Die Taurus hat eine Reichweite von über 500 Kilometern und verfügt über Stealth-Eigenschaften.
AP

Marschflugkörper sind im Ukrainekrieg wahrlich keine Seltenheit. Russland setzt seit dem Beginn des Überfalls auf das Nachbarland Marschflugkörper vom Typ Kalibr ein, dazu kommen noch Varianten der KH-Familie, die sogar über Tarnkappeneigenschaften verfügen sollen. Die Ukraine setzt im Gegenzug britische und französische Cruise Missiles ein, die so modifiziert wurden, dass sie von alten Su-24-Bombern aus gestartet werden können. Warum also pocht die Ukraine so auf die deutsche Taurus, wo doch ähnliche Waffensysteme bereits geliefert werden? Und warum wird die Taurus gerne als zu mächtig für die Ukraine dargestellt?

Gar nicht so unterschiedlich

Bei der deutsch-schwedischen Taurus KEPD 350 handelt es sich tatsächlich um das Gegenstück zur britischen Storm Shadow und deren französischer Variante, der Scalp. Tatsächlich gehen alle drei Waffensysteme auf den gleichen Ursprungsgedanken zurück, und die drei Länder hätten eigentlich gemeinsam an einer neuen Generation derartiger Waffen arbeiten sollen. Aber wie bei solchen Projekten nicht unüblich, scheiterte das Vorhaben an unterschiedlichen Zielvorgaben der jeweiligen Länder. So entschloss man sich in Deutschland, gemeinsam mit Schweden die Taurus selbst zu entwickeln.

Video: Söder: Taurus "muss zum Einsatz kommen."
AFP

Seit 2005 ist der Marschflugkörper bei der Bundeswehr im Dienst. Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zu Storm Shadow und Scalp nicht besonders groß. Tatsächlich sind sich die beiden Flugkörper auch optisch extrem ähnlich, es handelt sich nämlich um wenig mehr als einen fünf Meter langen Aluminiumquader. Abmessungen und Gewicht stimmen zwischen Taurus und Storm Shadow nahezu perfekt überein, wobei das deutsche Modell etwas schwerer und um einige Millimeter größer ist als die britische Variante. Die Unterschiede muss man rein äußerlich also wirklich mit der sprichwörtlichen Lupe suchen.

Die Taurus unterscheidet sich optisch nicht wesentlich von ihren Cousins aus Großbritannien und Frankreich.
APA/AFP/THOMAS COEX

Was unterscheidet sie nun von der britischen und französischen Konkurrenz, und warum herrscht solche Aufregung? Die Taurus gilt gemeinhin als deutlich leistungsfähiger als Storm Shadow. Das liegt zum einen an der größeren Reichweite. Während die britische Storm Shadow eine Distanz von etwa 250 Kilometern zurücklegen kann, wird die Reichweite der Taurus mit mehr als 500 Kilometern angegeben. Das würde Angriffe auf Ziele tiefer in russischem Territorium möglich machen. Für die Ukraine würde die Taurus noch einen Vorteil bringen: Da das System aus der Luft gestartet wird, müssten die Jets, in Form von Su-24, nicht so nahe an die russische Fliegerabwehr heran und könnten ihre Marschflugkörper von relativer Sicherheit aus starten.

Ansonsten verfolgt die Taurus das klassische Konzept von Marschflugkörpern: Sie werden aus der Distanz gestartet, fliegen in relativ geringer Höhe von 100 bis 150 Metern, um möglichst nicht vom feindlichen Radar erfasst zu werden. Im Zielbereich angekommen, schlägt die Waffe möglichst genau in einem vorher definierten Ziel ein. So zumindest die Urvariante. Denn die Taurus kann deutlich mehr als nur das und verfügt im Inneren über ausgeklügelte Technik.

Der Penetrator und der Pimpf

Die Taurus ist modular aufgebaut, das heißt, sie kann unterschiedliche Nutzlasten tragen. Bei der KEPD-350 handelt es sich um den Mephisto (Multi-Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized) genannten Sprengkopf. Dabei handelt es sich um einen Tandem-Gefechtskopf, der aus einer Hohlladung um einen Penetrator besteht. Ausgelöst wird diese Kombination von einem intelligenten Zünder: Zwei Laserentfernungsmesser messen die Distanz zum Ziel und lösen die Hohlladung zuerst aus. Diese ist etwa 95 Kilo schwer und hat einen Durchmesser von 36 Zentimetern. Der Stachel aus geformtem Metall soll das Ziel durchschlagen, sodass anschließend der Penetrator tiefer eindringen kann. Dabei handelt es sich um eine Wuchtladung, die 2,3 Meter lang und 400 Kilo schwer ist und für die eigentliche Schadenswirkung verantwortlich ist. Oder um es bildhaft auszudrücken: Der Penetrator ist wie ein riesiger Nagel, der Panzerung durchdringen kann.

Am Heck des Penetrators sitzt der kreativ benannte Zünder namens Pimpf (Programmable Intelligent Multi-Purpose Fuze). Dieser erkennt, wie viele unterschiedlich dichte Materialien das Geschoß bereits durchschlagen hat. Vereinfacht gesagt "zählt" er etwa die Stockwerke eines Bunkers mit. Durch die Vorprogrammierung ist es möglich, den Penetrator im gewünschten Stockwerk explodieren zu lassen. Damit können auch mehrstöckige unterirdische Bunkeranlagen mit Taurus effektiv bekämpft werden.

Jede Menge Navigation

Bevor es so weit ist, muss der deutsche Marschflugkörper aber erst einmal sein Ziel finden. Dafür ist im vorderen Bereich der Taurus ein Navigationssystem untergebracht, das den autonomen Tiefflug durch feindliches Gebiet ermöglicht. Wie genau dieses arbeitet, ist geheim, aber laut Angaben der Bundeswehr verfügt die Taurus über vier verschiedene Navigationssysteme. Darunter GPS, Trägheitsnavigation, eine bildbasierte Navigation sowie Geländereferenznavigation. Bei Letzterer wird der Erdboden unter dem Flugkörper mit einem eigenen Radar abgetastet und mit zuvor abgespeicherten Daten verglichen. Dafür ist es allerdings nötig, dass die Daten möglichst genau sind. Das wiederum ermöglicht es der Taurus aber auch, ihr Ziel zu finden, wenn etwa Satellitennavigation wie GPS nicht zur Verfügung steht – was in der Ukraine relativ häufig der Fall ist, da die russischen Streitkräfte die Signale stören.

Fünf Angriffsarten

Wenn die Taurus im Zielgebiet ankommt, erfasst der Infrarotsuchkopf das Ziel. Wenn mehrere Ziele entdeckt und angegriffen werden sollen, vermisst der Sucher ihre Position im Raum, und der Waffenrechner ermittelt dazu den optimalen Zeitpunkt zum Auslösen der Nutzlast. Je nach Ziel reagiert die Taurus nun unterschiedlich. Gegen Bunker steigt die Waffe auf und stürzt sich im senkrechten Sturzflug auf das Dach. Diese Art des Angriffs wie "Pop-up" genannt.

Beim "Low Level Pop-up" steigt die Taurus nicht ganz so hoch und fliegt im schrägen Sturzflug ins Ziel, was gegen Brücken oder gehärtete Hangars reicht. Bei der "Dive Attack" wird das Ziel in großer Höhe angeflogen und geht in den schrägen Sturzflug über. Die Durchschlagskraft ist etwas höher als beim "Low Level Pop-up", aber die Taurus wird bei dieser Form des Angriffs deutlich verwundbarer, weil sie von der feindlichen Flugabwehr besser zu erfassen ist.

Beim Air Burst detoniert der Gefechtskopf der Taurus über dem Ziel. Damit werden weiche Ziele wie Truppenansammlungen bekämpft. Außerdem beherrscht die Taurus den "Cave Type": Dabei wird ein Ziel in geringer Höhe möglichst flach über dem Boden angeflogen. Diese Form des Angriffs eignet sich etwa für Attacken auf Tunnel.

Die Taurus hat aber noch einen großen Vorteil gegenüber der ähnlich gebauten Konkurrenz: Der Marschflugkörper verfügt über ein Triebwerk P8300-15 von Williams International, das ihm eine Geschwindigkeit von etwa Mach 0,95 verleiht. Der Körper selbst ist mit radarabsorbierendem Material beschichtet. Dadurch und durch die Tatsache, dass die Taurus keinen rechten Winkel hat, verfügt sie über Stealth-Eigenschaften.

Darüber hinaus gibt es noch andere geplante Varianten. So gibt es die leichte Version mit reduziertem Gewicht oder einem Träger für Submunition. Eine davon ist speziell dafür entwickelt, Landebahnen des Gegners zu zerstören. 16 Sub-Gefechtsköpfe werden ausgestoßen, beschleunigen per Raketenantrieb und durchschlagen Start- oder Landebahn, bevor sie anschließend darunter detonieren.

Wichtig, aber kein "Gamechanger"

Bleibt die Frage offen, ob die Taurus der "Gamechanger" ist, den die Ukraine jetzt braucht. Nein, aber es gehe darum, dass die Ukraine die Fähigkeit behält, die Russen unter Druck zu setzen, sagt der österreichische Militärexperte Gustav Gressel gegenüber dem ZDF. Eine Eskalation durch den Einsatz der Taurus sieht er nicht, da ähnliche Waffen ja bereits eingesetzt werden. (Peter Zellinger, 6.3.2024)