"Wir wollen und können diesen tiefsitzenden Frauenhass nicht mehr ertragen", ruft Klaudia Frieben, Gewerkschafterin und Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings, am Freitagvormittag auf dem Minoritenplatz in ihr Mikrofon. Man habe sich an diesem "historischen Platz" versammelt, weil man annehmen könne, dass hier viele politische Verantwortungsträgerinnen und -träger den Aufschrei nach sofortigen Maßnahmen nicht überhören könnten. Friebens Rede wechselt immer wieder mit lauten Schreien der rund 200 anwesenden Frauen jeden Alters, auch mit Trillerpfeifen, Töpfen, Kochlöffeln und als Becken eingesetzten Topdeckeln machen die Demonstrantinnen und vereinzelte Demonstranten ordentlich Krach.

Schreidemo gegen Femizide
Rund 200 Frauen und Männer kamen, um gegen Femizide anzuschreien.
Lea Sonderegger

Nach fünf Frauenmorden an nur einem Tag in Wien in der Vorwoche und 144 in Österreich seit 2018 hatte der Österreichische Frauenring zum österreichweiten "Schreitag" aufgerufen. Am Freitag gab es in Wien zeitgleich auch ein Pressegespräch im Café Landtmann. Und am 7. März, am Vortag des Internationalen Frauentages, werde man eine öffentliche Pressekonferenz abhalten, kündigt Frieben an, an einem anderen innerstädtischen Schnittpunkt der Macht, dem Ballhausplatz. Der Frauenring fordert einen ganzheitlichen Ansatz gegen Gewalt an Frauen und Femizide, den die Bundesregierung, alle Ministerien, Landesregierungen, Städte und Gemeinden mit Maßnahmen mittragen müssten. In Zahlen sind das mindestens "250 Millionen Euro jährlich".

"Jede Frau muss sicher und gewaltfrei leben können, keine Frau muss vor einem Gewalttäter flüchten müssen", setzt Frieben fort, "dafür schreien wir jetzt." Hinter und um sie herum stehen Frauen und halten Transparente und Tafeln in die Höhe: "Patriarchat tötet" steht auf einem, "Man(n) tötet nicht aus Liebe", "Ni Una Menos" (spanisch: Nicht eine weniger, nach der gleichnamigen feministischen Bewegung, die in Argentinien ihren Anfang nahm) oder auch "Nur Ja heißt Ja" steht da zu lesen.

Die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings Klaudia Frieben am Wort auf dem Minoritenplatz.
Die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings Klaudia Frieben auf dem Minoritenplatz am Wort.
Lea Sonderegger

"Jeder einzelnen der ermordeten Frauen gebührt unser Respekt", ruft Frieben. "Man tötet nicht aus Liebe, stoppt Femizide", skandieren die Frauen dann immer wieder.

Schreidemo gegen Femizide auf dem Minoritenplatz in Wien am 1.3.2024.
Wer keine Pfeifen und Töpfe dabeihatte, setzte allein auf die Stimme, um auf dem Minoritenplatz gegen Femizide anzuschreien.
Lea Sonderegger

Doch was kann die Regierung kurzfristig machen, um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass man um für immer verstummte Frauen trauern und statt ihnen schreien muss? Viktoria Spielmann, Wiener Landtagsabgeordnete der Grünen, setzt ihre Hoffnung auf die Gewaltambulanzen, in denen schon bald "eine bessere Beweissicherung" bei Gewalt an Frauen möglich sein soll, erzählt sie dem STANDARD am Rande der Demo. Daran arbeite die Bundesregierung gerade, und das erste Modell dafür soll in Wien "nun rasch umgesetzt werden". Außerdem soll es einen "nationalen Aktionsplan", eine bessere Vernetzung aller, die an Gewaltprävention arbeiten, geben. Institutionen, die mit den Opfern arbeiten, und solche, die mit Tätern arbeiten, sollen realisiert werden. "Viele Täter machen das immer wieder, wir müssen sie den Opfern zuliebe aus dieser Gewaltspirale herausholen", sagt Spielmann.

Selbstermächtigung

"International gibt es oft die Ansicht, in Europa ist die Situation nicht so schlimm, aber das stimmt leider nicht", sagt Sabine Peters, die ebenfalls zur Demo gekommene Präsidentin des Wiener Clubs von Zonta International, dem STANDARD. Der überparteiliche Frauenklub mit beratendem Status bei der Uno wurde schon vor rund 100 Jahren in den USA gegründet. Zonta unterstütze auch viele Frauen mit Migrationsgeschichte dabei, selbstständiger zu werden. "Viele Leute in Österreich wissen gar nicht, wie viele Frauen und junge Mädchen zwischen 13 und 18 sich ganz allein, zum Bespiel aus Afghanistan oder dem Sudan, auf die Flucht machen, um patriarchalen Systemen oder sogar Genitalverstümmelung zu entkommen", sagt Peters. "Wir konzentrieren uns darauf, dass sie durch Bildung und damit Selbstermächtigung gar nicht erst Opfer werden."

Video: "Stoppt Femizide" – Schreiaktion des Frauenrings vor dem Innenministerium
APA

"Wir müssen mit den Buben reden"

Edanur Arlı, Sprecherin für das Leitungsgremium der Wiener Partei Links, sieht auch die Präventionsarbeit bei den Männern als wesentlichen Teil: "Aber das muss schon in der Schule beginnen", sagt sie dem STANDARD bei der Kundgebung. Die Morde der letzten Woche seien "ein Sinnbild für ein jahrhundertealtes Problem". Arlı kritisiert den Umstand, dass in Österreich "alles auf eingewanderten Frauenhass geschoben wird, da muss man auch vor der eigenen Tür kehren".

Minoritenplatz, Schreidemo gegen Femizide.
"Nicht eine weniger", steht auf dem Schild, das Edanur Arlı (Links Wien) hält.
Lea Sonderegger

Nur die Budgets von Frauenhäusern aufzustocken werde nicht reichen, man brauche Prävention, doch mit der ÖVP in der Regierung sei "da kein Fortschritt möglich", glaubt Arlı. Denn für wirksame Prävention brauche es "Bildung, Sensibilisierung und Integrationsarbeit gleichermaßen", aber nicht nur bei Mädchen, betont Arlı: "Vor allem müssen wir mit den Buben reden, von einem frühen Alter an." (Colette M. Schmidt, 1.3.2024)