"Was soll emanzipiert daran sein, sich von Männern auf den Busen starren zu lassen?", fragt sich Uschi Glas.
Dieter Mayr

Uschi Glas wurde am 2. März 1944 als Helga Ursula Glas im niederbayerischen Landau an der Isar geboren und arbeitete zunächst als Buchhalterin und Sekretärin, bevor ihr 1966 in Winnetou und das Halbblut Apanatschi an der Seite von Pierre Brice und Lex Barker der Durchbruch als Schauspielerin gelang. Zu noch größerer Bekanntheit gelangte sie 1968 – als Barbara in der Komödie Zur Sache, Schätzchen. Infolgedessen wurde Glas zum Publikumsliebling. Pünktlich zu ihrem 80er hat sie dieser Tage das Buch Ein Schätzchen war ich nie veröffentlicht, einen Rückblick auf ihr Leben und ihre Arbeit, sie fasst darin aber auch Gedanken zum Muttersein und Älterwerden.

STANDARD: Mit "Zur Sache, Schätzchen" hatten Sie vor mehr als 55 Jahren Ihren Durchbruch. Diesen Samstag werden Sie 80 Jahre alt, und für viele sind Sie immer noch das "Schätzchen" von 1968. Aber jetzt erscheint Ihr neues Buch "Ein Schätzchen war ich nie". Warum wollen Sie kein Schätzchen sein?

Glas: Unter einem "Schätzchen" verstehe ich eine anschmiegsame Frau, die schüchtern zum Mann emporschaut. So wollte ich nie sein, und so war ich auch nie. Ich habe immer versucht, mir selber treu zu bleiben, selbst wenn ich damit jemanden vor den Kopf gestoßen habe. Ich habe mich nicht selbst hintergangen, sondern darauf geachtet, mit mir im Reinen zu sein, um so auch mein eigenes Seelenpflänzchen zu schützen. Mein Buch ist ein Appell an die Leserinnen und Leser, vor allem an die Frauen, sich nicht unterbuttern zu lassen, zu sich selbst zu stehen und alles dafür zu tun, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir wollen keine Schätzchen sein!

STANDARD: Ein Beispiel dafür: Im Bundestagswahlkampf 1972 setzten Kolleginnen und Kollegen, Filmschaffende und Produzenten Sie unter Druck, sich der Kampagne "Willy wählen" anzuschließen. Aber Sie wollten keinen Wahlkampf für Willy Brandt machen. Warum?

Glas: Der ganze junge deutsche Film war damals von Willy Brandt begeistert. Viele der Filmschaffenden standen politisch links, und für die Israel-Kritik bis hin zum Antisemitismus von einigen aus der Szene hatte ich gar kein Verständnis. Mit meiner Haltung machte ich mir keine Freunde, denn plötzlich hieß es: "Wenn du nicht mitmachst, bist du beim jungen deutschen Film draußen, dann werden dich alle ignorieren, dann wirst du keine einzige Rolle mehr kriegen." Weil ich mich nicht habe zwingen lassen, ist diese Weissagung tatsächlich eingetreten. Dabei hätte ich sehr gern im jungen deutschen Film mitgespielt.

Uschi Glas und Familie
Uschi Glas, geborenen Helga Ursula Glas, wuchs mit ihren Eltern, zwei älteren Schwestern und einem älteren Bruder in einfachen Verhältnissen auf.

STANDARD: Was hat dieser Trotz mit Ihrer Kindheit zu tun?

Glas: Rückblickend muss ich sagen, dass mein Vater ein sehr lieber Mann war, aber als Kind habe ich ihn vor allem als sehr streng wahrgenommen. Ich wäre gerne aufs Gymnasium gegangen, aber mein Vater war der Meinung: "Du bist hübsch, du heiratest eh mit 24 und kriegst zwei Kinder, dann ist die Sache geritzt. Dafür brauchst du nicht an die höhere Schule gehen." Darum habe ich nur die mittlere Reife. Mein Vater hatte stets das letzte Wort. Aber ich habe schon als Kind begriffen: Mein Vater kann mir vielleicht verbieten, noch etwas zu sagen, aber er kann mir nicht verbieten, zu denken, was ich will.

STANDARD: In Ihrem Geburtsort Landau an der Isar waren Sie und Ihre Familie krasse Außenseiter. Hat auch das Ihren Trotz genährt?

Glas: Wahrscheinlich. Mein Vater war im erzkonservativen katholischen Niederbayern sozialdemokratischer Protestant aus Franken. Mehr Außenseiter geht kaum. Meine Mutter kam aus Schwaben und war ursprünglich katholisch, ist aber zum evangelischen Glauben konvertiert, um meinen Vater heiraten zu können. Das war damals eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wir wurden "Ketzer" genannt. Und weil ich einen etwas dunkleren Teint und dunkle Locken hatte, wurde ich zudem "Negerlein" genannt.

STANDARD: Hinter diesem rassistischen Spitznamen steckte ein böses Gerücht.

Glas: Ja, es gab das Gerücht, dass mein Vater ein schwarzer amerikanischer Soldat sei. Aber das war schon rein rechnerisch unmöglich, weil ich geboren wurde, bevor amerikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg deutschen Boden betreten haben. Aber all die Ausgrenzungen und Anfeindungen haben mich nicht gebrochen, sondern meinen Widerspruchsgeist erst so richtig geweckt. Ich habe mich nie kleinmachen lassen und früh gelernt, mir selbst die beste Freundin zu sein.

Uschi Glas
Während ihrer Karriere habe Glas "immer darauf geachtet, mit mir selbst im Reinen zu sein", sagt sie heute.
Alfred Füeßl

STANDARD: In "Zur Sache, Schätzchen" sollten Sie in der berühmtesten Szene laut Drehbuch eigentlich nackt sein. Aber Sie wollten das nicht und haben sich auf eigene Kosten für die Szene eine Korsage anfertigen lassen. Auch später haben Sie nie eine Nacktszene gespielt. Warum?

Glas: Als Schauspielerin musst du immer deine Seele nach außen kehren, du musst die Gefühle der Rollen nicht nur spielen, sondern sie auch leben. Deshalb habe ich nie eingesehen, mich quasi doppelt nackt zu machen und mir auch noch die Klamotten vom Leib zu reißen. Aber im jungen deutschen Film war das damals Mode. Spätestens auf der 15. Seite des Drehbuchs hieß es immer: "Die Hauptdarstellerin lässt die Hüllen fallen." Meistens ohne jeden Grund, ohne dass die Szene es hergab! Meine Agentin sagte: "Uschi, jetzt stellen Sie sich doch nicht so an. Sie sind doch so gut gebaut. Sie können sich das doch leisten. Alle machen das!" Meine Antwort war stets: "Es kann schon sein, dass ich es mir leisten kann, aber ich möchte es nicht. Und wenn alle da mitmachen, mache ich erst recht nicht mit."

STANDARD: Was finden Sie so schlimm an Nacktszenen?

Glas: Sie machen den Film meistens nicht besser. Aber besonders unverständlich finde ich es, eine Nacktszene als einen Akt der Emanzipation zu verkaufen. Was soll emanzipiert daran sein, sich von Männern auf den Busen starren zu lassen? Meine männlichen Kollegen mussten sich doch auch nicht sinnlos nackert machen.

STANDARD: Sind Sie gläubig?

Glas: Ja. Ich glaube jedoch nicht daran, dass es einen evangelischen, katholischen, muslimischen oder jüdischen Gott gibt. Aber ich glaube zu 100 Prozent an die Existenz eines höheren Wesens. Ich bete jeden Abend und lasse den Tag so Revue passieren. Da mögen Leute drüber lachen, aber das ist mein Zwiegespräch, meine Tagesbilanz. Ich will nicht einfach sagen "Ist doch alles in Ordnung" und über das hinweggehen, was nicht in Ordnung ist. Die Welt ist so aus den Fugen geraten, dass jeder sich auch um andere kümmern muss, statt ständig nur an sich zu denken. Ich glaube, dass wir alle eine Verantwortung für das Funktionieren der Gesellschaft tragen und jeder sich fragen sollte: "Wo kann ich mich engagieren? Wo muss ich aufstehen und sagen: So geht das nicht!"

STANDARD: Millionen Menschen haben in den letzten Wochen in Deutschland genau das getan, sich an Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus beteiligt.

Glas: Ich habe die Straßen in München noch nie in meinem Leben so voll gesehen wie bei der großen Demonstration gegen rechts, die Ende Januar wegen des zu starken Andrangs aufgelöst werden musste. Es hat mich sehr gefreut, dass so viele Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit aufgestanden sind. Mein Mann und ich nehmen zudem seit Wochen an der "Run for their Lifes"-Solidaritätsveranstaltung teil, die auf das Schicksal der von der Hamas verschleppten Geiseln aufmerksam macht und sich für ihre Befreiung einsetzt.

Uschi Glas
"Mir ist das wirklich ein zutiefst wichtiges Anliegen: Wir alle müssen Haltung zeigen, wir brauchen Menschen, die widersprechen. Seid mutig! "

STANDARD: Machen Ihnen die starken Umfragewerte der AfD Sorge?

Glas: Ja, natürlich, aber dass jetzt Millionen für die Demokratie auf die Straße gehen, beruhigt mich auch. Ich habe nach dem bekannt gewordenen Geheimtreffen der Rechten in Potsdam das erste Mal das unsägliche Wort "Remigration" gelesen, letztendlich ein beschönigender Ausdruck für Deportation. Das ist doch ungeheuerlich! Wo leben wir denn? Wenn ich mir überlege, wie viele Menschen sich jetzt fürchten, wie viele Menschen sich in Deutschland nicht mehr wohlfühlen und wie viel Menschen darüber nachdenken, dieses Land zu verlassen – darunter meine jüdischen Freunde, die sich nicht mehr trauen, ihren David-Stern zu tragen –, dann macht mich das sehr traurig. Mir ist das wirklich ein zutiefst wichtiges Anliegen, weshalb ich in meinem Buch auch deutlich sage: Wir alle müssen Haltung zeigen, wir brauchen Menschen, die widersprechen. Ich versuche aufzuzeigen, dass wir es gemeinsam schaffen können, wenn wir eben nicht den Kopf in den Sand stecken. Ich schreibe von Situationen in meinem Leben, in denen ich ausgebuht wurde, weil ich nicht konform war, in denen ich beschimpft und bedroht wurde, aber es hat sich gelohnt, das will ich den Menschen sagen: Seid mutig!

STANDARD: Bereuen Sie etwas?

Glas: Ich habe sicherlich nicht immer alles richtig gemacht, und natürlich gab es in meinem Leben auch Tiefschläge. Aber dann hat es eben so sein müssen, dann habe ich nicht gehadert, es anzunehmen. Etwas ewig zu bereuen bringt nichts, denn ändern kann man es ohnehin nicht mehr. Ich bin kein Mensch, der rückwärts guckt.

STANDARD: Haben Sie Angst vor dem Tod?

Glas: Nein, aber ich hoffe trotzdem, dass ich noch möglichst lange lebe.

STANDARD: Haben Sie eine Vorstellung von dem, was danach kommen könnte?

Glas: Es ist ja noch keiner zurückgekommen, aber mir gefällt die Vorstellung vom Kreislauf, dass es nicht einfach so zu Ende geht, dass man – obwohl man weg ist – trotzdem noch irgendwie mit den Kindern und den Enkeln weiterlebt. Zumindest in ihren Gedanken. Darum glaube ich nicht, dass man total verlorengeht. Und wer weiß: Vielleicht werde ich ja als Ameise oder Buche wiedergeboren. Nur nicht als Schätzchen, so viel steht fest. (Philipp Hedemann, 2.3.2024)