David Bordwell vermittelte gerne. Hier ein Screenshot aus einem
David Bordwell
David Bordwell vermittelte gerne. Hier ein Screenshot aus einem "Observations on Film Art"-Video des Criterion Channels.
Screenshot by Matt Zoller Seitz/indiewire

Er galt als einer der großen Filmhistoriker der USA. Und er schaffte es, der ideologiekritischen und poststrukturalistischen Filmwissenschaft der 1970er-Jahre eins auszuwischen, indem er sich voll und ganz auf die Filmform stürzte, also auf die Art und Weise, wie ein Film gebaut ist: Kamera, Licht, Action.

Gemeinsam mit seinen Kolleginnen Kristin Thompson und Janet Staiger von der University of Wisconsin-Madison begründete er so die neoformalistische Schule, die seither aus Filmwissenschaftsgrundkursen nicht wegzudenken ist. Wenn sich jemand fürs Kino interessiert, hatte er oder sie bestimmt einmal ein Bordwell-Buch in der Hand, am ehesten das Filmanalyse-Standardwerk "Film Art: An Introduction" von 1979.

Kristin Thompson und David Bordwell
Kristin Thompson und David Bordwell: Die beiden Filmwissenschaftler lernten sich während des Studiums kennen und verfassten viele Werke gemeinsan.
https://twitter.com/NYAFF/status/1763719413792907439/photo/1

Vom Farmersbub zum Theorierebellen

Das Lesen lag dem Farmerssohn am Herzen, das Kino erst einmal nicht. Aus Mangel an Kinos in seiner ländlichen Gegend erschloss er sich die siebente Kunst über die Lektüre früher Filmgeschichtsbücher, über Filmkritiken sowie über alte Hollywood-Filme, die das Fernsehen Ende der 1950er Jahre ausstrahlte. Erst durch den Führerschein mit 16 entdeckte er in den Kinos der umliegenden Städte eine andere Filmwelt, vor allem die europäische.

Da es Mitte der 1960er Jahre noch keine Film Studies an den Universitäten gab, studierte er erst Literatur, um Highschool-Lehrer zu werden. Im Filmclub seines Colleges in Albany, NY verfolgte Bordwell nur nebenher seine Filmpassion, die später durch einen Wechsel an die Universität von Iowa zu seinem Brotjob wurde. Doch das akademisch-verkopfte war nicht seines, seine Bücher über berühmte Autorenfilmer oder Filmkulturen zeichnen sich denn auch durch verständliche Sprache, nachvollziehbare Herleitungen und einen Fokus auf die Filmform aus. Diese Herangehensweise mündete bald in den Neoformalismus.

1985 war dann das Jahr des Neoformalismus. Bordwells Bücher "Narration and the Fiction Film", das er gemeinsam mit seiner Frau Kristin Thompson geschrieben hatte, und der Filmgeschichtsklassiker "The Classical Hollywood Cinema: Film Style and Mode of Production to 1960" (gem. mit Thompson und Janet Staiger) schlugen in die erzählfeindliche Filmwissenschaft ein wie eine Bombe - und veränderte sie nachhaltig.

Polemik gegen "Grand Theories"

Den Theoriefeind gab er 1996 auch polemisch. Das gemeinsam mit Noël Carroll herausgegebene Buch "Post-Theory: Reconstructing Film Studies" war ein Plädoyer gegen den Poststrukturalismus französischer Schule, für die beide den Schmähnamen "S.L.A.B-Theory" (nach Saussure, Lacan, Althusser, Barthes) erfanden. Bordwells Mittel der Wahl gegen verschwurbelte, auf Filme aufgesetzte Theoriekonstrukte war eine genaue Formanalyse, die Kenntnis der Filmgeschichte und - das war neu - Kognitionstheorie.

Auch dem populären Kino war er nicht abgeneigt. Das konnte man noch seiner letzten Publikation "Perplexing Plots: Popular Storytelling and the Poetics of Murder" zu Erzählstrukturen im Kriminalfilmen ablesen. Seinem Lieblingsfilm "Jagd auf Roter Oktober" widmete er zahlreiche Essays - zu finden auf seiner Website, die eine wahre Fundgrube für Filminteressierte ist.

Am 29. Februar ist David Bordwell nach langer Krankheit 76-jährig in seiner Wahlheimat Madison, Wisconsin gestorben. (Valerie Dirk, 2.3.2024)