Kaleen vertritt Österreich beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö. Die 29-jährige Oberösterreicherin geht mit einem techno-inspirierten Pop-Track an den Start. Für das authentische Multitalent erfüllt sich ein langgehegter Traum.
Kaleen vertritt Österreich beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö. Die 29-jährige Oberösterreicherin geht mit einem Techno-inspirierten Poptrack an den Start. Für das authentische Multitalent erfüllt sich ein langgehegter Traum.
ORF / Rankin

In den 1990er-Jahren war musikalisch nicht alles schlecht. Man erinnert sich zum Beispiel an Agathe Bauer von Snap!, It's My Life vom singenden Zahnarzt Dr. Alban, Pump Up The Jam von Technotronic oder auch schwedische Wühltischware wie jene von Ace of Base, etwa All That She Wants oder The Sign. Wenn man dann noch etwas weiter zurückgeht, erinnert man sich an Kylie Minogue und ihre piepsigen Landdisco-Hits aus der 1980er-Ideenschmiede von Stock, Aitken, Waterman und I Should Be So Lucky oder The Loco-Motion.

Für den heurigen österreichischen Beitrag We Will Rave von Kaleen, der am Freitag in seiner ganzen Pracht erstmalig auf Ö3 vorgestellt wurde, zeichnen die Song-Contest-Veteranen Anderz Wrethov, Jimmy "Joker" Thörnfeldt, Julie "Kill J" Aagaard und Thomas Stengaard verantwortlich. Sie komponierten unter anderem schon Song-Contest-Lieder für Zypern, Malta, Aserbaidschan und Deutschland. Und die altbewährte Kreuzung aus musikalischer Resteverwertung, Regionalradiotauglichkeit in ehemaligen Ostblockländern und Liedern, die auf Best-Ager-Partys nicht stören dürfen, aber den Anschein von Zeitgenossenschaft vermitteln, geht voll auf.

Kaleen - Topic

Wir hören Stangenware mit mächtigen Böllerbeats, im Hintergrund orgelt es derart heftig nach Autodrom-Disco, dass man jederzeit befürchtet, H. P. Baxxter von Scooter könnte über Megafon danach fragen, wie viel der Fisch kostet. Es kommt zu einem ideal für selbstreflexiven Synchrontanz auf Tiktok geeigneten, sehr dünnen und hohen Gesangsteil mit Autotune. Der Wiedererkennungswert drängt sich nicht auf. Es handelt sich um die stimmliche Power einer an Jennifer Lopez geschulten Tänzerin. Die ist Kaleen nun einmal.

Der Text verrät alles über die Machart des Lieds:

"Ice running through my veins
You just did it again
Go, 'cause I can't be your friend
I'm cold, but this is not the end."

APA

Im Reimzwang

Abgesehen davon, dass Eis nicht laufen kann, schon gar nicht durch Venen, was soll man tun? Nehmen wir auf jeden Fall Abstand von den später noch in einer zweiten Strophe im Reimzwang auftauchenden, vom Leben entfremdeten gesichtslosen Silhouetten der Mitmenschen sowie den eigenen Dämonen im Kopf ("Silhouettes – demons in my head"):

"So I go, go, go where them broken-hearted go
No one knows a thing about my heart and soul
I go, oh, oh, wanna dance it off alone
I won't let it show, they will never know."

Ja, das Beste, das wir jetzt tun können, ist tanzen! Die Klimax ist nahe, wir spüren jetzt die unterkomplexen Großraumdiscobeats und das Wummern der Bässe in uns drinnen. Seid nicht traurig, meine kleinen Hobbits, bringt eure Körper auf die Party! Befreit eure Hüften, irgendwann wird es auch das Gehirn mitkriegen.

"When the darkness hits and we can't be saved
We ram-di-dam-dam-dam, we will rave
When our hearts are burning, we feel no pain
We ram-di-dam-dam-dam, we will rave
We ram-di-dam-dam-dam, we will rave"

Veteranentreffen beim ESC

Die 29-jährige Oberösterreicherin Kaleen, bürgerlich Marie-Sophie Kreissl, kommt aus einer musikalisch vorbelasteten Familie. Oma Hanneliese Kreissl-Wurth komponierte über 2.000 volkstümliche und andere Schlager, darunter Steirermen San Very Good 1992 für Die Stoakogler. Kaleen selbst ist ohnehin ESC-Veteranin. Seit 2016 hat sie in mehreren Funktionen hinter den Kulissen für den Megaevent gearbeitet, etwa als Stand-In-Lead-Artist während der Proben, als Tänzerin beim Intervall-Act oder als Creative Director beim Junior Eurovision Song Contest.

Der für den Gesangswettbewerb verantwortliche ORF buchte mit ihr und dem obengenannten skandinavischen Diskontpop-Quartett also Leute, die es gewohnt sind zu verlieren und den Song Contest eher aus einem olympischen und finanziellen Gedanken heraus betrachten: Dabei sein ist alles. Ein neuerlicher Sieg beziehungsweise eine neuerliche finanziell kaum stemmbare Ausrichtung des Eurovisionsbewerbs in Österreich müssen unbedingt verhindert werden, es darf uns nur nicht auffallen. Conchita Wursts Sieg 2014 und die Ausrichtung des Song Contests 2015 in der Wiener Stadthalle waren genug. Die 54 Ampelpärchen im Stadtbild erinnern an die große Zeit, in der der Phoenix einst aus der Asche stieg. Jetzt muss der Phoenix wieder ein bisserl brav sein. (Christian Schachinger, 1.3.2024)