Glazer, durch die sture Strukturiertheit des Familienalltags die systemische Grausamkeit der Massenvernichtung anzudeuten, ohne sie zu zeigen. Damit steht er ganz in der Philosophie Claude Lanzmanns.

Es ist eine scharfsinnige Regieleistung, die Glazer hier abliefert. Jahrelang dachte er nach, wie man Martin Amis zugrunde liegenden Roman anders erzählen könnte. Das Resultat nun wirkt gar nicht historisch – wie etwa Theodor Kotullas Höß-Biografie Aus einem deutschen Leben von 1977 –, sondern wie eine zeitlose Studie über menschliche Verdrängungsmechanismen. Selbst dann noch, wenn die Vergangenheit – wie eine Sequenz des Films unvermittelt zeigt – museal aufbereitet und ausgestellt wird. Dass Glazer ebendas nicht macht, darin liegt seine Meisterschaft. (Valerie Dirk, 29.2.2024)