Erika Giovanna Klien
1930 gab Erika Giovanna Klien in der Ferienkolonie des Unternehmers Fred Howe auf Nantucket Island in Massachusetts Kunstkurse.
Klien Archiv Sammlung Pabst Wien

Die Vorbereitungen für eine der wenigen Kunstmessen, die sich um die Gunst des Publikums nie zu sorgen brauchten, laufen auf Hochtouren: Im niederländischen Maastricht, wo dieser Tage der Aufbau der Tefaf (The European Fine Art Fair, 9.–14. März) begonnen hat, deren Angebot Kunst, Antiquitäten und Design von der Antike bis zur Gegenwart umfasst.

Ein Paradies für Connaisseurs, bei dem auch drei Vertreter des österreichischen Kunsthandels eine Quintessenz ihres Programms der potenziellen internationalen Käuferschaft präsentieren: Wienerroither & Kohlbacher und Wolfgang Bauer (Bel Etage) aus Wien sowie die Galerie Thomas Salis aus Salzburg. Letztere hält ein Hauptwerk aus den frühen Schaffensjahren von Erika Giovanna Klien bereit: Stephansdom (1923), eines der raren Ölbilder, das Anlass gibt, einen Blick auf Werdung und Wirken dieser bemerkenswerten Künstlerin aus Österreich zu werfen.

Geboren wurde Erika Giovanna Klien am 12. April 1900 in Borgo di Valsugana bei Trient, wo ihr Vater Franz Klien als Beamter der k. k. Staatsbahnen stationiert war. Bedingt durch laufende Versetzungen des Vaters übersiedelte die junge Familie mehrmals, etwa ins steirische Liezen, nach Schwarzach im Pongau oder auch nach Salzburg-Stadt.

Von Hütteldorf zur Kunst

Ihre Mutter Anna, vor ihrer Eheschließung als Kindergärtnerin tätig, dürfte ihre beiden Töchter regelmäßig zum Zeichnen und Malen ermutigt und begleitet haben, wie zumindest der Bestand an Kinderzeichnungen und Skizzenheften Erikas belegen, die zwei Weltkriege und die Auswanderung in die USA überdauern sollten. Nachzulesen in einem 2022 von Kunsthändlerin 'Sylvia Kovacek publizierten Katalog' mit ausführlichen Textbeiträgen über die Künstlerin, der man eine Ausstellung widmete, in der schwerpunktmäßig Werke aus den 1920er-Jahren zu sehen waren.

Die für ihren späteren Lebensweg entscheidende Zäsur erfolgte 1919: Ihr Vater war zum Stationsvorstand des Großbahnhofs Hütteldorf-Hacking ernannt worden, die Familie übersiedelte nach Wien, und die 19-Jährige schrieb sich an der Wiener Kunstgewerbeschule ein. Dort besucht sie den Kurs "Ornamentale Formenlehre" von Franz Čižek, der ein von radikal neuen Methoden der Kunsterziehung dominiertes, offenes Ausbildungskonzept vertrat und die Basis für eine der dynamischsten und innovativsten künstlerischen Produktionsstätten Wiens schuf: die Wiege einer spezifischen Formenstrategie, die als Wiener Kinetismus Eingang in die Kunsttheorie fand.

Als wichtigster eigenständiger Beitrag Österreichs zur internationalen Avantgarde entstanden Werke, die durch die futuristische Einbeziehung der zeitlichen Abläufe mittels Rhythmus und Melodie über den momentanen Effekt hinauszielten. Über das gängige Maß hinaus wurden die jeweiligen Motive mit allen Sinnen empfunden und festgehalten: Licht und Finsternis als Empfindung des Auges oder Straßengeräusche, Donner und Musik als die der Ohren.

Erika Giovanna Kliens Ölbild
Erika Giovanna Kliens Ölbild "Stephansdom" (1923) gastiert auf der Messe in Maastricht.
Galerie Thomas Salis

Die von Čižek und seinen Studenten propagierte wie gelebte Kunst stieß allerdings nicht überall auf Gegenliebe. Vor allem Berthold Löffler oder Josef Hoffmann mokierten sich an der Kunstgewerbeschule über diese ihrer Meinung nach "unwienerische" Moderne. Schließlich erfolgte ein administrativer Eingriff: 1924 musste Čižek eine andere Klasse übernehmen, just in jener Zeit, als seine Schule mit einer Wanderausstellung durch die USA (bis 1926) tourte.

Nach erfolgreicher Absolvierung der Kunstgewerbeschule ergänzte Klien ihre Ausbildung ab 1925 um Kunstpädagogik. Daneben versucht sie sich als Amateurschauspielerin an Vorstadttheatern und bezieht ein Atelier in Purkersdorf. Ein Jahr später zieht sie nach Salzburg, wo sie an der soeben gegründeten Duncan-Schule (1925) als Dozentin unterrichtet und hierbei auch den Kinetismus einführt. Obwohl die Schule mit ihrer ganzheitlichen Ausrichtung ihren eigenen Vorstellungen sehr entgegenkommt, fühlt Klien sich in Wirklichkeit von ihren Freunden und den Ereignissen in Wien abgeschnitten; ganz abgesehen davon, dass ihr eigentlicher Wunsch die freie Kunst, und nicht die Lehre, blieb.

Neue Heimat New York

Im Herbst 1929 übersiedelt sie nach New York, wo sie an der New School for Social Research im März 1930 einen beachtlichen Ausstellungserfolg feiert und zu unterrichten beginnt: ein Ort, der für viele Exileuropäer zum Zentrum des intellektuellen Austauschs und der Avantgarde in Amerika wurde.

Fortan schlägt sie sich mit Lehraufträgen durch, etwa auch mit Malkursen am Stuyvesant Neighborhood House, wo sie Čižeks Ideen und experimentelle Ansätze weiterführt. Zeitgleich arbeitet sie laufend an ihren Bewegungsstudien und erweitert ihr Bildrepertoire um Subway-Motive oder auch Szenen aus der "neuen" Welt moderner Schwerarbeit, mit Straßen-, Bau-, Stahl- und Hafenarbeitern.

Bis zu ihrem Tod im Alter von nur 57 Jahren entwickelte sie den Kinetismus weiter, in Ölbildern, Collagen, Materialbildern und Grafiken von meditativer Monochromie. Ganz anders als in den "wilden" Wiener Jahren und dessen mit groben Farbtupfen in tiefem Kobaltblau, mit Rot, Braun und ein wenig Gelb kontrastiertem Repräsentanten: den Stephansdom, der nun in Maastricht um einen neuen Platz in einer Sammlung buhlt, in einer monetären Größenordnung von etwa 300.000 Euro.

Museale Präsenz

Im Gegensatz zu vielen ihrer Zeitgenossinnen wurde Klien ab den 1980er-Jahren in der Kunstszene immer wieder Aufmerksamkeit zuteil: etwa über den Galeristen Michael Pabst, der einen Teilnachlass in den USA erwarb und ihr ab Mitte der 1970er Präsentationen widmete, ebenso wie Michael Kovacek, der sich den in Österreich verbliebenem Teilnachlass sicherte.

Ihren Ruhm mehrten aber vor allem Ausstellungen in Museen: Der ersten großen Retrospektive im Mumok 1987 folgte 2001 eine Personale an der Universität für angewandte Kunst (Museion, Bozen; Rupertinum, Salzburg) sowie Schauen zum Wiener Kinetismus 2006 (Wien-Museum) und 2011 (Belvedere), als deren Hauptvertreterin sich Erika Giovanna Klien mit ihrem Œuvre in die Geschichte der Avantgarde zu schreiben verstanden hat. (Olga Kronsteiner, 2.3.2024)