Terroristen, Staaten und Analysefirmen liefern sich ein Wettrennen auf der Blockchain.
Terroristen, Staaten und Analysefirmen liefern sich ein Wettrennen auf der Blockchain.
IMAGO/Pond5 Images

Es war ein unscheinbares vierseitiges Dokument, das der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant am 21. Mai 2023 unterzeichnete. Und doch barg es gehörig Sprengstoff: Das israelische Büro für Terrorismusbekämpfung hatte Vermögen im Wert von 1,7 Millionen US-Dollar beschlagnahmt, das zur Finanzierung der libanesischen Hisbollah und der iranischen Quds-Brigade dienen sollte. Das Besondere: Es handelte sich dabei nicht um "echte" Dollar, sondern um Werte in der Kryptowährung Tether, die auf der Wallet des syrischen Terrorfinanziers Tawfiq Muhammad Said Al-Law gelegen hatten. Maßgeblich an der Aufdeckung der illegalen Geldflüsse beteiligt: das Blockchain-Analyseunternehmen Chainalysis, das mit Börsen, Geldinstituten, Versicherungen, Cybersecurity-Unternehmen und Regierungen, wie eben der Israels, zusammenarbeitet.

Der Fang sorgte für Euphorie, da er einen der bisher wenigen Fälle darstellte, in denen es gelang, ein komplexes Netzwerk der Terrorfinanzierung mittels Kryptowährungen freizulegen, das über einfache Transaktionen im Rahmen von Spendenaufrufen hinausgeht. Diese sind für Terrororganisationen in den letzten Jahren immer riskanter geworden. Zuletzt nahm etwa im Februar 2024 die spanische Polizei einen Mann fest, der Tether-Spenden im Wert von 200.000 US-Dollar an Terrorfinanziers des IS verteilt hatte. An der Ausforschung beteiligt war die Blockchain-Analysefirma TRM Labs.

Rückzug vom Bitcoin-Spendenmarkt

Nicht zuletzt wegen dieser zunehmenden Unsicherheit haben die Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der palästinensischen Hamas, bereits im April 2023 angekündigt, keine Spenden in Form von Bitcoin mehr anzunehmen. In den Jahren zuvor waren immer wieder Wallets von staatlichen Behörden beschlagnahmt worden. Andere der Hamas nahestehende Gruppierungen wie Gazanow haben zwar nach Angaben von TRM Labs noch in den Tagen nach den Angriffen auf Israel am 7. Oktober 2023 versucht, über Spendenkampagnen Geld zu lukrieren – der Erfolg sei aber überschaubar geblieben. Von wenigen Tausend Dollar war die Rede.

Dieses gesteigerte Risiko stellt Terrororganisationen vor die Herausforderungen, komplexere Strategien zu etablieren. Und auch wenn diese wie im Fall des eingangs erwähnten Tawfiq Muhammad Said Al-Law einmal auffliegen, sind es Analyseunternehmen wie Chainalysis selbst, die die Grenzen der Ermittlungsarbeit betonen – nicht zuletzt in einem im Februar veröffentlichten Jahresbericht, der sich umfassend mit der Thematik der Kryptokriminalität auseinandersetzt.

Blockchain erschwert Verschleierung

Die Nachverfolgung von Geldflüssen wird dabei laut Chainalysis nicht durch die Blockchain selbst erschwert. Im Gegenteil: Auf ihr ist jede Transaktion in einem öffentlichen Buch ("public ledger") festgehalten und einsehbar. Das Problem liege vielmehr bei Umgehungsstrukturen, die sich auch Terroristen zunutze machten: So transferiert etwa ein Terrorfinanzier seine Krypto-Überweisungen nicht direkt von seiner Wallet an einen Empfänger, sondern sendet die gewünschten Beträge an mehrere kleine Service-Provider, die keinen Regularien oder Auskunftspflichten gegenüber Behörden unterliegen.

Durch diesen Zwischenschritt geht die Möglichkeit, Geldflüsse auf der Blockchain direkt nachzuverfolgen, verloren. Denn der eingezahlte Betrag geht beim Service-Provider in einen Pool mit vielen anderen Einzahlungen ein, die aus unterschiedlichen Quellen stammen, die mit der Finanzierung von Terrorismus oder kriminellen Akivitäten nichts zu tun haben – zumindest nicht zwangsläufig.

Die Verknüpfung zwischen dem Geldbetrag und seinem Eigentümer, der bei direkten Geldflüssen auf der Blockchain einsehbar ist, ist jetzt nur mehr in den Büchern des eingeschalteten Service-Providers verzeichnet. Wird nun Geld an eine dritte Partei weitertransferiert, geschieht das über die Adresse des Service-Providers, während der ursprüngliche Einzahlende nicht mehr als Beteiligter an der Transaktion aufscheint. Der Service-Provider muss wiederum gar nichts davon wissen, wozu seine Plattform verwendet wird – der große Teil der Transaktionen über diese Intermediäre ist nach der Einschätzung von Chainalysis unauffällig –, gleichwohl liefert er die Infrastruktur dafür, Geldbewegungen zu verschleiern.

Weg über Russland?

In einem konkreten Fallbeispiel zeigt Chainalysis etwa Geldbewegungen von einer Kryptowallet, die einer in der Terrorfinanzierung aktiven Person zugeordnet werden konnte, an mehrere Service-Provider. Bei einigen dieser Dienstleister ließen sich wiederum Transaktionen mit der russischen Kryptobörse Garantex nachweisen, die bereits 2022 von der US-amerikanischen Finanzkontrollbehörde Ofac für ihre Rolle in Geldwäscheaktivitäten sanktioniert worden war.

Ob es einen direkten Zusammenhang zwischen den Transaktionen von Garantex und dem Terrorfinanzier gibt, ist denkbar – nachweisen lässt sich das aber nicht mehr. Ein Service-Provider hingegen, dessen bewusste Rolle in der Terrorfinanzierung für die Behörden nachweisbar war, ist die in Gaza ansässige "Buy Cash Money and Money Transfer Company", die Gelder aus dem Umfeld der Hamas und der Al-Kaida transferierte. Am 18. Oktober 2023 hat die Ofac auch sie sanktioniert – elf Tage nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Der eingangs erwähnte Terrorfinanzier Tawfiq Muhammad Said Al-Law benutzte neben solchen kleinen Anbietern auch Wallets beim Kryptoriesen Binance. Die Börse war im Herbst zu einer Milliardenstrafe verurteilt worden, da sie bei Geldwäsche über die eigene Plattform zumindest aktiv weggeschaut hatte.

Zahlen bleiben vage

Chainalysis gibt keine Schätzung dazu ab, wie viel Geld auf dem beschriebenen Weg über kleinere Intermediäre transferiert wird. Ein Beitrag des "Wall Street Journal" hatte im Herbst für Diskussionen gesorgt, der unter Berufung auf das Analyseunternehmen Elliptic die Kryptoeinnahmen des Palästinensischen Jihad zwischen August 2021 und Juni 2023 auf 93 Millionen US-Dollar bezifferte; die israelische Analysefirma BitOK wiederum rechnete der Hamas 41 Millionen US-Dollar in Kryptowährungen zu. Diese Zahlen dürften laut Beobachtern aber deutlich zu hoch sein, da mehrere infrage kommende Wallets Finanzdienstleistern gehören, die auch für andere Kunden arbeiten. Die genannten Zahlen sollten zudem nicht den Blick auf die Summen verstellen, die über traditionelle Finanzierungsquellen lukriert werden: Laut dem US-Finanzministerium sind etwa allein die Firmenbeteiligungen der Hamas 500 Millionen Dollar wert.

Nichtsdestotrotz ist die Blockchain längst zum Schlachtfeld im Kampf gegen den Terrorismus geworden. Das Wettrennen zwischen Terrororganisationen, Behörden und Analysefirmen wird weitergehen. (Michael Windisch, 7.3.2024)