Menschlicher Arm und jener eines Roboters vor einem ChatGPT-Logo.
Geht es nach der Einschätzung des PwC-Experten Matthias Schlemmer, dürfte generative KI die Arbeit in vielen Branchen erleichtern und nicht ersetzen.
REUTERS/Dado Ruvic

Es sind erstaunliche Zahlen, die eine aktuelle Studie offenbart: Generative KI um ChatGPT könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Österreichs bis 2030 um 25 Milliarden Euro erhöhen. Pro Jahr bedeute das einen durchschnittlichen Zuwachs von 0,3 bis 0,7 Prozent – und damit in etwa ein so starkes Wachstum, wie für das aktuelle Jahr prognostiziert wird. Doch wie kann das sein? Wo finden derartige künstliche Intelligenzen jenseits der Kommunikationsbranche überhaupt Anwendung? Und was bedeutet das für die Arbeitnehmerschaft?

Es sind viele Fragen, die sich auftun. Um sie zu beantworten, muss man verstehen, was generative KI überhaupt umfasst. Derartige künstliche Intelligenzen (KI) sind in der Lage, auf Basis von großen Datenmengen Texte, Bilder oder auch andere Inhalte zu produzieren. Im Gegensatz zur traditionellen KI geht es dabei nicht um Musterkennung und Vorhersagen von Ergebnissen, sondern um eigenständige, neue Inhalte, die aus den eingespeisten Daten entstehen.

Enorme weltweite Investitionssummen

Die wohl bekanntesten Beispiele sind ChatGPT und Google Gemini. Zwischen Tech-Konzernen ist ein regelrechter Konkurrenzkampf entbrannt, die Entwicklung der Programme, die mittlerweile viel mehr als nur Chatbots sind, schreitet rasend voran. Laut Daten der Stanford University stiegen die privaten Investitionen und jene mittels Risikokapitals zwischen 2017 und 2022 um jährlich 70 Prozent.

Doch wo lassen sich die innovativen Modelle anwenden, und an welchen Stellschrauben gilt es zu drehen, um das Potenzial auszuschöpfen?

Eines vorweg, es handelt sich bei den Wachstumsschätzungen der Strategieberatung Strategy & aus dem Hause PwC um nominelle Zahlen, nicht um kaufkraftbereinigte. Und auch die Spanne hat einen Sinn, wie Matthias Schlemmer im STANDARD-Gespräch erklärt: "Der höchste Prozentwert ist eine Potenzialzahl – was maximal möglich wäre." Realistisch sei das Ausschöpfen des vollen Potenzials aber wohl nicht. "Das liegt einerseits an der Regulatorik, andererseits aber auch an der teils mangelnden Innovationsfreudigkeit der Unternehmen", so der Technologieexperte.

Potenzialausschöpfung von Regulatorik abhängig

Der Staat müsse daher entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, sagt Schlemmer. "Es braucht Investments aus dem privaten Sektor ebenso wie gezielte öffentliche Förderungen für Start-ups und Forschungseinrichtungen."

Wo aber ist generative KI überhaupt einsetzbar? Überall dort, wo große, oft unstrukturierte Datenmengen zusammengefasst werden müssen oder Kundenkontakt besteht, fasst Strategy-&-Experte Schlemmer zusammen. Auf der Hand liegt der Einsatz in der Kommunikationsbranche, wo Inhalte etwa gezielt mittels Chatbots und Videobots erstellt werden können.

Interessant sei generative KI aber auch im Finanzsektor. "In vielen Unternehmen gibt es enorme Mengen an unstrukturierten Daten." Diese könnten durch entsprechende KI-Modelle erst nutzbar gemacht werden. "Unternehmen können ohne hochentwickelte Programmierkenntnisse Dashboards bauen und gezielt Diagramme oder Zahlen heraussuchen lassen", beschreibt er mögliche Einsatzfelder.

Vom Pharmasektor bis zu Callcentern

Ein weiterer Einsatzbereich: Dienstleistungen mit Kundenkontakt. "Es wird bald sehr gute Voicebots geben, die im Kundenservice von großem Nutzen sein können", prognostiziert Schlemmer. Und selbst in der Pharmabranche gebe es erhebliches Produktivitätspotenzial. So könnte generative KI etwa dabei helfen, bestimmte Proteine für die Herstellung von Medikamenten zu finden.

Es ist nicht die erste Studie, die ein derartiges Potenzial der Arbeitsproduktivität schlussfolgert. Auch eine im Sommer 2023 veröffentlichte Analyse vom McKinsey Global Institute, dem Thinktank des Unternehmensberaters McKinsey & Company, bezifferte den möglichen Jahreszuwachs auf 0,1 bis 0,6 Prozent.

ChatGPT ist auf einem Smartphone geöffnet. Im Hintergrund sind die Anwendungen erkennbar.
Generative KI geht weit über Chatbots hinaus. Anwendungsfälle finden sich von der Pharmaindustrie bis hin zu Callcentern.
AP/Richard Drew

Trotz des enormen Potenzials gibt es auch warnende Stimmen. So halten etwa Forschende der Stanford University im "AI Index Report 2023" fest, generative KI könne zusammenhangslose und unwahre Antworten auswerfen, wodurch der Einsatz in kritischen Bereichen risikobehaftet sei. Zudem drohten Deepfakes und Lieferengpässe wichtiger Bestandteile, etwa von Grafikprozessoren, die positiven Effekte zu bedrohen.

Und dennoch: Nutze man das bestehende Potenzial, könne generative KI viele Bürojobs "besser machen und Dinge ermöglichen, die wir vorher nicht tun konnten", schreibt Stanford-Ökonom Erik Brynjolfsson in einem Blog der Universität. In den "seltensten Fällen" würden dadurch Jobs gänzlich automatisiert; vielmehr würde es die Berufsbilder ergänzen und erweitern, zeigt sich Brynjolfsson, der seit Jahren an den Einsatzgebieten moderner Technologien in der Arbeitswelt forscht, überzeugt.

Eine Sichtweise, die auch Strategy-&-Experte Schlemmer teilt. "Je nach Branche wird es einen Shift geben." Dabei gehe es aber mehr um ergänzende als ersetzende Funktionen. Geschickt eingesetzt könne der KI-Einsatz gar den Fachkräftemangel lindern. (Nicolas Dworak, 12.3.2024)