Raye und ihre Oma bei den Brit Awards. Die Londonerin räumte am Samstag mehr Preise ab, als jeder vor ihr.
Raye und ihre Oma bei den Brit Awards. Die Londonerin räumte am Samstag mehr Preise ab, als jeder vor ihr.
REUTERS/Isabel Infantes

Blöderweise sind Musikpreise wie die Grammys oder die Brit Awards keine Belege für die Qualität der damit ausgezeichneten Musik. Es sind Preise, in die die Musikindustrie ihre Finger bis über die Ellbogen drinnen hat. Denn die Laufkundschaft stolpert natürlich über das Marktgeschrei, das derlei Preise mit sich bringt. Und darauf hofft die Industrie, aus Preisen lassen sich Stars machen.

Wie daneben die Brit Awards damit lagen, illustriert eine Initiative des britischen Musikmagazins NME, das 1994 die "Brat Awards" ausgerufen hat, um damit gegen die vollkommene Ignoranz der Brit Awards hinsichtlich des damaligen Brit-Pop-Booms zu protestieren.

Seit Samstag hat die Insel einen neuen Star. Die im Oktober 1997 in London geborene Sängerin Rachel Agatha Keen alias Raye hat bei den 44. Brit Awards einen Rekord aufgestellt. Sie gewann Preise in gleich sechs Kategorien und überholte so Rekordhalter wie Blur, Adele oder Harry Styles. Sie erhielt Trophäen für das Beste Album (My 21st Century Blues), den Besten Song (Escapism), als Beste Künstlerin, als Beste Neue Künstlerin und als Beste R’n’B-Künstlerin überreicht. Da kullerten Tränen der Rührung, die Oma wurde auf die Bühne geholt, im Saal wurden viele Augen feucht.

RAYE, 070 Shake - Escapism. (Official Music Video)
RayeVEVO

My 21st Century Blues ist das Debüt der 26-Jährigen und streunt stilistisch zwischen Pop, Soul und diversen R&B-Charakteristika vom Reißbrett. Das lässt sich über viele ihre Mitbewerber sagen, entsprechend austauschbar klingt ihre Musik. Raye thematisiert Ängste, ihre Probleme mit ihrem Körper und sexuelle Übergriffe. Zu ihren Vorbildern zählen Lady Gaga, Lauryn Hill oder Bands wie Tame Impala. Erstmals aufgefallen war sie 2019 mit einer Kollaboration mit David Guetta. Schon im Vorfeld der Verleihung war sie zur Songwriterin des Jahres gekürt worden – als erste Frau in der Geschichte der Brit Awards. Insgesamt wurde sie mit sieben Nominierungen bedacht, mehr als jede andere Solokünstlerin vor ihr.

Man kann sagen, Raye wurde von der Musikindustrie am Wochenende in Stellung gebracht. Sie darf sich bestätigt fühlen, sie hat als Songwriterin für andere gearbeitet, bevor ihre eigene Karriere begonnen hat. Damals schrieb sie für Acts wie Beyoncé oder John Legend. Mittlerweile ist sie dem Dienstleistungsgewerbe entwachsen und macht das nur noch für sich selbst. (Karl Fluch, 3.3.2024)