Gemütlich darf man sich die Feldforschung von Andreas Richter nicht vorstellen. Der Ökosystemforscher von der Universität Wien untersucht, wie sich die Erderwärmung auf Mikroorganismen im Boden auswirkt. Besonderes Interesse gilt dabei der Arktis, wo die größten Permafrostflächen der Erde liegen. "Um an Daten zu kommen, muss man Löcher bohren oder graben, das ist eine schwere und nicht sehr schöne Arbeit, bei der man bis zur Hüfte im Gatsch steht", sagt Richter.

Infrastruktur in der Arktis ist spärlich, meist kommen Forschende nur mit Flugzeugen, Helikoptern oder Booten voran. Übernachtet wird in Zeltlagern, die es vor wilden Tieren zu schützen gilt. Doch die Strapazen lohnen sich, für die Klimaforschung sind die Daten unverzichtbar: Denn in den gefrorenen Böden, die noch rund ein Fünftel der Landmassen auf der Nordhalbkugel ausmachen, sind gigantische Mengen an Kohlenstoff gespeichert. Taut der Permafrost auf, verwandelt er sich in eine gefährliche Treibhausgasquelle.

Permafrost Arktis
Die Arktis erwärmt sich viermal schneller als der Rest der Welt.
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Kritischer Kohlenstoff

Noch tragen die Permafrostböden kaum zum Klimawandel bei, ihr Treibhausgaspotenzial ist aber erschreckend groß. Forschende schätzen, dass zwischen 1300 und 1600 Gigatonnen Kohlenstoff in den Böden lagern. Zum Vergleich: Das ist etwa doppelt so viel Kohlenstoff, wie sich in Form von CO2 derzeit in der Erdatmosphäre befindet.

Tiefgekühlt ist dieses organische Material, das über die Jahrtausende in die Böden gelangt ist, unproblematisch. Die Arktis ist jedoch besonders stark vom Klimawandel betroffen, sie erwärmt sich viermal schneller als der Rest der Welt. Erwärmen sich die Böden, werden Mikroorganismen aktiv und beginnen mit dem Abbau des Kohlenstoffs. Sie wandeln einen Teil davon in ihre eigene Biomasse um, weitaus größere Mengen entweichen aber in die Atmosphäre – in Form der Treibhausgase CO2 und Methan.

Arktis Permafrost
Die Permafrostböden beherbergen enorme Mengen an organischem Kohlenstoff. Ihr Treibhausgaspotenzial ist riesig.
BERNHARD EDMAIER / Science Photo

"Die Vorhersage, ob das mehr CO2 oder mehr Methan sein wird, hängt stark damit zusammen, wie feucht die Böden nach dem Auftauen sind", sagt Richter. Bei nassen Böden sei mehr Methan zu erwarten, bei schneller Austrocknung hingegen mehr CO2. Da im Permafrost auch viel Eis liegt, ist beim Auftauen zunächst mit sehr feuchten Bedingungen zu rechnen – also mit zunehmenden Methanemissionen.

Arktische Methankurbel

Das sei keine gute Nachricht, sagt Richter. "Methan ist zwar insgesamt ein weniger lange wirkendes Treibhausgas als CO2, aber es ist wesentlich stärker. Wenn auch nur kleine zusätzliche Mengen in die Atmosphäre kommen, kann das rasch zu einem Anheizen der weiteren Erwärmung führen."

Forschende warnen seit langem davor, dass der tauende Permafrost einen Kipppunkt überschreiten und eine Entwicklung in Gang setzen könnte, die sich verselbstständigt und nicht mehr umkehrbar ist. Genaue Prognosen zur Entwicklung dieser unterirdischen Klimagefahr sind aber schwierig. Denn viele Prozesse, die im wärmer werdenden Permafrost ablaufen, sind nicht vollständig geklärt, sagt Richter.

Fest steht: Steigende Temperaturen sorgen für mehr Aktivität im Boden. Wie genau aber die mikrobielle Gemeinschaft auf klimatische Veränderung reagiert, spielt für die Klimagefahr im Permafrost eine entscheidende Rolle. Kürzlich veröffentlichten Richter und sein Team im Fachblatt "Science Advances" eine überraschende Erkenntnis. Sie konnten anhand von Bodenproben aus Island zeigen, dass wärmere Böden nicht wie gedacht für ein rascheres Wachstum einzelner Bakterienpopulationen sorgen, sondern für eine steigende Bakterienvielfalt: Der Temperaturanstieg fördert das Erwachen zuvor inaktiver Mikroben.

Für die Vorhersage künftiger Entwicklungen des Kohlenstoffkreislaufs ist das eine wichtige Information. Es bleiben aber viele Fragen. "Wir verstehen zwar sehr gut, was passiert, wenn Böden kontinuierlich langsam erwärmt werden. Was wir weniger gut verstehen, sind abrupte Veränderungen, die oft damit zu tun haben, dass im Permafrost größere Eismengen gespeichert sind. Wenn die beginnen zu tauen, kann das sehr rasch gehen und dann kommt es auch zu großen Veränderungen in der Landschaft."

Permafrost
Je nasser die erwärmten Böden sind, desto mehr Methan wird freigesetzt.
Josefine Lenz

Die Umbrüche in der Arktis bergen aber nicht nur aus klimatologischer Sicht Gefahren. Mit dem Permafrost könnte auch anderes Tiefkühlgut auftauen, das Risiken für Mensch und Umwelt mit sich bringt. Jahrtausendalte Viren und Bakterien, die aus dem Untergrund entweichen könnten, sind vor allem ein Thema der Science-Fiction. Tatsächlich beschäftigen sich aber auch Virologinnen und Mikrobiologen mit der Frage, was in den tauenden Böden schlummert.

In den vergangenen Jahren gab es einige aufsehenerregende Meldungen: Forschende haben etwa 50.000 Jahre alte Viren aus dem sibirischen Permafrost aktiviert und auch jahrtausendealte Lebewesen wie Rädertierchen und Fadenwürmer auferweckt. Wie groß ist die Gefahr, dass durch die Erderwärmung gefährliche Krankheitserreger aus dem Permafrost zum Vorschein kommen könnten?

Unterirdische Erreger

"Viren sind nicht besonders stabil. Wenn sie eingefroren und wechselnden Temperaturen ausgesetzt sind, kann das virale Membranen recht schnell zerstören", sagt Florian Krammer. Der österreichische Virologe, der an der Icahn School of Medicine in New York forscht und künftig auch eine Teilzeitprofessur an der Medizinischen Universität Wien übernehmen wird, hält die Virusgefahr aus den Böden des Nordens für beachtenswert, aber überschaubar. "Es gibt etwa Thesen, dass Leute, die an Pocken gestorben sind und in Permafrostböden beerdigt wurden, durchaus noch infektiöses Virus haben könnten. Wenn das dann auftaucht, könnte es zu Infektionen kommen. Ich denke, das Risiko dafür ist grundsätzlich aber gering", sagt Krammer.

Kritischer könnten Bakterien sein, die aus den Böden auftauchen. Aufgetaute Tierkadaver, die mit dem Erreger Bacillus anthracis infiziert waren, sorgten etwa vor einigen Jahren in Sibirien für einen lokalen Milzbrand-Ausbruch. Dutzende Menschen erkrankten, ein Kind starb. "Das Bakterium ist sporenbildend, die Sporen sind sehr haltbar", sagt Krammer. "Da kann es schon zu Problemen kommen, wenn kontaminierte Kadaver selbst nach langer Zeit zum Vorschein kommen."

Wappnen für Pandemien

Auch Schadstoffe in den Böden bergen für die lokale Bevölkerung und die Tierwelt Risiken. In der Arktis gibt es eine Vielzahl an stillgelegten fossilen Industrieanlagen, aber auch militärische Einrichtungen. Viele Areale dürften im Lauf der Zeit durch unsachgemäße Abfallentsorgung belastet sein, fürchten Forschende. Daten dazu sind rar, ein deutsches Team schätzte kürzlich aber, dass es rund um eta 4.500 Industrieansiedlungen in der Arktis bis zu 20.000 kontaminierte Flächen geben könnte.

"Die nächste Pandemie wird aber wahrscheinlich nicht aus dem Boden kommen, sondern entweder von einem Vogel mit Influenza oder, wenn wir Pech haben, von Fledermäusen mit Nipah- oder Coronaviren", sagt Krammer. Für den Virologen stellt sich nicht die Frage, ob es wieder zu einer Pandemie kommen wird, sondern lediglich wann. "Das kann nächstes Jahr sein, das kann in 20 Jahren sein, aber ich glaube, man muss sich darauf vorbereiten." (David Rennert, 6.3.2024)